Vor Sonnenaufgang. Gerhart Hauptmann
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HELENE.
Schwager, Du könntest . . . (sie entdeckt Loth und zieht sich schnell zurück). Ach! ich bitte um Verzeihung (ab).
HOFFMANN.
Bleib’ doch, bleib’!
LOTH.
Deine Frau?
HOFFMANN.
Nein, ihre Schwester. Hörtest Du nicht, wie sie mich betitelte?
LOTH.
Nein.
HOFFMANN.
Hübsch! Wie? – Nu aber erklär’ Dich! Kaffee? Thee? Grog?
LOTH.
Danke, danke für Alles.
HOFFMANN
(präsentirt ihm Cigarren). Aber das ist was für Dich – nicht?! . . . auch nicht?!
LOTH.
Nein, danke.
HOFFMANN.
Beneidenswerthe Bedürfnißlosigkeit! (Er raucht sich selbst eine Cigarre an und spricht dabei.) Die A . . Asche, wollte sagen der . . . der Tabak . . . ä! Rauch natürlich . . . der Rauch belästigt Dich doch wohl nicht?
LOTH.
Nein.
HOFFMANN.
Wenn ich das nicht noch hätte . . . ach Gott ja, das bischen Leben! – nu aber thu’ mir den Gefallen, erzähle was. – Zehn Jahre – bist übrigens kaum sehr verändert – zehn Jahre, ’n ekliger Fetzen Zeit – was macht Schn . . . Schnurz nannten wir ihn ja wohl? Fips, – die ganze heitere Blase von damals? Hast Du den Einen oder Anderen im Auge behalten?
[15]LOTH.
Sach ’mal, solltest Du das nicht wissen?
HOFFMANN.
Was?
LOTH.
Daß er sich erschossen hat.
HOFFMANN.
Wer? – hat sich wieder ’mal erschossen?
LOTH.
Fips! Friedrich Hildebrandt.
HOFFMANN.
I warum nich gar!
LOTH.
Ja! er hat sich erschossen – im Grunewald, an einer sehr schönen Stelle der Havelseeufer. Ich war dort, man hat den Blick auf Spandau.
HOFFMANN.
Hm! – Hätt’ ihm das nicht zugetraut, war doch sonst keine Heldennatur.
LOTH.
Deswegen hat er sich eben erschossen. – Gewissenhaft war er, sehr gewissenhaft.
HOFFMANN.
Gewissenhaft? Woso?
LOTH.
Nun, darum eben . . . . sonst hätte er sich wohl nicht erschossen.
HOFFMANN.
Versteh’ nicht recht.
LOTH.
Na, die Farbe seiner politischen Anschauungen kennst Du doch?
HOFFMANN.
Ja, grün.
LOTH.
Du kannst sie gern so nennen. Er war, dies wirst Du ihm wohl lassen müssen, ein talentvoller Jung. – Fünf Jahre hat er als Stuccateur arbeiten müssen, andere fünf Jahre dann, so zu sagen, auf eigene Faust durchgehungert und dazu kleine Statuetten modellirt.
HOFFMANN.
Abstoßendes Zeug. Ich will von der Kunst erheitert sein. . . . Nee! diese Sorte Kunst war durchaus nicht mein Geschmack.
LOTH.
Meiner war es auch nicht, aber er hatte sich nun doch einmal drauf versteift. Voriges Frühjahr schrieben sie da ein Denkmal aus; irgend ein [16]Duodezfürstchen, glaub’ ich, sollte verewigt werden. Fips hatte sich betheiligt und gewonnen; kurz darauf schoß er sich todt.
HOFFMANN.
Wo da die Gewissenhaftigkeit stecken soll, ist mir völlig schleierhaft. – Für so was habe ich nur eine Benennung: Spahn – auch Wurm – Spleen – so was.
LOTH.
Das ist ja das allgemeine Urtheil.
HOFFMANN.
Thut mir leid, kann aber nicht umhin mich ihm anzuschließen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
LOTH.
Es ist ja für ihn auch ganz gleichgültig, was . . .
HOFFMANN.
Ach überhaupt lassen wir das. Ich bedauere ihn im Grunde ganz ebenso sehr wie Du, aber – nun ist er doch einmal todt, der gute Kerl; – erzähle mir lieber was von Dir, was Du getrieben hast, wie’s Dir ergangen ist.
LOTH.
Es ist mir so ergangen, wie ich’s erwarten mußte. – Hast Du gar nichts von mir gehört? – durch die Zeitungen mein’ ich.
HOFFMANN
(ein wenig befangen). Wüßte nicht.
LOTH.
Nichts von der Leipziger Geschichte?
HOFFMANN.
Ach so, das! – Ja! – Ich glaube . . . . nichts Genaues.
LOTH.
Also, die Sache war folgende:
HOFFMANN
(seine Hand auf Loth’s Arm legend). Ehe Du anfängst: willst Du denn gar nichts zu Dir nehmen?
LOTH.
Später vielleicht.
HOFFMANN.
Auch nicht ein Gläschen Cognac?
LOTH.
Nein.