Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon?. Wiglaf Droste

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Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon? - Wiglaf Droste

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ich es ausschließlich meiner Sprachidiosynchrasie und meiner Phantasie zu verdanken, dass ich niemals eine Filiale der Drogeriemarktkette Schlecker betrat. Die Vorstellung, jemand könne sich ausgerechnet bei Schlecker mit Toilettenpapier eindecken, ist entsetzlich und geradezu erbrechenmachend.

      Irgendwann las ich einen Boykottaufruf gegen Schlecker; es ging um den Vorwurf, die Direktion der Firma lasse Angestellte bei der Arbeit ausspähen und bespitzeln. Mich musste man mit dieser bösen Geschichte nicht zum Schlecker-Boykott agitieren, ich ging ja ohnehin nicht hin – würde aber, ebenfalls aus rein sprachlichen Gründen, niemals »Schlecker? No way!« oder »Schlecker ist ein No go!« sagen.

      In der Marketingabteilung von Schlecker scheint man von den positiven Wirkungen negativer Werbung überzeugt zu sein; anders ist die Parole »For you. Vor Ort« schwer zu erklären. Man muss die Kurzwörter nur einmal halblaut vor sich hin sprechen: »For you. Vor Ort«, dreimal »or« in vier Silben, das klingt nach Mordor und den Orks.

      Ausgedacht hatte sich den mundbrecherischen Slogan eine Werbeagentur Grey; beauftragt und bezahlt von der neuen Schlecker-Generation: Meike und Lars Schlecker, den Nachfolgern ihres Vaters Anton Schlecker, dem Begründer der Schlecker-Dynastie im schwäbischen Schleck-, nein: Ehingen. Mit der »For you. Vor Ort«-Kampagne, so ließen die Schlecker-Youngsters einen Unternehmenssprecher verkünden, ziele Schlecker speziell auf Kunden der »niederen bis mittleren Bildungsniveaus«.

      Dabei kann doch jedes Kind die Worte For you, vor Ort, Toilettenpapier und Schlecker kombinieren und feststellen: Der Name Schlecker ist eine Abkürzung. Vorne fehlen ein A und ein r, dann stimmt’s. Es gibt viele Gründe, Filialen der Firma Schlecker zu meiden; mir reicht dieser.

      Weg oder runter?

      Eine Betrachtung des Brechens

      »Dem Tagesspiegel sind zwei große Anzeigenkunden weggebrochen«, erzählt ein Kollege, und während er noch über die Folgen spricht, über den Niedergang der Presse im allgemeinen und über Entlassungen im besonderen, bin ich noch ganz im Wort: weggebrochen? Wie muss ich mir das vorstellen, wenn Anzeigenkunden wegbrechen? Wohin brechen sie weg? Brechen sie durch den Boden, oder erbrechen sie sich?

      Jedenfalls wird viel weggebrochen im Land. »Uns brechen hier die Leute weg«, sagt der Chef eines Kulturclubs, und nicht nur im Osten Deutschlands wird häufig die Klage erhoben, dass »viel Identität weggebrochen« sei.

      Identität wegbrechen, wie geht das? Bricht die selbständig weg oder lässt sie sich willenlos wegbrechen? Und ist bei allem, was man von sich bricht, nicht immer auch eine Identität dabei, wenigstens »ein Stück weit«? Denn auch das wird tadel- und skrupellos weggesprochen: »Uns ist hier ein Stückweit Identität weggebrochen.« Man kann nur hoffen, dass ein ausreichend großes Gefäß zum Auffangen in Wegbrechnähe stand.

      Später im Café höre ich eine Frau zu einer anderen sagen. »Theoretisch ist mir alles klar, aber ich muss noch lernen, das auf meinen Alltag runterzubrechen.«

      Runterbrechen? Wie bricht man etwas runter? Zerbricht man es in kleine Stücke, die dann herunterfallen? Hat runterbrechen mit Bruchrechnen zu tun? Oder mit einem Leben als Bruchpilot? Trifft das, was einer runterbricht, auf das, was weggebrochen ist? Oder kann man das, was zuvor weggebrochen ist, dann auch noch runterbrechen, und wenn ja, auf was? Kann man eine weggebrochene Identität auf den Alltag runterbrechen? Wie sähe das aus? Wie fühlte sich das an? Und wie röche das?

      Es gibt reichlich zu brechen in Deutschland, sei es nun weg, runter oder rade, und deshalb muss man manchmal dringend aufbrechen. So vieles ist schon weggebrochen, nur radegebrochen hat noch nie jemand, das wäre ja falsches Deutsch; richtig heißt es geradebrecht und kann gerade auf Brecht nicht runtergebrochen werden.

