Nirvana. Michael Azerrad

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Nirvana - Michael  Azerrad Rockbiographien

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wie „COK“, „POO“ oder „FUK“ ab.

      Unsere Gespräche waren sehr offen. Kurt hatte eine einfache Erklärung für seine Offenherzigkeit. Jeder hat es gelesen“, sagte er über seine oft publizierten Heroinprobleme,„also kann ich es gleich zugeben und versuchen, dem ganzen etwas Perspektive zu geben. Die Leute glauben, dass ich seit Jahren ein Junkie bin. In Wahrheit war ich nur sehr kurz drogenabhängig.“

      Darüber hinaus hatte er keine Angst, den gewaltigen Mythos um die Band oder sich selbst zu zerstören. Ganz im Gegenteil. „Ich wollte nie, dass wir mystifiziert werden“, sagte er einmal zu mir. „Es gab nur am Anfang einfach nichts über uns zu sagen. Jetzt, nachdem einige Zeit vergangen ist, haben wir eine Geschichte. Trotzdem denke ich jedesmal nach unseren Gesprächen: ,Gott, mein Leben ist so verdammt öde im Vergleich zu so vielen Menschen, die ich kenne.‘“

      Kurt wollte vieles richtigstellen. Es gab so viele Gerüchte über ihn, seine Frau und ihr Baby, dass er es für angebracht hielt, alles genauso zu erzählen, wie es war. Seine Erzählungen wirkten zwar manchmal selbstgerecht und gespickt mit krampfhaften Erklärungen und Widersprüchen, aber selbst diese verzerrte Darstellung enthüllte vieles über sein Leben, seine Kunst und die Zusammenhänge zwischen beidem.

      Kapitel eins

      Ein kleiner aufmüpfiger Junge mit fettigen Haaren

      Aberdeen, Washington (16.660 Einwohner), liegt hundertacht lange Meilen südwestlich von Seattle weit draußen an der äußersten Küste des Staates Washington. In Seattle regnet es schon häufig, aber in Aberdeen noch mehr, bis zu 200 cm pro Jahr. Das sorgt für eine andauernde Dunstglocke über der Stadt. Der nächste Freeway ist weit, daher dringt nichts herein und kaum etwas hinaus.

      Kunst und Kultur überläßt man hier lieber den hochnäsigen und großkotzigen Typen drüben in Seattle – zu den „faszinierenden Aktivitäten“, die in einer Broschüre der Grays Harbour County Chamber of Commerce aufgelistet sind, zählen Bowling, Motorsägen-Wettkämpfe und Spielhallen.

      An der Route 12, die nach Aberdeen führt, reihen sich die Wohnwagenparks endlos aneinander, dahinter liegen Hunderte Hektar Waldland, die an vielen Stellen dort, wo die Holzfäller Kahlschlag betrieben haben, durch große stoppelige Narben verunstaltet sind. Von Osten kommend, fällt einem am Wishkah River zuallererst der langgestreckte hässliche Weyerhauser-Holzlagerplatz ins Auge, auf dem die entasteten Leichen einstmals stolzer Bäume wie Opfer eines Massenmordes übereinandergestapelt sind. Von der anderen Seite des Flusses aus überblickt eine lange Reihe von Imbiss-Buden die Szene.

      Das Holzfällergewerbe bestimmt die Stadt; besser gesagt, es bestimmte sie einmal. Das Geschäft ist über die Jahre immer schlechter geworden, eine Kündigungswelle macht Aberdeen immer mehr zu einer Geisterstadt. In Zeiten wie diesen gibt es in den Straßen der Stadt immer mehr leere oder mit Brettern vernagelte Geschäftslokale. Lediglich Kneipen wie das Silver Dollar oder eine mit dem passenden Namen Pourhouse und der von Schusswaffen, Motorsägen und elektrischen Gitarren überquellende örtliche Pfandleiher florieren. Die Selbstmordrate im Grays Harbour County ist eine der höchsten in den ganzen Vereinigten Staaten; die Trunksucht greift um sich, und Crack gibt es hier auch schon seit Jahren.

      Die Menschen konzentrieren ihren Hass auf die Schleiereule – Kochrezepte für diese bedrohte Art findet man hier auf vielen Autoaufklebern –, obwohl die Dezentralisierung der Holzindustrie, die steigenden Arbeitskosten und die Automation die wahren Ursachen der Arbeitslosigkeit sind. Eine der größten Sägemühlen der Stadt beschäftigte früher jede Menge Arbeiter, jetzt gibt es dort nur mehr fünf: vier Menschen und eine computerisierte Schneidemaschine mit Lasertechnik.

      Eine der schnellstwachsenden Industrien in der Gegend ist der Anbau von Marihuana und psychedelischen Pilzen. Die Leute tun das, um ihre mageren oder gar nicht vorhandenen Einkommen aufzubessern.

