Der weiße Adler. Thomas Wünsch
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der weiße Adler - Thomas Wünsch страница 13
Pommern bildet, neben Schlesien, einen weiteren bedeutenden Bestandteil der polnischen Westgrenze. Dabei ist hier die Nomenklatur bedeutsam, denn das Herzogtum der Greifen bzw. der »Stettiner« Herzöge, das mit der späteren preußischen Provinz Pommern identisch ist, wird in der polnischen Forschung als »Westpommern« (Pomorze Zachodnie) bezeichnet. Damit grenzt man es ab gegen ein östliches Pommern, das in der deutschen Geschichtsforschung wiederum als »Pommerellen« begegnet. Der »Pommern« genannte Teilraum eines größeren pomoranischen Siedlungsgebiets dehnte sich im 12. Jahrhundert über die Oder in Richtung Westen aus und bildete am Ende eines längeren Prozesses der Territorialisierung einen Staat an der Ostseeküste zu beiden Seiten der Odermündung. Bedeutsam ist auch im Fall Pommerns, ähnlich wie in Schlesien, die ethnische Verschiebung, die sich durch die deutsche Einwanderung ergeben hat. Aus einem westslawischen Herrschaftsgebilde, das Teile des pomoranischen und des liutizischen Stammesverbandes in sich vereinigte, wurde durch die Immigration und Integration von Deutschen der niederdeutsche »Neusiedelstamm« der Pommern. Verantwortlich für diese Entwicklung war die Politik der Pommernherzöge, die, ähnlich den schlesischen Herzögen, den Landesausbau förderten. Während Pommerellen dominant unter dem Einfluss der polnischen Politik stand, befand sich Pommern innerhalb des Mächtedreiecks Römisch-deutsches Reich (über seine Territorien Sachsen und Brandenburg), Polen und Dänemark. Dadurch ergab sich eine Situation, bei der wechselnde Machtverhältnisse auch wechselnde Zugehörigkeiten Pommerns nach sich zogen: War Pommern zunächst (1121) vom polnischen Herzog abhängig, erkannte dieser 1135 auf einem Hoftag gegenüber Kaiser Lothar von Supplinburg die kaiserliche Lehnshoheit über Pommern an. Auch wenn Pommern möglicherweise nicht als Ganzes in diese staatsrechtliche Stellung gelangte, sondern Teile noch unter der Herrschaft polnischer Herzöge verblieben, wurde dieser Kurs einer reichsrechtlichen Lehnsherrschaft aufrechterhalten. Von Friedrich Barbarossa (reg. 1155–90) nimmt man an, dass er den Pommernherrscher nicht in den engeren Reichsverband aufgenommen habe, sondern Pommern als eigenständige Slawenherrschaft mit dem Imperium verbunden habe. Daraus ergaben sich so auch machtpolitische Spielräume, und man wird die Stellung Pommerns im weiteren Mittelalter streckenweise mit derjenigen Polens, Böhmens, Ungarns oder Dänemarks vergleichen dürfen. Erst als Kaiser Friedrich II. (reg. 1220–50) das Herzogtum Pommern der Markgrafschaft Brandenburg unterstellte und es also wie ein direktes Reichslehen behandelte, kann man die Pommernherzöge als deutsche Fürsten bezeichnen.
Die volle Reichsstandschaft, die auf dem Hoftag von Frankfurt 1338 erreicht wurde, und der staatsrechtliche Status Pommerns als eines vollberechtigten Fürstentums des Heiligen Römischen Reichs änderte natürlich nichts daran, dass andere Bindungen bestehen blieben. Die Herzöge von Pommern-Wolgast etwa waren zeitweise lehnsabhängig von Dänemark. Die polnischen Könige wiederum banden die pommerschen Herzöge im 14. und 15. Jahrhundert lehnsrechtlich an ihre Krone, indem sie ihnen Territorien für geleistete Dienste verliehen. Hinzu kommen Verflechtungen mit dem Staat des Deutschen Ordens, wodurch insgesamt eine Konstante pommerscher Politik deutlich wird: das Streben nach möglichst großer Selbständigkeit – und das nicht etwa in expansiver Form, sondern indem man sich als stabilisierender Faktor in einem Raum wechselnder Machtbalancen etablierte.
