Der weiße Adler. Thomas Wünsch

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Der weiße Adler - Thomas Wünsch marixsachbuch

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Antemurale Christianitatis, einer »Vormauer des Christentums« (worauf noch einzugehen sein wird). Das war die Losung, die von den polnischen Intellektuellen seit Beginn des 15. Jahrhunderts ausgegeben wurde, und die andeuten sollte, dass das um Jahrhunderte später christianisierte Polen nun den alten Zentren Europas den Rang abgelaufen hatte und zur Avantgarde der christlichen Staatengemeinschaft mutiert war.

      Um die Leistung des letzten Piasten Kazimierz’ III. würdigen zu können, hilft ein Blick auf die europäische Bühne. Man hat für diese Zeit von einer »Blüte der Staaten« gesprochen, und auch wenn solche Metaphern aufgrund ihrer hierarchisierenden Qualität skeptisch gesehen werden müssen, frappiert doch die Paralelle an äußerer und innerer Machtentfaltung in ganz Mitteleuropa im 14. Jahrhundert. Expansionspolitik war dabei nur ein Faktor unter mehreren; genauso wichtig (und in den Folgen oft anhaltender) waren gesetzgeberische und ordnungspolitische Maßnahmen. Ludwig der Große von Ungarn, Karl IV. von Böhmen, Rudolf der Stifter von Österreich, Dušan der Große von Serbien und Kazimierz der Große von Polen gehören in ein und dasselbe Paradigma. Sie alle verbindet die Stärkung der Zentrale, was die Verwaltung anging, und eine entschiedene Förderung der Wirtschaft. Hinzu kommt ein weiterer Faktor, der auch im Fall Polens weitreichende Wirkung entfaltet hat: die Übernahme ideologischer Konstrukte – sei es in Form von Rechtsvorstellungen, sei es in Form eines staatsrechtlichen Einheitsgedankens. Kazimierz III. implantierte in Polen (wie die Könige Ludwig in Ungarn und Karl in Böhmen) in gewissem Umfang das sonst in Ostmitteleuropa eher nicht gebräuchliche Lehnrecht, machte Anleihen aus dem Kaiserrecht und bediente sich der abstrakten Staatsvorstellung einer »Krone« (corona). Damit war ein ideologisches Substrat in die praktische Politik eingeführt, das die heterogenen Herrschaftsgebiete Polens unter ein Dach brachte. Symbol dieses Daches war nach wie vor die physische Krone des Herrschers – aber die Idee der Krone verlieh ihr einen Bedeutungszuwachs: Mit der Staatskonstruktion »Krone« versuchten die drei ostmitteleuropäischen Monarchen, unter ihnen der polnische König, die verbindenden Elemente anzusprechen. Dahinter steht die Idee, kulturell und wirtschaftlich divergente Gebiete durch die Betonung ihrer Zugehörigkeit zu einem übergeordneten Ganzen zu vereinen. Die »Krone« bildete eine Achse der Gemeinsamkeit, über die Stände und die Regionen hinweg. Versehen mit dem Futter der königlichen Sakralität, konnte so eine quasi-imperiale Herrschaft aufgebaut werden.

      Konkret wirkte sich diese neue königliche Politik in Polen so aus, dass Lehnsbindungen etabliert wurden. Ähnlich der Politik Karls IV. in Böhmen, der die schlesischen Herzogtümer durch Lehnsverträge mit der »Krone Böhmen« verband, brachte Kazimierz III. das Herzogtum Masowien, litauische Fürstentümer und Teile des Fürstentums Halicz-Wolhynien (Wladimir, Chełm und Bełz, Podolien) unter seine »Krone Polen«. Administrative Maßnahmen mit klar zentralistischer Absicht verstärkten diese Politik: So setzte Kazimierz in den Provinzen des Reichs Starosten ein, denen die Organisation der Verwaltung unterstand. Mit dem Krakauer Groschen wurde eine Einheitswährung geschaffen (nach böhmischem Vorbild), die ebenfalls daraufhin angelegt war, Einheitlichkeit herzustellen. Demselben Zweck diente die Herausbildung einer Beamtenschaft und die Modernisierung der königlichen Kanzlei als der administrativen Schaltzentrale des Reichs. Wenn Kazimierz aber das Gros der Beamten aus seinem »Stammland« Kleinpolen rekrutierte, zeigte sich daran auch, dass die Vereinheitlichung des Reichs auf zentralistischen Vorstellungen mit einer regionalen Machtbasis beruhte. Dennoch ist das Bemühen des Monarchen zu erkennen, solche Instrumente seiner Herrschaft zu etablieren, die partikulare Interessen überstiegen. An erster Stelle ist dabei die Kodifikation der Gesetze zu nennen. Es war ein ständiges und überall anzutreffendes Problem der mittelalterlichen Rechtspraxis, dass die landrechtlichen Bestimmungen nur verstreut und ungeordnet zur Verfügung standen. Der Qualität der Rechtsprechung, auch was die Länge der Verfahren anging, war dies extrem abträglich. Maßnahmen zur Kodifikation, die neben der Zusammenstellung auch eine Abgleichung der Rechtsnormen mit sich brachte, sollten dem abhelfen. Mit den Statuta Casimiri von 1347 wollte Kazimierz ein Gesetzeswerk zur Verfügung stellen, das mit dem Entwurf der Majestas Carolina Karls IV. von 1355 verglichen werden kann. Während Karl sein Kodifikationswerk nicht durchsetzen konnte, brachte Kazimierz seine Sammlung auf den Weg – allerdings mit dem Abstrich, doch regionale Besonderheiten der alten polnischen Kernlandschaften Groß- und Kleinpolens berücksichtigen zu müssen.

