Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon?. Wiglaf Droste

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Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon? - Wiglaf Droste

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könne der Mann meine Gedanken lesen, spricht er in sein Telefon. »Ach Schatz«, sagt er mit müder Stimme, »der Zug hat drei Stunden Verspätung, ich schaffe es nicht nach Hause, ich muss in Hannover übernachten.« Seine Stimme klingt enttäuscht und alt, er barmt noch ein bisschen, »ja, Schatz, es tut mir leid ... ich dich auch, Schatz«, und das Gespräch ist beendet. Zehn Sekunden später beginnt er ein neues, mit einer jungen, fast jugendlichen Stimme voller Elan und Freude: »Wir können uns sehen, Liebling, ja, in zwei Stunden bin ich da, o ja, ich freue mich auch, Liebling.« Und legt, sehr selbstgesättigt, das Telefon vor sich auf den Tisch.

      Monogamie ist eine Ausnahme von der Regel, Ehebruch ist üblich, und mich geht das Ganze nichts an. Aber warum telefoniert der Mann so laut, dass alle anderen im Abteil alles mithören können, ja müssen? Braucht er Publikum? Glaubt er, man hielte ihn für einen ganz dollen Hecht, weil er ausposaunt, wie er als Amateurschauspieler den abendlichen Vollzug einstielt? Handelt es sich um einen jener Fälle von forciertem Talkshowexibitionismus, der keiner Talkshow mehr bedarf? Um Prahlhanselei im Endstadium?

      Etwas später steige ich aus, eine Umhängetasche aus Leder über der linken Schulter und eine lederne Reisetasche in der rechten Hand. Der Bahnhof ist gestopft voll, und so gut wie alle Reisenden führen einen Rollkoffer mit sich, manche sogar zwei. Der Lärm, den sie damit produzieren, ist infernalisch; das Pflaster in Bahnhöfen, auf Flughäfen und auf der Straße ist nicht dafür geeignet, Rollkoffer geräuschlos zu bewegen, und weil sie beim Gehen Krach erzeugt, muss die Rollkoffersorte Mensch brüllen, wenn sie sich mündlich oder fernmündlich verständigen will, und das will sie ja permanent und pausenlos.

      Aber Rollkoffer sind bequem und praktisch!, ningelt einem die Rollkofferfraktion ins Trommelfell, laut natürlich, noch lauter als die Rollkoffer, die sie hinter oder neben sich herzieht, mit permanentem »RRRRRRRR«-Geräusch. All jenen, die an ihren Rollkoffern hängen, wie diese wiederum an ihnen hängen, sei gesagt: Pragmatismus ist die Wurzel aller Hässlichkeit.

      Sein Trommelfell und die dahinter angesiedelten Organe sind dem Rollkoffermenschen egal; ein Kopf ist für ihn das Zeug, das man zum Telefonieren braucht und zum Glotzen, und in das man sich, bevorzugt ambulant und im Gehen, mit der rollkofferfreien Hand etwas zu essen hineinstopft, das mit einem Nahrungs- oder Lebensmittel möglichst nichts zu tun hat, also alles, was es an Bahnhöfen und auf Flughäfen gibt: frittierte Presspappe, gern bitte aber auch mit Salatblatt, der bewussten Ernährung wegen.

      Es herrscht offener Rollkofferkrieg im Land, die Rollkofferarmee RollRollRoll marschiert, während die richtige deutsche Armee, die Bundeswehr, in Afghanistan einen richtigen Krieg führt, in den sie allerdings nicht mit Rollkoffern zieht und ausrückt, sondern mit Rucksäcken. Schließlich müssen Soldaten für ihre ganz spezifische Form des Multitasking beide Hände frei haben.

      Erst wenn Soldaten in den Aggregatzustand »Held« versetzt werden, winkt ihnen der Rollkoffer nach Hause. Ihr oberster Dienstherr hat naturgemäß den größten Rollkoffer von allen. Er ist aus edlem Zink gemacht, und während sein Besitzer das riesige Trumm hinter sich her zerren lässt, spricht er mit Stentorstimme in die Kameras: »Ich bringe die deutschen Soldaten in ihre Heimat zurück.« Zu ihren toten Schwiegermüttern, nehme ich an.