      Die Verhältnisse waren nicht immer so hart. Früher einmal war Aberdeen ein geschäftiger Hafen gewesen, in dem die Seeleute gerne Rast, Essen und gemietete weibliche Begleitung suchten. Tatsächlich war die Stadt ein riesiges Bordell, dessen Mittelpunkt auf der berüchtigten Hume Street lag (die Stadtväter benannten sie in den fünfziger Jahren in State Street um, um die Erinnerungen zu tilgen). Später wurde die Stadt ein Eisenbahn-Endbahnhof und Stützpunkt für Dutzende von Sägemühlen und Holzfällerfirmen. Aberdeen wimmelte nur so von alleinstehenden jungen Männern, die mit der Holzindustrie eine Menge Geld machten, und die Prostitution florierte. Es gab teilweise bis zu fünfzig Bordelle (sogenannte „Frauenpensionen“) gleichzeitig. Die Prostitution währte bis in die späten fünfziger Jahre, als ein hartes Durchgreifen der Polizei der Sache ein Ende machte. Manche sagen, dass die rühmlose Vergangenheit der Stadt ihren Bewohnern einen Minderwertigkeitskomplex beschert hat.

      Genau dort wurde Kurt Donald Cobain am 20. Februar 1967 geboren, seine Eltern waren die Heimarbeiterin Wendy Cobain und ihr Mann Donald, Mechaniker beim Chevron-Stützpunkt der Stadt. Die junge Familie verbrachte die erste Zeit in einem Miethaus im nahegelegenen Hoquiam. Als Kurt sechs Monate alt war, zogen sie nach Aberdeen.

      Kurt wusste während seiner gesamten Kindheit und Jugend nicht, woher sein Familienname kam. Seine Großmutter mütterlicherseits stammte aus Deutschland, aber das war auch schon alles. Erst kürzlich hatte er entdeckt, dass der väterliche Zweig seiner Familie von Vollblut-Iren abstammt und dass Cobain eine Verballhornung des Namens Coburn ist.

      Obwohl die Cobains nur über bescheidene Mittel verfügten, ließ sich das Leben für ihren goldlockigen Sohn gut an. „Meine Mutter war mir körperlich immer sehr zugetan“, sagte Kurt. „Wir küssten uns zum Abschied und umarmten uns. Das war wirklich cool. Es überrascht mich immer wieder, dass es das in vielen Familien nicht gibt. Das waren damals glückliche Zeiten.“

      Kurts Schwester Kim wurde drei Jahre nach ihm geboren, aber Kurt und seine Mutter hatten schon ein festes Band geknüpft. „Das Erstgeborene ist besonders“, sagte Wendy, die jetzt zum zweiten Mal verheiratet ist und mit ihrem Mann und der acht Jahre alten Tochter noch immer im selben Haus in Aberdeen lebt. „Kein Kind kann auch nur annähernd an das herankommen. Ich war total auf ihn fixiert. Jede wache Stunde meines Lebens gehörte ihm.“

      Kurt war offensichtlich ein sehr aufgewecktes Kind. „Ich habe einmal sogar meine Mutter angerufen“, erinnerte sich Wendy, „und ihr erzählt, fast etwas beunruhigt zu sein, weil er Dinge wahrnahm, die sonst kein Kind in seinem Alter bemerkte.“

      Kurt zeigte sein Interesse für Musik schon mit zwei Jahren, was an sich nicht überrascht, da der mütterliche Zweig der Familie sehr musikalisch ist – Wendys Bruder Chuck war in einer Rock’n’Roll-Band, ihre Schwester Mary spielte Gitarre, und auch alle anderen hatten die eine oder andere musikalische Begabung. Zu Weihnachten wurde immer gemeinsam gesungen oder parodiert.

      Ein Onkel von Wendy war nach Kalifornien gezogen, hatte seinen Namen von Delbert Fradenburg in Dale Arden geändert, dort opernhafte Balladen gesungen und in den späten Vierzigern und frühen Fünfzigern ein paar Platten aufgenommen. Er schloss Freundschaft mit dem Schauspieler Brian Keith (der später Star der Sechziger-Situationskomödie „Family Affair“ wurde) und mit Jay Silverheels, dem Tonto in der Femsehserie „Lone Ranger“. „Es gab also schon vorher Berühmtheiten in der Familie“, scherzte Wendy.

      Tante Mary gab Kurt Platten von den Beatles und den Monkees, als er ungefähr sieben war. Sie lud ihn immer wieder in ihr Haus zu den Proben ihrer Band ein. Mary – eine Country-Musikerin, die immerhin auch schon eine Single aufgenommen hatte – spielte jahrelang in verschiedenen Bar-Bands in der Gegend, manchmal trat sie allein im Riviera Steak House auf, und einmal belegte sie bei einem lokalen Femsehwettbewerb namens „You Can Be a Star“ den zweiten Platz.

      Mary versuchte, Kurt das Gitarrespiel beizubringen, aber

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