German Cop. Dieter Jandt
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Ein stämmiger Mann in zerschlissenen Jeans kam unter dem Stelzenhaus hervor, begrüßte Noks Bruder in gebrochenem Thai und nickte seiner Schwester stumm zu. Er wies die beiden zu einer schmalen Bambushütte, die gleich nebenan an einen Felsen gelehnt stand. Unter einem der Stelzenhäuser sah man auf einer Liege einen alten, ausgemergelten Mann mit nacktem Oberkörper. Er schickte in kurzen Abständen Schmerzensrufe durch das Dorf, während neben ihm Hühner den Boden nach Essbarem aufsuchten. Vor ihm hatte sich ein Pulk von Neugierigen gebildet: Meist Männer, aber auch Minderjährige, die sich zwischen den Erwachsenen drängten. Eine Frau in schwarzem Rock mit bunten Mustern an den Säumen hielt ein Kind in einem Tragetuch auf dem Rücken. Ein Mann mit Dreieckskopf kauerte am Boden. Neben seinen Füßen lag ein brauner, harziger Würfel und ein kleines Tongefäß, darin ein rußgeschwärzter Löffel. Der Mann griff zur Wasserpfeife, die neben ihm auf dem Boden stand, ein Schlauch mit Mundstück baumelte herab. Er reichte es dem Alten, der seine dürre Hand danach ausstreckte, während der Mann ein Feuerzeug über den Pfeifenkopf hielt.
Ton und Nok achteten nicht weiter darauf. Sie setzten sich auf zwei kleine Schemel aus Rattan, die im Schatten neben der Bambushütte standen. Der Clanchef hatte sich zurückgezogen. Die Sonne schimmerte nun durch die Nebelschwaden.
»Hier wirst du bleiben können, fürs Erste, oder müssen, wie man’s nimmt.« Ton fingerte eine Zigarettenschachtel aus der Brusttasche seines Hemdes. »Es ist vermutlich nicht ganz dein Geschmack, aber du hast keine andere Wahl. Im Übrigen war das mit der Hütte für dich kein Problem. Sie sind uns noch etwas schuldig. Du weißt ja: Mit den Kurierfahrten haben sie ziemlich gutes Geld verdient.«
Nok nickte. Sie sah übermüdet aus. Als sie ihr Foto in den Zeitungen gesehen hatte, war sie sofort mit dem Taxi zum Busbahnhof Mo Chit gefahren und hatte den nächsten Nachtbus nach Mae Sai genommen, einer Kleinstadt im äußersten Nordwesten des Landes, fast 900 Kilometer von Bangkok entfernt. Im Dunkel des Busses brauchte sie sich kaum Sorgen zu machen, erkannt zu werden, zumal sie schon im Taxi ein Kopftuch und eine Sonnenbrille getragen hatte. Mochte man sie für eine Muslimin halten, die es ja überall im Land gab, auch im hohen Norden. Im Morgengrauen hatte Ton mit seinem Jeep am Busbahnhof von Chiang Rai, der Provinzhauptstadt, gewartet, um die Kontrollposten der Armee und der Polizei zu umfahren, die vor allem dafür eingerichtet waren, um Drogenkuriere abzufangen. Noks Eltern in Mae Sai aufzusuchen, erschien ihr und Ton zu riskant, auch wegen der Nachbarn. Es war alles vorbereitet. Ton hatte Klebreis und Hühnerfleisch am Spieß gekauft, das Nok mit einer scharfen, grünen Chilisauce aus einer winzigen Plastikblase würzte, während Ton die Straße hinauf in die grün bewaldeten Berge nahm, die die Grenze zu Burma bildeten.
