Herzenssache. Leonardo Boff
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Aufgrund dieses numinosen Charakters, der dem Essen, dem Verzehren und dem Kommunizieren eignet, ist jede Art von Tischgemeinschaft in gewisser Weise sakramental. Wir geben den Speisen ein ansprechendes Aussehen, denn wir essen nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Augen.
Die Essenszeit gehört zu den ersehntesten Momenten des Tages. Instinktiv wissen wir darum, dass es ohne Essen kein Leben und Überleben und damit keine Freude am Leben und am Zusammenleben gäbe. Aus dem Sammeln von Früchten in der Natur entwickelte sich der Ackerbau, der die Kultivierung von Samen und Pflanzen zur Voraussetzung hat. Damit einher ging die Domestizierung des Viehs, angefangen mit Geflügel und Ziegen.
Vor etwa zehn- bis zwölftausend Jahren fand die vielleicht größte Revolution innerhalb der Menschheitsgeschichte statt. Die Menschen, die bis dahin Nomaden gewesen waren, wurden sesshaft. Sie gründeten die ersten Siedlungen (12.000 v. Chr.), erfanden den Ackerbau (9000 v. Chr.) und begannen mit der Viehzucht (8500 v. Chr.). Es bildete sich ein höchst komplexer zivilisatorischer Prozess heraus, im Verlauf dessen mehrere radikale Umwälzungen aufeinander folgten: die industrielle Revolution, das Nuklearzeitalter, die Kybernetik, die Nanotechnologie, das Informationszeitalter usw. bis in die jüngste Gegenwart.
Zunächst züchtete man wilde Pflanzen und Getreidesorten. Eine entscheidende Rolle spielten dabei vielleicht die Frauen, die die Rhythmen der Natur aufmerksamer beachten. Alles scheint im Mittleren Osten, im Gebiet zwischen den beiden Flüssen Euphrat und Tigris, und im Industal seinen Anfang genommen zu haben. Dort wurden Weizen, Gerste, Linsen, Bohnen und Erbsen gezüchtet. In Lateinamerika waren es der Mais, die Avocados, die Tomaten, Maniok und die Bohnen, im Osten baute man Reis und Hirse an. In Afrika kannte man den Mais und Sorghum.
Später, etwa um 8500 v. Chr., begann man, bestimmte Tiere zu halten, zunächst Ziegen und Schafe, dann Rinder und Schweine. Dies alles wurde durch die Erfindung des Rades, der Hacke, des Pflugs und anderer Metallwerkzeuge um 4000 v. Chr. erleichtert.
Diese wenigen Daten können heute von Archäologen und Ethnobiologen rekonstruiert werden, die sich dabei der modernsten Techniken wie etwa der C-14-Methode, dem Elektronenmikroskop und der chemischen Analyse von Rückständen, der Asche, von Pollen, Knochen und verkohltem Holz bedienen. Die Ergebnisse vermitteln einen Eindruck davon, wie die lokale Ökologie aussah und wie die Menschenpopulationen die Wirtschaft handhabten.
Sobald die Menschen Weizen oder Reis anbauten und ernteten, konnten sie Vorräte anlegen, die Ernährung der einzelnen Gruppen sicherstellen und so das Wachstum der Familie und der Bevölkerung insgesamt ermöglichen. Sie mussten sich ihr Leben im Schweiß ihres Angesichts verdienen. Und sie taten dies mit verbissenem Ehrgeiz. Der Fortschritt des Ackerbaus und der Viehzucht sorgte dafür, dass ein Zehntel der wilden Pflanzen- und Tierarten allmählich verschwand. Man sorgte sich noch nicht um einen verantwortlichen Umgang mit der Umwelt. Und das ist auch angesichts des Reichtums der Gaben der Natur und der Fähigkeit der Regeneration der Ökosysteme nachvollziehbar.
Die Jungsteinzeit löste in jeglicher Hinsicht einen Prozess aus, der bis heute nachwirkt. Die Ernährungssicherheit, das große Festmahl, das die landwirtschaftliche Revolution der gesamten Menschheit bereitstellen könnte und woran alle gleichberechtigt Tischgenossen wären, kann noch nicht stattfinden. Fast eine Milliarde Menschen sitzen unter dem Tisch und warten darauf, dass einige Brosamen herabfallen, damit sie ihren Hunger stillen können.