      Abgeholt und mitgenommen

      Man solle »die Sorgen und Nöte der Menschen ernstnehmen«, sagt ein Politiker und ergänzt eindringlich: »Wir müssen die Menschen abholen!« Einer seiner Kollegen nimmt den Faden auf und fordert: »Wir müssen die Menschen mitnehmen!«

      Wenn man als einer von »den Menschen«, über die stets im Plural gesprochen wird, nicht weghört, kann man sich fragen: Wer sind eigentlich diejenigen, die sich immerzu »wir« nennen? Und wer sind »die Menschen«, von denen sie reden? Es muss sich jedenfalls um zwei voneinander ganz verschiedene Gruppen handeln, zwischen denen es keine Verbindung gibt und von denen die erste aus aktiven und die zweite aus passiven Mitgliedern besteht. Die einen holen ab und nehmen mit, die anderen werden »die Menschen« genannt, abgeholt und mitgenommen. Sie sind Objekte und werden verwaltet. Aber haben sie darum überhaupt gebeten?

      Wer über »die Menschen« spricht, legt damit nahe, dass er selbst etwas anderes sei. In dem kleinen Wort »die« liegt etwas Trennendes, Distanzierendes und auf Fremdheit Verweisendes. Auf der einen Seite steht das handelnde »Wir«, auf der anderen stehen nicht Menschen, sondern im Gegenteil eben »die Menschen«. Sie wurden auch schon »die Menschen draußen im Lande« genannt, was nicht ohne Rätselkraft ist: Wer »im Lande« ist, befindet sich drinnen und soll dennoch draußen sein? Und wo befindet sich derjenige, der alle anderen »draußen im Lande« wähnt? Drinnen vor der Tür?

      Wer die Sprache der Politik auch nur halbwegs ernst und für voll nehmen will, kollidiert schnell mit der Logik, gewinnt aber Erkenntnis über das Selbstverständnis der Sprechenden. Die Mitglieder der »politische Klasse« genannten Kreise sind ohne jeden Zweifel davon überzeugt, dass ihnen Definitionsmacht und Handlungsmandat zustehen: Sie repräsentieren diejenigen, die sie wie mit einem Gummihandschuh über der Zunge als »die Menschen« bezeichnen, sie sprechen in ihrem Namen und agieren für sie.

      Die Frage, ob sie dazu legitimiert worden sind, stellt sich ihnen nicht mehr; sie halten sich für gewohnheitsrechtlich ermächtigt. Wer bestimmt, was er mit »den Menschen« tun muss, ohne sie gefragt zu haben, ob ihnen das überhaupt recht ist, hat das Prinzip der Entmündigung anderer längst verinnerlicht, es ist ihm zur Selbstverständlichkeit geworden. Wer »die Menschen abholen« oder »mitnehmen« muss, als chauffiere er einen Schulbus, hat sich von denen, über und für die er spricht, ohne jemals mit ihnen zu sprechen oder ihnen zuzuhören, längst so weit entfernt, dass er weder sie noch den Vorgang des Sichentfernthabens überhaupt wahrnimmt.

      Wenn einer über »die Menschen« spricht, weiß man, dass er mit realen Menschen keinen Kontakt hat, sondern nur mit seinesgleichen, mit denen er über andere bestimmt. Die Politiker- und Medienformulierung »die Menschen« meint eben nicht Menschen, sondern eine amorphe, mundlos dumpfe Masse. Der Versuch, mit Sprachmenschelei humanes Interesse zu simulieren, ist durchsichtig. »Die Menschen« ist reiner Verfügungsjargon; die Steigerung »die Menschen haben ein Recht darauf« legt sogar nahe, der Sprecher könne Rechte worauf auch immer gewähren oder entziehen. In der Formel von »den Menschen« offenbart sich ein Selbst-, Welt- und Menschenbild, das sich so teilnahmsvoll und egalitär gibt, wie es gleichgültig und hochmütig ist.

      »Ich und viele andere Menschen«

      Der Präsident, ein Herzchen

      Kaum dass Joachim Gauck wusste, dass er nun doch, im zweiten Anlauf, zum Präsidenten gemacht werden sollte, kehrte er sein Inneres nach außen: »Mir ist wichtig, dass die Menschen wieder lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können«, sprach der Theologe, und man wusste, was die Uhr geschlagen hatte. Die eigene Wahrnehmung und Analyse der Verhältnisse, in denen man lebt, bedeuten nichts. »Die Menschen«, über denen turmhoch der Pfarrer Gauck steht, müssen von ihm lernen, wo sie leben. Das gilt nicht nur für Inländer. Gauck hat Europa zum »besten Ort der Welt« erklärt. Ob er das auch den armen Bewohnern der anderen Kontinente mitteilen wird, die er demnächst heimsuchen wird? Oder kennt er einfach nur nichts anderes?

      Fast ein bisschen wehmütig dachte ich an Gustav Heinemanns

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