Den dritten Teil der Westgrenze Polens, zugleich eine dritte Variante von ambivalenter Zugehörigkeit, bildet das Ordensland Preußen. Der als Hospitalbruderschaft im Heiligen Land gegründete Orden wurde 1198 nach dem Muster von Johannitern und Templern in einen Ritterorden umgewandelt und bildete einen weltlich-militärischen Zweig aus. Im Unterschied zu Templern und Johannitern neigte der Deutsche Orden, unterstützt durch zahlreiche Schenkungen vor allem aus kaiserlichem Besitz, zu einer Territorialbildung. Der ritterliche Kampf gegen die »Heiden« gerade in den Randgebieten des Heiligen Römischen Reichs, beginnend in Ungarn, verschaffte dem Orden die Möglichkeit, zusammenhängende Besitzkomplexe zu erwerben. Das im Fall des ungarischen Burzenlands noch gescheiterte Vorgehen war in Preußen erfolgreich, und es trug dieselbe Handschrift: Zunächst ließ sich der Orden Grundbesitz im Grenzbereich eines gesicherten Herrschaftsverbandes zusichern, dem der Orden aufgrund von Exemtion (einer rechtlichen Ausnahmestellung) aber nicht lehnsrechtlich unterstellt war. Als nächster Schritt erfolgte eine territoriale Aneignung in einem von »Heiden« beherrschten Land – und als dritter Schritt schließlich die Etablierung eines autonomen Territoriums, das an die Ausgangsbasis anschloss. Der Orden konnte sich aufgrund seiner Privilegierung durch beide mittelalterliche Zentralgewalten, Kaiser und Papst, relativ sicher sein; hinzu kommt eine in seinem Fall perfektionierte prospektive Privilegierung durch die an seinem Wirken interessierten Herrscher: Der Orden ließ sich Urkunden mit der Übertragung von Besitztümern ausstellen, die weder ihm selbst noch dem Aussteller gehörten. Seine Funktion innerhalb der Expansionspolitik christlicher Herrscher leitete der Orden zu seinen Gunsten um, indem er die kriegerischen Aufträge für eine Kumulation von Besitzrechten nutzte. Als Herzog Konrad von Masowien den Deutschen Orden rief, um mit seiner Hilfe sein Herrschaftsgebiet in den Machtbereich der noch nicht christianisierten Pruzzen auszudehnen, sicherte sich der Orden erst durch die von Friedrich II. verliehene Goldbulle von Rimini ab (1226), bevor er mit der Eroberung des Kulmer Lands und der übrigen pruzzischen Gebiete begann (1231). Die Zustimmung der Kurie folgte in Gestalt der Bulle von Rieti (1234), wodurch dem Orden eine praktisch unangreifbare Machtstellung verschafft worden war.
Mithilfe von Kreuzzugsaufrufen und einer ganzen Reihe an (meist adeligen) »Gästen« aus ganz West- und Mitteleuropa konnte der Orden die Unterwerfung der Gebiete zwischen Weichsel und Memel bewerkstelligen. Seine landesherrlichen Ambitionen zeigten sich bereits in der Eroberungsphase: Viele der zu militärischen Zwecken gegründeten Burgen – Thorn, Kulm, Marienwerder, Elbing, Braunsberg, Königsberg usw. – entwickelten sich später zu urbanen Zentren des Landes. Der Orden betätigte sich, ähnlich den schlesischen und pommerschen Herzögen, massiv im Landesausbau: Unter dem Schirm der Burgen gestattete er die Ansiedlung von Bürgern, denen das (deutsche) Stadtrecht verliehen wurde. Auch Landbevölkerung wurde aus deutschen Gebieten angeworben, womit sich insgesamt eine bemerkenswerte kolonisatorische Leistung des Ordens feststellen lässt. Die überlebenden Pruzzen konnten, soweit sie die Oberhoheit des Ordens anerkannten, in ihren bisherigen Rechtsverhältnissen weiter existieren; Ähnliches galt für die polnischen Einwohner des Ordenslandes. Damit ergab sich zunächst eine Differenzierung zwischen dem nach Kulmer Recht angesiedelten (hauptsächlich deutschen) Stadtbürgertum und einer Landbevölkerung, die anderes Recht besaß. Doch verhinderte das nicht, dass ethnische Verschmelzung stattfand.
Die besondere Rolle Preußens für Polen ergibt sich nun daraus, dass der Ordensstaat zu einer Bedrohung für den polnischen Staat wurde. Am Beginn steht die masowische Fehlkalkulation, was die Leistung des Ordens im Krieg gegen die Pruzzen anging. Denn dass der Orden aus den übertragenen und eroberten Gebieten einen souveränen Staat aufbaute, war nicht geplant gewesen. Hinzu kommt eine zweite Fehleinschätzung, als Herzog Władysław łokietek glaubte, mithilfe des Deutschen Ordens die Brandenburger aus Pommerellen vertreiben zu können. Denn die Ordensritter eroberten das Land für sich und gliederten es ihrem Herrschaftsbereich an. Seit diesem Datum (1309) besteht ein kriegerisches Verhältnis zwischen dem Deutschordensstaat und dem Königreich Polen, das zwischenzeitlich nur durch die Ostpolitik Kazimierz’ III. zur Ruhe kam. Doch waren weitere Konflikte vorprogrammiert – schon allein aufgrund der Tatsache, dass der Hochmeister den Sitz des Ordens eben 1309 nach Preußen verlegte. Damit befand sich ein souveräner, von Papst und Kaiser gedeckter Fürst mit Residenz auf der Marienburg in unmittelbarer Nähe der neuen, expansionsfreudigen polnischen Monarchie. Solange der Orden sein Image eines Protagonisten der Kreuzzugsidee aufrechterhalten konnte, und solange der Gegner in der Hauptsache nur Polen war, bestand für den Orden keine existenzielle Gefahr; die ökonomische Entwicklung