      Ein Bündel von Motiven stand hinter der Gründung der ersten Universität Polens 1364, gestiftet von Kazimierz dem Großen und bestätigt von Papst Urban V. Man kann die Einrichtung dieses Studium Generale ebenfalls als einen Ausfluss zentralistischer Politik sehen, als dessen (eines) Ergebnis die Heranbildung eines juristisch geschulten Hof- und Verwaltungspersonals klar vorgegeben war. Aber darin erschöpft sich dieser Akt nicht. Der polnische König orientierte sich beim Aufbau der Universität an dem Modell, das Bologna vorgegeben hatte. Damit war verbunden, dass die Studenten den Rektor wählten, und dass die Jurisprudenz eine überragende Stellung erhalten würde. In der Tat sah der Einrichtungsplan drei Lehrstühle für Kirchenrecht und noch einmal drei für Zivilrecht vor; mit dem im folgenden Jahr geplanten Ausbau um weitere zwei zivilrechtliche Lehrstühle wären es dann fünf Professoren gewesen, die sich mit dem Römischen Recht befasst hätten. Diese europaweit außergewöhnliche Konzentration von juristischer Ausbildung hätte der Universität Krakau nicht nur eine Sonderstellung in diesem Feld verschafft, sondern auch genügend Distanz zur unmittelbaren Vorgängergründung in Prag verschafft. Die dort von Karl IV. 1348 ins Leben gerufene Universität besaß einen klaren Schwerpunkt in der Theologie und orientierte sich am Modell der Universität Paris. Mit der Bestimmung, dass der Kanzler der königlichen Kanzlei die akademischen Prüfungen zu bestätigen hatte, nicht der (für gewöhnlich zuständige) Ortsbischof, setzte Kazimierz einen weiteren Akzent auf den Typus einer staatstragenden Einrichtung.

      Die Voraussetzungen waren gut: Nicht nur, dass hinter der Gründung der Hochschule ein starker Herrscher stand; die Stadt Krakau selbst war als Zentrum auf einem international bedeutenden Handelsweg zwischen den deutschen Ländern und der Levante bzw. weiter in Richtung Moskau sehr wohl geeignet, den nötigen urbanen Rahmen für eine solche Einrichtung abzugeben. Krakau war die Hauptstadt des wiedervereinigten polnischen Königreichs und damit das Machtzentrum schlechthin. Hinzu kommt, dass es Kazimierz der Große geschafft hatte, mit einem Gesuch an den Papst die Problematik der zur Fahrt ins Ausland gezwungenen Scholaren aus Polen deutlich zu machen; damit war die (neben dem Kaiser) wichtigste mittelalterliche Zentralgewalt als Stütze für das neue Studium generale gewonnen. Allerdings, und das bedeutete einen gravierenden Mangel, hatte die Bestätigung durch Papst Urban V. die Errichtung einer theologischen Fakultät ausdrücklich ausgeschlossen. Mag sein, dass es dieser Prestigeverlust im Bereich der drei Höheren Fakultäten (Theologie, Recht, Medizin) war, mag sein, dass die Universitätsgründung relativ am Herrschafts- und Lebensende des Königs nicht mehr fest genug etabliert werden konnte: jedenfalls ist die erste Phase der Krakauer Universität keine Erfolgsgeschichte. Wir kennen kaum Tätigkeiten von Professoren, und an Abschlüssen sehen wir lediglich vier Bakkalare im Grundstudium der Artes Liberales. Magisterpromotionen wurde keine einzige durchgeführt, von Doktorpromotionen ganz zu schweigen. Der Unterricht erfolgte im königlichen Schloss und in der Krakauer Nebenstadt Kazimierz – was auch bedeutete, dass man über kein eigenes Gebäude verfügte. Die Universität Krakau als Bildungseinrichtung, die für ganz Ostmitteleuropa von Gewicht war, ist ein Phänomen erst aus jagiellonischer Zeit – mit dem Aufbau einer eigenen theologischen Fakultät 1397 und einer regelrechten Neugründung im Jahr 1400. Dennoch verdient festgehalten zu werden, dass die Gründung durch König Kazimierz III. seinem Staat die erste und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts einzige polnische Volluniversität beschert hat, und dass mit dem Stiftungszweck der Juristenausbildung ein grundlegendes Erfordernis für eine »moderne« Monarchie erkannt wurde.

      Dem Faktor der Modernisierung diente auch die unter Kazimierz III. vorangetriebene Binnenkolonisation. Es geht um die Wirkung der deutschrechtlichen Siedlungen, die als Motoren für die Entwicklung von Wirtschaft und Handel längst evident geworden waren. Die Wiedervereinigung Polens und die Rolle Kleinpolens in diesem Prozess legten den Grundstein für die Weiterführung der Stadtgründungswelle des 13. Jahrhunderts. Damals war vor allem Schlesien der Profiteur gewesen, das inzwischen die polenweit größte Bevölkerungsdichte aufwies und zur wirtschaftlich bestentwickelten Region Polens avanciert

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