      Plagiator II

      Guttenberg wird Film

      Nach der Absetzung des Plagiators im politischen Theater wird das Leben von Karl-Theodor zu Guttenberg auch ein Film: »Plagiator II – Die Rückkehr« soll so schnell wie möglich ins Kino kommen. Produzent Til Schweiger, wegen seiner Stimme auch »Quäki ningelt wieder« genannt, trat allerdings Behauptungen entgegen, dass es sich bei dem geplanten Film um ein Abschreibungsprojekt handele.*

      In »Plagiator II« soll Karl-Theodor zu Guttenberg sich selbst spielen; für die harten Stunts konnte Lothar Matthäus gewonnen werden. Guttenberg und Matthäus kennen sich aus Bunte, in der die Guttenbergs erfunden wurden und in der Matthäus seinen Gedankengang veröffentlicht: »Wer was Gutes für Deutschland tut, kriegt als Dank meistens was aufs Maul.«

      Das Guttenberg-Double Matthäus bekommt reichlich auf die Knochen beim Gutestun für Deutschland. Höhepunkt seiner Pein ist die Kreuzigungsszene: Guttenberg wird von akademischen Philistern öffentlich aus Kreuz geschlagen, blaues Blut fließt in Strömen. Der Leichnam des Märtyrers aber wird nicht gefunden, denn Guttenberg ist nicht tot! Er ist wiederauferstanden, strahlender, stärker und frisierter denn je!

      Das größte aller Wunder ist: Auch die toten deutschen Söldner aus Afghanistan leben wieder und ziehen als Leibstandarte mit ihrem alten und neuen Dienstherrn in die Schlacht. Guttenberg will Genugtuung und rauscht mit seinen Truppen nach Bayreuth, wo er zu den Klängen von Richard Wagners »Parsifal« die Universität niederbrennt, jenen ihm verhassten Ort, an dem man ihn, den edlen Spender, in Schande tunkte.

      Während Guttenberg noch genüsslich die Reste seines ehemaligen Doktorvaters durch den Reißwolf drückt, sieht er sich plötzlich unerwarteter Konkurrenz ausgesetzt: Christoph Schlingensief ist ebenfalls als Jesus von den Toten auferstanden, und auch er hat mit Bayreuth noch eine Rechnung offen. Die beiden Medienkatholiken aber erkennen ihre vielen Gemeinsamkeiten und schließen einen Nichtangriffspakt und eine Messias-Allianz. Schlingensief spricht den Wagner-Clan auf offener Bühne zu Tode; Guttenberg, unter dessen gepflegten Händen die Doktoranden sterben wie die Fliegen, braust im offenen Wagen Richtung Berlin.

      Begeisterte Massen strömen ihm zu, der Stamm der Sarrazinen schließt sich Guttenberg an. »Dolchstoß! Dolchstoß!«, skandieren die Freischärler und polken sich mit Schweizermessern in den Zahnlücken herum, auch »Rache! Rache!«-Rufe werden laut. Wofür eigentlich? Egal, es schreit sich so schön weg.

      Guttenberg wird zum Kaiser gekrönt, der bayerische Pontifex küsst ihm den gelifteten Podex, und die Deutschen sind zum ersten Mal seit 1918 wieder glücklich.

      Produzent und Hauptdarsteller vermelden stolz: Die Inthronisierungsszene ist ganz in Herrenaltöl gefilmt. Eine Fortsetzung ist bereits in Planung: »Plagiator III – Jetzt kopiert er alles«.

      * Einmal in seinem Leben spielte Til Schweiger in einem richtigen Film mit, in Quentin Tarantinos »Inglorious Basterds«. Tarantinos Genie kann man auch an seiner Besetzungskunst erkennen: Schweigers Rolle war nahezu sprechfrei. Das war gut, denn aussehen kann Til Schweiger. Doch was macht der Unglücksmann? Er prahlt in Interviews: »Mit Tarantino spreche ich auf Augenhöhe, mit Brad sowieso.«

      »Auf Augenhöhe« gibt es nicht; zur Verdeutlichung dessen muss man sich nur vor Augen führen, wie Helmut Kohl und Norbert Blüm »auf Augenhöhe« miteinander sprächen. Was sieht der eine? Ein Skrotum. Während der andere einen unverstellt freien Blick schweifen lässt.

      Soviel zur »Augenhöhe«, doch was weiß Til Schweiger davon, der mit »Brad« Brad Pitt meint und nicht das Brett vor seinem eigenen Kopf, das ja, und hier stimmt die Formulierung tatsächlich einmal, mit Til Schweiger »auf Augenhöhe« leben muss, und zwar lebenslänglich.

      Nivea Visage, die eiserne Ration

      Das französische Wort »visage« heißt auf deutsch Gesicht, das eingedeutschte Wort »Visage« meint aber etwas anderes und immer eindeutig Abfälliges; in der »Visage« sind die Gaunervisage, das Ohrfeigengesicht und die gute alte Hackfresse immer mit drin.

      Die Kreateure der »Nivea«-Werbung wissen das nicht, ignorieren es und / oder haben ohnehin keine Achtung vor Leuten, die sich freiwillig Mineralölcreme in ihre Visagen schmieren. Wie sonst soll man sich den Produktnamen »Nivea Visage« erklären? Der einem auch noch vom Hotelbettkopfkissen entgegenleuchtet: »Nivea Visage wünscht gute Nacht!«

      Denn das sogenannte Betthupferl, in diesem Fall handelt es sich um ein Täfelchen »Ritter Sport«-Schokolade, hat eine »Nivea«-Reklame-Manschette

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