Der Welternährungsgipfel, der im Jahr 1996 in Rom stattfand und vorschlug, bis zum Jahr 2015 den Hunger auf der Welt auszurotten, stellte fest: „Ernährungssicherheit ist dann gegeben, wenn alle Menschen zu jeder Zeit physisch und ökonomisch Zugang zu ausreichender, gesunder und ausgewogener Nahrung haben, um ihre energetischen Bedürfnisse und ihre geschmacklichen Vorlieben zu befriedigen, sodass sie ein gesundes und aktives Leben führen können.“ Dieser Vorschlag wurde von den Millenniumszielen der UNO übernommen. Bedauerlicherweise teilte die FAO (Welternährungsorganisation der UNO) selbst im Jahr 1998 und die UNO im Jahr 2014 mit, dass diese Ziele nicht erreicht würden, wenn die allzu große Kluft der sozialen Ungleichheit nicht überwunden wird.
Wenn wir diesen Sprung der Solidarität nicht schaffen, dann scheitern wir schließlich an der Vollendung unseres Menschseins. Das ist die große Herausforderung des 21. Jahrhunderts: dass wir im vollen Sinne Mensch werden und jeder das Recht hat, am Tisch Platz zu nehmen und auf anständige Weise seine sichere Nahrung zu erhalten.
Unser Durst nach Unendlichkeit
Das Begehren ist nicht irgendein Impuls. Es ist ein Motor, der das gesamte psychische Leben in Gang setzt. Es ist ein Prinzip, das der Philosoph Ernst Bloch als das Prinzip Hoffnung bezeichnete.
Es liegt in seinem Wesen selbst begründet, dass es keine Grenzen kennt, wie bereits Aristoteles und später Sigmund Freud erkannt haben. Die Psyche begehrt nicht nur dies und jenes. Sie geht aufs Ganze! Sie begehrt nicht die Fülle des Menschseins, nein, sie strebt nach dem Übermenschen, nach dem, was das Menschliche unendlich übersteigt, wie Nitzsche sagt. Das Begehren zeigt sich als ein unendliches und verleiht dem Entwurf des Menschen den Charakter der Unendlichkeit.
Das Begehren lässt das Leben einen dramatischen und zuweilen tragischen Verlauf nehmen. Doch wenn es Erfüllung findet, dann stellt sich auch ein unvergleichliches Glück ein. Wir sind stets auf der Suche nach dem Gegenstand, der unserem unendlichen Begehren angemessen ist. Und wir finden ihn nicht innerhalb unserer Alltagserfahrung. Da stoßen wir nur auf endliche Dinge.
Es führt zu schwerer Enttäuschung, wenn jemand eine endliche Wirklichkeit für das gesuchte Unendliche hält. Das kann die gelebte Person sein, das kann ein Beruf sein, den man sich schon immer gewünscht hat, das kann das Traumhaus sein. Es kommt der Augenblick – und im Allgemeinen kommt er recht bald –, da man eine grundlegende Unzufriedenheit und den Wunsch nach etwas Größerem verspürt.
Wie kommt man aus dieser Sackgasse des unendlichen Begehrens heraus? Soll man denn von einem Gegenstand zu anderen flattern, ohne jemals zur Ruhe zu kommen? Wir müssen uns ernsthaft auf die Suche nach dem Objekt unseres Begehrens begeben.
Ich kürze hier einen langen Weg ab, um gleich die Antwort zu geben: Das Sein selbst, und nicht dies und jenes Seiende, das Ganze, und nicht irgendein Teil, das Unendliche, und nicht irgendetwas Endliches ist das wahre „Objekt“ unseres unendlichen Begehrens. Nach einer langen Pilgerschaft wird der Mensch zur Erfahrung des cor inquietum (des unruhigen Herzens) geleitet, wie sie der heilige Augustinus durchmachte. „Spät habe ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät habe ich dich geliebt!“ (Augustinus 2008, 277); „… und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir“ (Augustinus 2008, 15)
Nur das unendliche Sein entspricht dem unendlichen Begehren des Menschen und lässt ihn zur Ruhe kommen.
Das Begehren ist von mächtigen, vulkanartigen Energien durchdrungen. Wie soll man damit umgehen? Zu allererst geht es darum, dieses Begehren, das zu unserer Daseinsverfassung gehört, anzunehmen, ohne zu moralisieren. Die Leidenschaften drängen den Menschen in alle Richtungen. Einige bringen ihn dazu, großherzig zu werden, andere lassen ihn egozentrisch werden. Diese Energien zu integrieren, ohne sie zu unterdrücken, erfordert Achtsamkeit und nicht selten auch Verzicht.
Die Psyche ist dazu aufgefordert, eine persönliche Synthese zu verwirklichen, nach einem Gleichgewicht aller inneren Energien zu streben. Man soll weder zum Opfer einer Besessenheit von einem bestimmten Impuls, etwa der Sexualität, werden, noch ihn verdrängen, als ob man auf diese Weise dessen Kraft mindern könnte.
Es kommt darauf