Picasso sehen und sterben. Jost Baum
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Voilà, die Gemäldesammlung der Heroults, grinste Roubaix und trat ein. Die Gendarmerie hatte zwei riesige Scheinwerfer installiert, die den fensterlosen Saal in ein grelles Licht tauchten.
Die Tür läßt sich nur öffnen, wenn man eine Zahlenkombination in diesen Kasten eingibt. Roubaix zeigte auf eine Art Tastentelefon, das an der Wand hing.
Der Strom ist allerdings ausgeschaltet, genauso wie heute Nacht, als hier jemand eingestiegen ist. Außerdem ist das Schloß unversehrt, was auch immer das heißen mag … So, und jetzt kommen wir zum Wesentlichen, erklärte Roubaix und deutete auf eine leere leicht vergilbte Fläche an der gegenüberliegenden Wand, etwa einen Quadratmeter groß. Hier hing einmal ein Picasso im Wert von ca. 1,5 Millionen Euro. Wer behauptet das? Arnoult zog die Augenbrauen hoch.
Der junge Heroult, bisheriger Alleinerbe des gesamten Vermögens des verstorbenen Seniors!
Was heißt das?
Tja, es gibt wohl noch einen unehelichen Sohn, Professor Pirez aus Buenos Aires, der seit zwei Tagen hier im Haus lebt und behauptet, daß ihm ebenfalls ein Stück des Kuchens gehört.
Aha …, brummte Arnoult und starrte gebannt auf das Hygrometer, ein Gerät mit einem Papierband, das kontinuierlich die Luftfeuchtigkeit aufzeichnete. Er ging in die Hocke und nestelte eine Lesebrille aus der Brusttasche seines beigefarbenen Leinensakkos.
Da haben wir’s! Exakt um drei Uhr morgens stehengeblieben. Ist das die Zeit, die der Pathologe als Todesstunde bekanntgegeben hat? fragte er triumphierend, froh über seinen kleinen Sieg.
Inspektor Roubaix schluckte.
Tja, soweit sind wir noch nicht gekommen, erwiderte er mürrisch. Links neben dem leeren Fleck, den der Picasso bedeckt haben sollte, hing ein Bild von Renée Solaire, einem Künstler aus Aix-en-Provence, der in Anlehnung an ein Gemälde von Matisse reife saftige Zitronen vor einem Hintergrund aus stilisierten Lilien gemalt hatte. Hübsch, aber nicht umwerfend, dachte Arnoult. Die beiden Bilder auf der rechten Seite des Raumes waren allerdings bemerkenswerter. Zwei Aquarelle von Fotinsky. »La prostituée à Marseille« zeigte ein Mädchen in der Rückansicht, in der Eingangstür der Bar America stehend, das andere Bild, »Port du Midi«, bot dem Betrachter Fischerboote im Stil des Kubismus vor Häusern mit roten Dächern und weißen Fassaden.
Ein echter Kunstkenner hätte sicherlich auch die beiden Fotinskys mitgehen lassen, es sei denn, er wäre beim Raub gestört worden, sinnierte Arnoult. In der Mitte des Raumes entdeckte er eine Bronzeskulptur von Renata Senzo, ein männlicher Bronzekopf, dessen Lippen zu einem Kuß geformt waren.
Arnoult hatte die Künstlerin in der Galerie »Les Arcenauts« anläßlich seiner eigenen Vernissage kennengelernt, auf der seine Landschaftsaquarelle aus dem dunklen wild zerklüfteten Gebirge des Luberon und die Bilder der violetten Lavendelfelder des kargen Plateaus de Vaucluse ausgestellt waren. »Les Arcenauts« gehörte Monsieur Desnoyer, einem Kunst-mäzen und Antiquitätenhändler. Der alte Mann mit dem listigen Lächeln eines Fuchses hatte die Ausstellung für ihn organisiert, ein langjähriger Freund und Förderer, der dafür sorgte, daß sein Talent über die Grenzen Marseilles hinaus bekannt wurde. Die Galerie am Cours d’Estienne d’Orves, einen Steinwurf vom Alten Hafen in Marseille gelegen, war für Arnoult nach dem Tod von Suzanne zur zweiten Heimat geworden, in der er sich oft mit Künstlern seines Genres traf.
Unter den Aquarellen von Fotinsky stand eine Louis Quatorze Kommode, deren Schublade halb geöffnet war. Roubaix bemerkte den Blick Arnoults.
