Des Todes langer Schatten. Jost Baum

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Des Todes langer Schatten - Jost Baum Mord und Nachschlag

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drei SS-Offiziere, die man uns als Begleitschutz mitgegeben hat, jede unserer Äußerungen registrieren und uns nicht aus den Augen lassen. Mit meinen Kameraden, den beiden Flugzeugmechanikern, verstehe ich mich jedoch prächtig.

       Professor Georgii, der wissenschaftliche Leiter der Expedition, scheint in seiner Aufgabe aufzugehen und hat sich bisher als kompetenter Fachmann erwiesen. Ohne die Kontrolle durch die SS und Leutnant Kaltenbrunner wäre die Expedition sicherlich noch viel interessanter. Hanna Reitsch ist vermutlich bewusst, dass sie als Aushängeschild der zukünftigen deutschen Luftwaffe gilt.

      Jetzt ist Siesta, von mittags zwölf bis nachmittags um drei, vier Uhr. Wie gelber Honig tropft die Hitze durch die Risse und Löcher des Wellblechdaches der Flugzeughalle, in der wir untergebracht sind. Staubpartikel flirren in den Lichtstrahlen, die die Mittagssonne durch die beiden Fensteröffnungen schickt, die an der Seitenwand des Hangars angebracht sind. Kein Lüftchen regt sich. Es ist heiß wie in einem Backofen, deshalb mache ich auch kein Auge zu. Ich wünschte, ich wäre zuhause, Liebes, und könnte dich in die Arme schließen. Stattdessen wartet jede Menge harte Arbeit auf mich. Wir Soldaten haben die alten Ölfässer und die zerborstenen Motorblöcke beiseitegeräumt, um Platz für die vier silbernen Vögel zu schaffen, die wir hintereinander auf dem ölverschmierten Betonboden aufgereiht haben. Die Fafnir, ein Hochleistungssegler, der besonders für weite Strecken taugt, sieht mit ihren angewinkelten Flügeln wie ein Bussard aus. Sie steht vor der Moatzgotl, die den Namen eines aztekischen Gottes trägt, weil sie extra für die Südamerikareise konstruiert worden ist. Die etwas kleinere Condor, das nächste Flugzeug in der Reihe, ist kunstflugtauglich und soll von Hanna Reitsch geflogen werden. Ihre Überschläge und Fieseler Manöver sollen das brasilianische Publikum für die Delegation aus Nazideutschland begeistern. Das Grunau-Baby, die kleinste Maschine in der Flotte, ist als Schulungsmaschine für die jüngeren Zuschauer gedacht. Eine weitere Maßnahme, um die Sympathie der Brasilianer zu wecken. Auf jeder Tragfläche sind unten und oben blutrote Quadrate angebracht, in denen das schwarze Hakenkreuz prangt. Wenn die Menschen die silbernen Vögel mit den bedrohlichen Emblemen am Himmel schweben sehen, werden sie wissen, wer nicht nur die Lufthoheit für sich beansprucht. Kaltenbrunner hat die Arbeiten beaufsichtigt, während Hanna Reitsch mit mir die Wind- und Wetterverhältnisse über Funk abgefragt hat. Die drei Offiziere haben währenddessen außerhalb des Hangars im Schatten einer Mauer in ihrem Auto, einem gepanzerten Horch, gesessen, eine silberne Taschenflasche mit Cognac kreisen lassen und dabei Skat gespielt.

       Professor Georgii ist bereits ins Hotel Imperial gefahren, um sich auszuruhen.

       Vor Obersturmbannführer Mühsal habe ich Angst. Kaltenbrunner hat den Auftrag, Hanna Reitsch zu bespitzeln, er soll sie nicht aus den Augen lassen, während sie sich mit einem der Briten trifft, der für uns den Dolmetscher spielt. Alles in allem habe ich das Gefühl, jeder beobachtet jeden. Was als Segelflugexpedition begann, ist inzwischen Teil einer gewaltigen Propagandamaschinerie.

       Gleichzeitig will man wohl die Briten aushorchen und beobachten, wie groß ihre militärische Stärke in Südamerika ist.

       Kaltenbrunner wird alles tun, um der SS zu gefallen. Dazu wird er über Leichen gehen. Ich bin mal gespannt, was er als Nächstes tun wird, um an die Lorbeeren zu gelangen, die er braucht, um auf der Karriereleiter ein Stückchen höher zu klettern. Außerdem hat er ein Auge auf Hanna Reitsch geworfen. Bisher hat sie ihn ignoriert, aber ich weiß nicht, wie lange sie das noch schafft. Andererseits hätten wir Soldaten vermutlich unsere Ruhe, wenn Hanna mit Kaltenbrunner schäkern würde … Wie auch immer. Ich muss mich beeilen, Liebes, ich schreibe Dir bald wieder!

