Des Todes langer Schatten. Jost Baum

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Des Todes langer Schatten - Jost Baum Mord und Nachschlag

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Essen, Desinfektionsmittel und dem sauren Gestank nach menschlichen Ausdünstungen, doch jetzt mischte sich der herbe Duft eines männlichen Aftershaves in die Melange der Gerüche.

      Chaim Miller hatte die kurzen schwarzen Haare nach hinten gekämmt und mit Gel gebändigt. Jetzt glänzten sie wie der Lack eines Steinway-Flügels. Sein federnder Gang strotzte vor Energie; die Hände in den Taschen des Mantels vergraben, betrat er den Raum und setzte ein triumphierendes Lächeln auf, als er Duncan entdeckte.

      »Hallo Mr. Mühlbauer, schön Sie zu sehen nach all den Jahren«, sagte er mit leiser Stimme und einem nicht zu überhörenden englischen Akzent. Petersen furzte im Schlaf und drehte sich auf die Seite.

      Anke starrte Miller verständnislos an: »Ich dachte, Sie wollten zu Mr. Duncan?« Kopfschüttelnd wandte sie sich ab.

      »Ein alter Scherz zwischen uns«, rief ihr Duncan hinterher, wobei er fieberhaft überlegte, wo er dem Mann schon einmal begegnet war.

      Chaim Miller setzte sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer und erhob sich, als Anke mit einem Stapel frischer Bettwäsche zurückkehrte.

      »Zeit zum Windeln wechseln, Petersen«, grinste sie und schlug die Bettdecke zurück. Sofort war der Gestank von abgestandenem Urin und Schweiß in der Luft. »Na, das wird sich aber lohnen«, sagte Sie und beugte sich über dessen Unterleib.

      »Können die Herren nicht …«, jammerte Petersen und versuchte, die Bettdecke wieder zurückzuziehen.

      »I wo, Schätzchen, ich denke, dass die beiden Herrschaften schon einmal vertrocknetes Fleisch gesehen haben, nicht wahr?«, gackerte sie und öffnete mit einem heftigen Ruck die prallvolle Windel. Miller wendete sich ab.

      »Kommen Sie, Mühlbauer, ich schiebe Sie auf den Balkon«, sagte er und öffnete die Tür zu einem kleinen Abtritt, auf dem gerade Platz für den Rollstuhl und einen kleinen Hocker war.

      »Oder was halten Sie davon, wenn ich Sie mit ihrem Rollstuhl in den Speisesaal fahre«, schlug Miller vor und packte schon die Griffe des Gefährts, ehe sich Duncan wehren konnte.

      »Nehmt mich mit, ihr Pfeifen«, grunzte Petersen, der inzwischen eine frische Windel trug, voller Tatendrang.

      »Warum nicht?«, grinste Miller, »vielleicht sollten Sie sich in Schale werfen, bevor wir zu Tische schreiten.«

      »Ach was«, erwiderte Petersen genervt, »ich zieh mir den Bademantel über …«

      »Kommt nicht in Frage«, sagte Anke. »Gehen Sie beide schon mal voraus und ich werde dafür sorgen, dass sich Petersen was Ordentliches anzieht.«

      »Zicke«, zischte Petersen, während Miller Duncan aus dem Zimmer schob.

      Rio de Janeiro, 1934

      Der Dienst im diplomatischen Corps der britischen Regierung begann für Peter Duncan im Januar 1934. Vier Jahre zuvor, im November 1930, gelang es Brasiliens neuem Machthaber Getulio Vargas, einem geldgierigen Sprössling einer alteingesessenen Familie, die demokratische Regierung von Washington Luis zu stürzen. Von nun an strebte Vargas in Brasilien eine zentralistische Nationalisierungspolitik und die Wiedereinführung der Verfassung nach diktatorischem Vorbild an. Er besetzte alle wichtigen Posten mit Familienmitgliedern und anderen Günstlingen. Er betrachtete – wie alle Diktatoren – das Land als persönlichen Besitz und sorgte dafür, dass sich seine Konten im Ausland füllten. Vargas verehrte Hitler und war ein notorischer Judenhasser, der seine entschiedene Gegnerin, die linksgerichtete Jüdin Olga Benario, an Hitlerdeutschland auslieferte, wo sie 1942 in den Gaskammern des KZs Bernberg verstarb. Vargas hielt engste Beziehungen zu den Nazis, kooperierte mit der Gestapo, die seine politische Polizei ausbildete, und verbot Juden die Einreise nach Brasilien. Vargas förderte die Ausbreitung der NSDAP in Brasilien, ließ Nazi-Instrukteure ins Land, die an den wenigen deutschen Schulen des Landes indoktrinierten, und war ein glühender Bewunderer deutscher Waffentechnik, deren Vorreiter und Kenner er – im Gegensatz zu den Juden – gerne in sein Land ließ. Im Frühjahr 1934 entsandte Nazideutschland eine Delegation von hochrangigen Offizieren und exzellenten Segelfliegern nach Brasilien.