Es fehlt ein silbernes Besteck aus dem 18. Jahrhundert. Im Vergleich zu dem Picasso nicht der Rede wert, sagte er, bevor er einen tiefen Zug aus der Zigarette nahm.
Doch, ist es, erwiderte Arnoult. Es sieht so aus, als hätte hier jemand mehr oder weniger wahllos zugegriffen. Gibt es Fingerabdrücke?
Nein, nur die der Hausbewohner, das heißt von Madame und Monsieur Bertrand, die hier ab und zu einmal saubergemacht haben, von ihrem Sohn Patrique, der seinen Eltern gelegentlich zur Hand geht, und natürlich von den Heroults. Von dem verstorbenen Senior ebenso wie von seinem Sohn, dem schließlich nun alles gehört!
Den beiden weiblichen Akten, holzschnitzartig, schwarz auf ockerfarbigem Hintergrund mit Ölfarben von einem nordafrikanischen Künstler namens M’Bhoto gemalt, die auf der rechten Seite des Saales hingen, schenkte Arnoult keine Beachtung. Auch die Plastik aus Polynesien, eine mit Perlenketten und Kaurimuscheln behängte Maske, interessierte ihn nicht. Bringen sie mich bitte zu Madame Bertrand, bat er leise und wandte sich kopfschüttelnd um.
Zwei
Hey Margoux, laß uns die Kleine da vorne vernaschen! Lannier zeigte auf eine schwarzhaarige Nutte mit großen Brüsten und langen Beinen, die in ihrem gewagten Top mit Minirock, Netzstrümpfen und hochhackigen Pumps neben einem hellblauen Peugeot 206 Cabrio stand, der am Rande einer Lichtung geparkt war, und den Daumen herausstreckte. Margoux gab Gas. Der Motor des weißen Renault Rapid heulte auf und zwang das Auto mit quietschenden Reifen um die nächste Kurve der Serpentinen, die von der Küste hinauf in die Berge des Massif de St. Beaume führten. Heroult, ihr neuer Brötchengeber, hatte ihnen gesagt, sie sollten verschwinden und die restlichen Arbeiten an der Alarmanlage der Villa St. Fleurie zu Ende führen, wenn der Picasso wieder aufgetaucht sei.
Du Idiot, wir haben verdammt noch mal andere Sorgen, als die nächstbeste Tussi flach zu legen! Hör zu, hast du den Alten umgebracht?
Sag mal, spinnst du? Wie bist du denn drauf? Ich weiß gar nicht, wovon du redest? Lannier schob die Sonnenbrille, die bis dahin auf seinen Haaren gethront hatte, auf die Nase und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Weißt du was, Margoux, du kannst mich mal!
Du mich auch, und jetzt laß uns vernünftig miteinander reden. Wo warst du gestern Nacht, sagen wir zwischen zwölf Uhr und vier Uhr morgens?
Bist du ein Bulle oder was?
Kapierst du nicht? Die werden uns in Verdacht haben. Wir haben schließlich die Alarmanlage montiert und wissen, wie sie funktioniert! Blödsinn, bei den anderen Brüchen, die wir gemacht haben, ist doch auch kein Mensch auf die Idee gekommen, daß wir die Elektriker waren, die das Ding montiert haben, das dann doch nicht funktionierte!
Ja, aber da waren schon ein paar Wochen vergangen, bevor wir da eingestiegen sind. Da erinnerte sich niemand mehr daran, daß wir die Villen jemals betreten haben. Wir sind doch nichts anderes als zwei kleine Handwerker, die die Drecksarbeit machen und ein bißchen Knete dafür kriegen. Aber jetzt?
Das ist dein schlechtes Gewissen, das dich plagt, du solltest cooler werden.Wer soll denn auf die Idee kommen, daß wir einen Einbruch vorhatten? Bisher lief doch alles supergut! Vielleicht gibt’s inzwischen andere, die es auf die gleiche Tour wie wir probieren. Nachahmer … hey cool, wir sind die Lehrmeister für diese Arschlöcher!
Margoux bremste und lenkte den Renault in eine kleine Einfahrt zwischen zwei Pinien. Er ließ den Wagen rollen und stoppte abrupt ab.
Aber das ist doch genau das, was ich sagen will! Kapierst du das denn nicht? Es gibt jemanden, der uns auf die Schliche gekommen ist. Wer auch immer es ist, er weiß, wie wir arbeiten. Er weiß oder ahnt zumindest, daß wir die Häuser bei unserer Arbeit auskundschaften, und dann nach ein paar Wochen, wenn wir vergessen sind, zuschlagen.
Kapier ich nicht. Dann hätte