»Gut, dass er tot ist«, sagte Ton und beugte sich auf dem wackligen Schemel vor, während er die qualmende Zigarette zwischen den Lippen hielt. »Wir übernehmen quasi seinen Part wieder, wie vorher auch. Ich habe mir das schon überlegt. Du bringst die Steine nach Bangkok, sobald wieder Gras über diese Geschichte gewachsen ist. Du siehst schmal aus im Gesicht.«
»Ich war das nicht!«
»Das glaubt dir sowieso niemand. Es ist außerdem egal. Du wirst ohnehin gesucht, weil du ja nach Deutschland solltest.«
Nok schüttelte energisch den Kopf. »Das glaube ich nicht. Das wird den Behörden ziemlich egal sein, ob die Farang da zu ihrem Recht kommen. Die werden sich nicht viel Mühe geben, solange mich nicht wieder jemand auf dem Präsentierteller überreicht. Aber du hast recht: Gut, dass er tot ist. Und ich werde herausfinden, wer das getan hat, damit man mich in Ruhe lässt.«
»Nichts wirst du tun«, antwortete Ton hart und schnippte die Kippe weit von sich. »Du kannst ab und an mit nach Burma kommen, damit du die Wege kennenlernst. Das kann nicht schaden. Was ist mit diesem Farang?« Ton wandte sich seiner Schwester zu. »Der scheint ja unberechenbar zu sein. Wie kommt er dazu, dich einfach so aus dem Gefängnis zu ziehen? Ich meine, ist ja gut, dass er es gemacht hat, aber spinnt der? Sollen wir dafür sorgen, dass er geschnappt wird? Vielleicht glätten sich dann die Wogen etwas schneller.«
»Nein. Lass das!« Das war deutlich und bestimmt. Nok schaute hinunter ins Tal, aus dem die Nebelschwaden immer höher stiegen. Sie hatte Sehnsucht nach ihren Eltern, ihrer jüngeren Schwester, dem Haus, das sie ihnen dort unten gebaut hatte, als sie aus Deutschland zurückgekehrt war – mit dem Geld Lochners, das er beim Backgammon gewonnen oder ergaunert hatte, so ganz klar war das nicht. Jedenfalls hielten sich dadurch Noks Skrupel ziemlich in Grenzen, als sie es an sich genommen hatte. Und eigentlich auch, was seinen Tod anging. War nichts wert gewesen, der Kerl. Der Einzige, der sie jemals dermaßen über den Tisch gezogen hatte, dass sie … aber das war Vergangenheit.
»Nächste Woche kommst du am besten schon einmal mit«, schlug Ton vor. »Wir fahren hier über die Berge nach Burma, über Schleichwege. Wir nehmen wie immer einen der Akha mit. Die wissen, wie man an den Grenzern vorbeikommt. Und gleich im nächsten größeren Ort sitzt mein Händler. Zuverlässiger Typ. Hat saubere Steine.«
Nok nickte gedankenverloren. »Sauber, ja. Aber mit deinen dreckigen Amphetaminen lass mich in Ruhe. Damit will ich nichts zu tun haben.«
»Was ist? Denkst du an diesen Farang? Nok, ich kenne dich!«
6.
Wie Wagner auf die Sündenmeile der Sukhumvit Road gelangt war, wusste er selbst nicht mehr so genau. Er war mit der U-Bahn ziellos hin- und hergefahren, als könne er so seiner drohenden Verhaftung entfliehen. Schließlich war er an der Station Nana ausgestiegen und fand sich oben auf der Straße in einem engen Treiben aus Kleinhändlern auf dem Bürgersteig, hupenden und röhrenden Autos, Tuk-Tuks und Motorrädern wieder, die ihre Abgase mit der schwer lastenden Schwüle des ausklingenden Tages mischten. An der Straßenecke boten zwei Afrikaner Frauen zur Prostitution an. »Can I help you? You like black lady?«
Schon seit einiger Zeit hatte Wagner das Gefühl, dass ihm jemand folgte. Auch als er die Stufen zu einer der Fußgängerbrücken über die Sukhumvit Road nahm, um eines der unzähligen Department Stores auf der anderen Straßenseite zu betreten, sah er, dass dieser Polizist in seiner schwarzen Uniform etwa 10 Meter unter ihm dasselbe tat. Wagner wollte eigentlich nur in das Kaufhaus, um für eine Weile der Hitze zu entfliehen. Wohltuend empfing ihn die Kühle der Air-Condition-Anlage. Er nahm eilig die Rolltreppe, fuhr in die 4. Etage hinauf und betrat eine Buchhandlung. Verstohlen blätterte er in einer der bunt bedruckten Tageszeitungen, um zu prüfen, ob sein Konterfei ihm dort wieder entgegenlächelte. Dieses Mal nicht, stellte er erleichtert fest, schlenderte zu einem Regal hinüber, in dem Wörterbücher aufgereiht standen, und nahm absichtslos einen dicken Band »Deutsch-Thai« in die Hand. Er schlug ihn auf und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass dieser schwarze Bulle in der Nebenabteilung sich betont angestrengt in ein Buch vertieft hatte, in dem es offensichtlich um Wild Life ging. Ein zähnebleckender Tiger und ein Elefant mit erhobenem Rüssel teilten sich den Buchdeckel. War Wagner nahe daran, paranoid zu werden? Oder war das tatsächlich dieser Vierschröter mit schwarzem Stirnband, dem er auf dem Flur der Shiny Gem über den Weg gelaufen war? Diesmal ohne Stirnband, dafür aber als Polizist. Wagner stellte schnell das Buch zurück und verließ die Buchhandlung. Unten auf der Straße mischte er sich eilig unter die Passanten, die sich zwischen den Läden und den Kleinhändlern auf dem Bürgersteig aneinander vorbeischoben, wechselte in eine der Seitenstraßen und betrat einen der vielen Pubs, die nach außen hin offen waren. Junge Frauen bedienten Farang aller Coleur mit Bier oder Whiskey. Über den Gästen hingen Fernseher, in denen Fußball und Musikvideos gezeigt wurden, deren Klänge