       Gruß und Kuss, Dein Heinrich

      Vorspeise

      Chaim Miller hatte sich einen Stuhl geschnappt und setzte sich rittlings vor den alten Mann im Rollstuhl, nachdem er ihn an einen Tisch des Speisesaals geschoben hatte. Duncan bestand nur noch aus Haut und Knochen. Aber in seinem bleichen, zusammengefallenen Gesicht blitzten hellwache Augen. Sie waren alleine, es war kurz vor zwölf, die Gäste des Hauses aßen gewöhnlich später zu Mittag.

      »So, so, im Rollstuhl. Wie haben Sie das denn geschafft, Mühlbauer?«, grinste Miller und nestelte aus seiner Trenchcoattasche eine Packung Marlboro hervor.

      »Rauchen verboten«, erwiderte Duncan stattdessen. Mit einem Seufzen steckte Miller die Zigarette wieder zurück.

      »Okay, also noch einmal von vorne. Ich beobachte Sie schon eine ganze Weile, aber mir ist nicht aufgefallen, wie Sie im Rollstuhl gelandet sind.«

      Petersen tauchte auf. Er trug einen zerknitterten schwarzen Anzug, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Petersen beobachtete die beiden aus tränenden Augen, mit Ringen groß wie Wagenräder, und malmte mit dem zahnlosen Mund, wobei sich ein Speichelfaden selbstständig machte. Dann rülpste er lauthals. »Besuch aus Moskau?«, grinste er, auf Miller deutend.

      »Nicht dass ich wüsste«, antwortete Duncan. Seine Stimme war hart und klar.

      Petersen war in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Nach seiner Entlassung 1950 war er in den aktiven Polizeidienst zurückgekehrt. Er hatte ein paar Jahre lang das Dezernat für Einbruch und Diebstahl in Kiel geleitet, bis er bei einer Ermittlung auf einen ehemaligen Kriegskameraden gestoßen war. Wie er selbst Mitglied der Waffen-SS, aber nach dem Krieg auf der anderen Seite tätig, Kopf einer Diebes- und Hehler-Bande. Mertens mit Namen. Er erkannte Petersen und setzte ihn unter Druck. Petersen schaute daraufhin bei seinen Ermittlungen öfter mal weg, dumm nur, dass sein Chef den Deal bemerkte. Es kam zu internen Untersuchungen, bei denen am Ende die unehrenhafte Entlassung aus dem Polizeidienst stand. Petersen hatte Pech gehabt, andere wären befördert worden, es gab genug Seilschaften in der jungen Republik, die aus ehemaligen Nazigrößen bestanden. Danach fristete Petersen sein Leben als Wachmann einer Werft. Nachtschicht, viel Alkohol, eine gescheiterte Ehe und ein Sturz im Suff von der Reling eines aufgedockten Schiffes. Danach war es mit Petersen immer weiter bergab gegangen. Das Ende vom Lied war beginnende Demenz, ein Platz im Altersheim und nach einer Prostataoperation eine ständige Inkontinenz. Ein Sohn aus erster Ehe, inzwischen Chef im »Haus Meerblick«, konnte die Rechnungen nicht mehr bezahlen, die ihm das Altersheim schickte. Als Ausweg bot er Petersen ein Zimmer im Hotel und eine warme Mahlzeit am Tag an. Petersen lebte in der Vergangenheit, eine große Nummer im Krieg, Obersturmbannführer, für die Deportation tausender Russen in Kriegsgefangenenlager zuständig. Nach dem verlorenen Russlandfeldzug hatte man ihn und ein Dutzend anderer Soldaten erwischt und nach Sibirien verfrachtet. Adenauer war es gelungen, mit der russischen Regierung zu verhandeln und die noch lebenden deutschen Soldaten aus dem Lager zurückzuholen. Schon vor dem Krieg war Petersen ein Nazi aus Überzeugung gewesen, aber das Lager hatte ihn endgültig zum Russenhasser gemacht.

      Rio de Janeiro, 1934

      Das Hotel Imperial, ein dreistöckiges, stuckverziertes Jugendstilgebäude, stand am nordwestlichen Rand des Parks Campo de Santona und war das teuerste Etablissement am Platz. In Zimmer 302 der Nobelherberge starrte Josef Kaltenbrunner in den goldumrahmten Spiegel, der über dem Waschbecken aus Marmor in dem riesigen Badezimmer hing. Was er sah, machte ihn noch kränker als er bereits war. Grobe Poren und tiefe Narben, die eine jugendliche Akne hinterlassen hatte, bedeckten sein erhitztes rosiges Gesicht. Sein massiger Körper dampfte von der heißen Dusche, die er genommen hatte. Er spürte, wie eine Welle der Übelkeit in ihm hochstieg. Für einen kurzen Moment stützte er sich auf das Waschbecken und schloss die Augen. Er hatte seit drei Tagen nicht mehr geschlafen, trotzdem hatte sein Gehirn nicht genügend Serotonin produziert, um seine tiefe Depression zu überwinden. Er fühlte nichts mehr, weder Wut über die Ablehnung, die er von Hanna erfahren hatte, noch freute er sich auf die Flüge, die ihnen bevorstanden. Er hatte seit 24 Stunden nichts mehr gegessen, trotzdem verspürte er keinen Hunger. Kaltenbrunner drehte sich um, ging ein paar Schritte

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