      Der Spitzel, den die englische Vertretung in Brasilien angeworben hatte, Major Fontanelle, inoffizieller Berater des Flugplatzes Campos dos Affonsos, zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als er die zierliche junge Frau in der Fliegermontur auf sich zukommen sah. Fontanelle, ein kleiner rundlicher Weißer, dessen Urgroßeltern aus Spanien stammten, schwitzte Blut und Wasser in seiner marineblauen Uniform, obwohl er den obersten Knopf einen Tag zuvor, bei dem Versuch sich rasch Luft zu verschaffen, abgerissen hatte. Er sehnte sich nach einem kräftigen Schluck Rum, denn er war sich nicht sicher, ob er vor den Piloten und hochrangigen SS-Offizieren strammstehen und salutieren oder sie lieber mit Nichtachtung strafen sollte.

      »Sind Sie hier der Oberkommandierende?«, fragte Hanna Reitsch im gebrochenen Portugiesisch, als sie vor ihm stand. Fontanelle nickte. Die Frau ging ihm knapp bis zur Schulter, aber sie strahlte eine unbändige Energie aus. Mit ihrem lockigen kastanienbraunen Haar, das kurz geschnitten war, und der schlanken drahtigen Figur, erinnerte sie den Major an einen dieser Chorknaben, die er sonntags in der Kapelle zur Heiligen Maria so gerne singen hörte. Das Gesicht hingegen, mit den langen Wimpern und den sinnlichen Lippen, war eindeutig das einer hübschen jungen Frau.

      »Der bin ich, Madame. Darf ich mich vorstellen?«

      Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Major Jose Philipe Fontanelle, erster und einziger Chef des Flughafens Campos dos Affonsos, am Fuße des Zuckerhuts gelegen und mit der besten Thermik in ganz Brasilien gesegnet. Das ist es doch, was Sie wissen wollten?«, versuchte er zu scherzen. Das war zwar glatt gelogen, aber bisher war ihm niemand auf die Schliche gekommen und das kleine Zubrot, das er sich verdiente, indem er Gerätschaften oder leerstehende Schuppen vermietete, obwohl sie ihm nicht gehörten, konnte er bei seinen enormen Verpflichtungen, die er gegenüber seiner sechsköpfigen Familie hatte, gut gebrauchen.

      »Kommen Sie uns bloß nicht komisch«, zischte Josef Kaltenbrunner auf Deutsch, der die Gestik und Mimik des Majors zu deuten suchte. Kaltenbrunner, groß, blond und mit einem massigen, aber teigig wirkenden Körper, baute sich vor Fontanelle auf und stieß ihm mit dem Finger auf die Brust.

      »Wir brauchen einen Hangar für unsere Segelflugzeuge und eine motorbetriebene Seilwinde. Und das ein bisschen plötzlich.«

      »Josef, nun reiß dich doch mal zusammen. Der Major versteht doch kein Wort von dem, was du von ihm willst«, mischte sich Hanna ein.

      Die drei SS-Offiziere, alle in Reitstiefeln und schwarzer Uniform, betrachteten das Schauspiel mit der kalten Gelassenheit von Reptilien, die jeden Moment zuschnappen konnten.

      Duncan hatte die Szene nur wenige Schritte entfernt beobachtet. Der Leiter des britischen diplomatischen Corps, Sir Reginald Donovan, hatte ihm aufgetragen, die deutsche Delegation im Auge zu behalten und in Erfahrung zu bringen, was diese Segelfliegercrew in Brasilien wollte. Duncan war der Sohn einer deutschen Lehrerin, die der Liebe wegen nach England gereist und dort geblieben war. Duncan sprach akzentfrei Deutsch. Der hagere junge Mann mit der hohen Stirn und den intelligenten blauen Augen galt bereits in der Universität als aussichtsreicher Kandidat für eine diplomatische Karriere. Er war fleißig, redegewandt und verfügte über eine schnelle Auffassungsgabe. Donovan ging davon aus, dass sich Kaltenbrunner mit ihm in Verbindung setzen würde. Donovan hatte ihm verraten, dass Kaltenbrunner Geld brauchte und dafür bereit war, Führer, Gott und Vaterland zu verraten. Aber niemand wusste genau, wann und wie das geschehen würde. Duncan war ratlos, als Mitarbeiter der Botschaft war er damit betraut, die britischen Wirtschaftsinteressen in Brasilien zu unterstützen. Das bedeutete in der Regel, dass er britische

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