Vor Sonnenaufgang. Gerhart Hauptmann
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HOFFMANN.
Was die Menschen nicht alles ausschnüffeln! Lieber Freund! Du glaubst nicht, wie ein Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt beobachtet wird: Das ist auch so ’n Übelstand des Reich . . . . – Die Sache ist nämlich die: ich erwarte der größeren Ruhe und gesünderen Luft wegen die Niederkunft meiner Frau hier.
LOTH.
Wie paßt denn das aber mit dem Arzt? Ein guter Arzt ist doch in solchen Fällen von allergrößter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe . . . .
HOFFMANN.
Das ist es eben, der Arzt hier ist ganz besonders tüchtig; und, weißt Du, so viel habe ich bereits weg: Gewissenhaftigkeit geht beim Arzt über Genie.
LOTH.
Vielleicht ist sie eine Begleiterscheinung des Genie’s im Arzt.
HOFFMANN.
Mein’twegen, jedenfalls hat unser Arzt Gewissen. Er ist nämlich auch so’n Stück Ideologe, halb und halb unser Schlag – reussirt schauderhaft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk. Man vergöttert ihn geradezu. Zu Zeiten übrigens ’n recht unverdaulicher Patron, ’n Mischmasch von Härte und Sentimentalität. Aber, wie gesagt, Gewissenhaftigkeit weiß ich zu schätzen! – Unbedingt! – Eh’ ich’s vergesse . . . . es ist mir nämlich darum zu thun . . . man muß immer wissen, wessen man sich zu versehen hat . . . . Höre! . . . . sage mir doch . . . . ich seh’ Dir’s an, die Herren am Nebentische haben nichts Gutes über mich gesprochen. – Sag’ mir doch, bitte! was sie gesprochen haben.
[22]LOTH.
Das sollte ich wohl nicht thun, denn ich will Dich nachher um zweihundert Mark bitten, geradezu bitten, denn ich werde sie Dir wohl kaum je wiedergeben können.
HOFFMANN
(zieht ein Checbuch aus der Brusttasche, füllt Chec aus, übergiebt ihn Loth). Bei irgend einer Reichsbankfiliale . . . . Es ist mir ’n Vergnügen . . . .
LOTH.
Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Erwartungen. – Na! – ich nehm’ es dankbar an und Du weißt ja, übel angewandt ist es auch nicht.
HOFFMANN
(mit Anflug von Pathos). Ein Arbeiter ist seines Lohnes werth! – doch jetzt, Loth! sei so gut, sag mir, was die Herren am Nebentisch . . . .
LOTH.
Sie haben wohl Unsinn gesprochen.
HOFFMANN.
Sag mir’s trotzdem, bitte! – Es ist mir lediglich interessant, ledig-lich interessant –
LOTH.
Es war davon die Rede, daß Du hier einen Anderen aus der Position verdrängt hättest, – einen Bauunternehmer Müller.
HOFFMANN.
Na-tür-lich! diese Geschichte!
LOTH.
Ich glaube, der Mann sollte mit Deiner jetzigen Frau verlobt gewesen sein.
HOFFMANN.
War er auch. – Und was weiter?
LOTH.
Ich erzähle Dir Alles, wie ich es hörte, weil ich annehme: es kommt Dir darauf an, die Verleumdung möglichst getreu kennen zu lernen.
HOFFMANN.
Ganz recht! Also?
LOTH.
So viel ich heraus hörte, soll dieser Müller den Bau einer Strecke der hiesigen Gebirgsbahn übernommen haben.
HOFFMANN.
Ja! Mit lumpigen zehntausend Thalern [23]Vermögen. Als er einsah, daß dieses Geld nicht zureichte, wollte er schnell eine Witzdorfer Bauerntochter fischen; meine jetzige Frau sollte diejenige sein, welche.
LOTH.
Er hätte es, sagten sie, mit der Tochter, Du mit dem Alten gemacht. – Dann hat er sich ja wohl erschossen?! – Auch seine Strecke hättest Du zu Ende gebaut und noch sehr viel Geld dabei verdient.
HOFFMANN.
Darin ist einiges Wahre enthalten, doch – ich könnte Dir eine Verknüpfung der Thatsachen geben . . . . Wußten sie am Ende noch mehr dergleichen erbaulichen Dinge?
LOTH.
Ganz besonders – muß ich Dir sagen – regten sie sich über Etwas auf: sie rechneten sich vor, welch ein enormes Geschäft in Kohlen Du jetzt machtest und nannten Dich einen . . . . na, schmeichelhaft war es eben nicht für Dich. Kurz gesagt, sie erzählten, Du hättest die hiesigen dummen Bauern beim Champagner überredet, einen Vertrag zu unterzeichnen, in welchem Dir der alleinige Verschleiß aller in ihren Gruben geförderter Kohle übertragen worden ist gegen eine Pachtsumme, die fabelhaft gering sein sollte.
HOFFMANN
(sichtlich peinlich berührt, steht auf). Ich will Dir was sagen, Loth . . . . Ach, warum auch noch darin rühren? Ich schlage vor, wir denken an’s Abendbrod, mein Hunger ist mörderisch. – Mörderischen Hunger habe ich. (Er drückt auf den Knopf einer elektrischen Leitung, deren Draht in Form einer grünen Schnur auf das Sopha herunter hängt; man hört das Läuten einer elektrischen Klingel.)
LOTH.
Nun, wenn Du mich hier behalten willst – dann sei [24]so gut . . . . . ich möchte mich eben ’n bischen säubern.
HOFFMANN.
Gleich sollst Du alles Nöthige . . . . (Eduard tritt ein, Diener in Livree.) Eduard! führen Sie den Herrn in’s Gastzimmer.
EDUARD.
Sehr wohl, gnädiger Herr.
HOFFMANN
(Loth die Hand drückend). In spätestens fünfzehn Minuten möchte ich Dich bitten, zum Essen herunter zu kommen.
LOTH.
Übrig Zeit, also, Wiedersehen!
HOFFMANN.
Wiedersehen!
(Eduard öffnet die Thür und läßt Loth vorangehen. Beide ab. Hoffmann kratzt sich den Hinterkopf, blickt nachdenklich auf den Fußboden, geht dann auf die Thür rechts zu, deren Klinke er bereits gefaßt hat, als Helene, welche hastig durch die Glasthür eingetreten ist, ihn anruft.)
HELENE.
Schwager! Wer war das?
HOFFMANN.
Das war einer von meinen Gymnasialfreunden, der älteste sogar, Alfred Loth.
HELENE