Vom Verlust der Freiheit. Raymond Unger

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Vom Verlust der Freiheit - Raymond Unger

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Vordenker wie Antonio Gramsci (1891– 1937) und Herbert Marcuse (1898–1979) erkannten, dass sich ein neuer marxistischer Anlauf nur über eine tief greifende, kulturelle Umgestaltung der Gesellschaft durchsetzen lässt. Vertreter der 68er-Revolution übernahmen die Thesen; zudem war ihnen bewusst, dass man hierfür einen langen Atem braucht. Bis das Mindset Früchte trägt, kann es ein oder zwei Generationen dauern. Naturgemäß kommen den Institutionen Schule, Lehre, Universität und Medien, letztlich aber auch den Kirchen kardinale Schlüsselrollen zu. Derartige Institutionen mit linkssozialistisch geschultem Personal zu infiltrieren, bezeichnete der marxistische Studentenführer Rudi Dutschke als »Marsch durch die Institutionen«. Wie erfolgreich Dutschkes Strategie im ehemaligen Westen Deutschlands seit 1967 schlussendlich war, kann man nur vermuten. Angesichts der offensichtlichen Linksverschiebung von Politik, Medien und in den Kirchen auf dem Terrain der ehemaligen BRD ist die Taktik durchaus aufgegangen. Nach meiner Einschätzung prägen Kulturmarxisten den Zeitgeist sogar so erfolgreich, dass kapitalistisch orientierte Global-Player um ein temporäres Zweckbündnis gar nicht herumkommen. Jede strategische Unternehmung zur Gewinnmaximierung muss zwangsweise ein linksmoralisches und ökologisches Framing haben – und sei das eigentliche Vorhaben auch noch so kapitalistisch.

      Wie bereits erwähnt, gehört die Dekonstruktion haltgebender Strukturen zur neomarxistischen Langzeitstrategie. Zufriedene und glückliche Menschen lassen sich kaum für Sozialismus begeistern. Will man ein gut verwurzeltes Bäumchen ohne Axt umlegen, empfiehlt sich eine Doppelstrategie: Zum einen zerrt und rüttelt man am Stamm, man setzt den Baum einer Art »Sturm« aus. Zum anderen untergräbt man seine Wurzeln, damit der Baum an Halt verliert. Beides, Sturm und Entwurzelung, bringt den Baum schließlich zum Fallen. Will man einen verwurzelten und zufriedenen Menschen mit Sozialismus zwangsbeglücken, empfiehlt sich dieselbe Strategie. Wie es Igor Schafarewitsch beschreibt, geht der sozialistischen Strategie daher immer die Betonung der Dystopie voraus. Erst danach kann sich der Sozialismus als Retter in der Not anbieten. Die Zustände der Gesellschaft als haltlos, verderbt und kurz vor dem Zerfall darzustellen sowie Angst und Schrecken zu verbreiten entspricht dem »Sturm«.

       »Kaum hat eine der vielen erdachten Problemlagen an Wirkkraft verloren, muss ein neues Problem erfunden werden und als Schreckensszenario herhalten. Der durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung erreichte Massenwohlstand wird als ›Konsumterror‹ gegeißelt, wirtschaftliches Wachstum mit Umweltzerstörung in Verbindung gebracht und Eigentum als Eigennutz gebrandmarkt. Nachdem die in den 1960er-Jahren vorhergesagte weltweite Hungerkatastrophe durch Überbevölkerung nicht eintrat und das in den 1970ern gepredigte Ende der Rohstoffe sich als Schimäre erwies, dient derzeit der Klimawandel als das dominierende Schreckensszenario. Die These von der globalen Erhitzung des Klimas ist maßgeschneidert, um umfassende Eingriffe in das Privateigentum zu rechtfertigen, globale Lösungen als notwendig darzustellen und darüber hinaus auch die Auslöschung der menschlichen Fortpflanzung zu fordern.« 44

      Täglich blasen linksgrüne Leitmedien die verschiedensten Stürme durch die deutschen Wohnzimmer, lange Zeit beherrschten »Klimakrise« und »Rechtsruck« die Schlagzeilen, bis mit Corona der ultimative Sturm entfacht werden konnte. Neben diesen Stürmen ist jedoch die Technik der Entwurzelung maßgeblich. Sie besteht in der Zerstörung von gefühlten Gewissheiten, die den Menschen Halt und Sicherheit geben. Das kardinale Hauptinstrument hierfür ist Beschämung, und zwar genau dort, wo der verwurzelte Mensch glaubt, intuitiv die Wirklichkeit erfasst zu haben. Man könnte auch sagen, das kulturmarxistische Kardinalziel ist die Dekonstruktion des »gesunden Menschenverstandes«, wobei der erste Schritt darin besteht, die Existenz desselben zu leugnen. Wer sich heute noch auf den »gesunden Menschenverstand« beruft, hat in der Debatte etwa dieselben Chancen wie jemand, der eine Kritik einleitet mit dem Satz »man wird ja wohl noch sagen dürfen«. Nein, wird man nicht, sechs, setzen. Was auch immer man sagen wollte – mit dieser Einleitung hat man sich bereits disqualifiziert.

      Unverzüglich, rigoros und überall dort, wo normale Menschen Identität und Gewissheit proklamieren, setzt die Technik der Beschämung an. Einfache Wahrheiten auszusprechen wird mithilfe Politischer Korrektheit sofort unterbunden. Sie glauben, Menschen werden selbstverständlich als Mann oder Frau geboren und Frauen und Männer unterscheiden sich? Dann sind sie ein unverbesserlicher Sexist, Chauvinist und wahrscheinlich obendrein noch homophob. Sie glauben, Menschen sind verschieden? Dann sind sie ein böser Rassist. Sie fühlen sich ihrer Familie, ihrem Ort, ihrem Landkreis, ihrer Nation und ihrer Kultur in besonderer Weise verbunden? Dann sind sie Fremdenfeind, Ethnopluralist, Nationalist oder kurz – »Nazi«. Man könnte endlos so weitermachen. Gefühlte Gewissheiten, die einer kulturmarxistischen Agenda widersprechen, werden systematisch diskreditiert. In der Regel mit dem Universalwerkzeug »rechts«. Letzten Endes geht es um die Tabuisierung von Identität, genauer, es geht darum, jede gewachsene Ich-Verwurzelung im sozialen Raum zu roden. Schaut man sich den Zustand der deutschen Gesellschaft an, kann man den Eindruck gewinnen, diese Techniken haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Schriftstellerin Eva Rex geht mit ihrem Essay »Rettet den gesunden Menschenverstand« denselben Fragen nach wie ich in diesem Buch:

       »Warum werden wir den Eindruck nicht los, dass immer größere Teile unserer Mitmenschen in einer Parallelwelt leben? Wie kommt es, dass die meisten Mitglieder der westlichen Gesellschaften so merkwürdig apathisch und desinteressiert an ihrem eigenen Geschick agieren und ihrer eigenen Verdrängung (als Volk, als Nation, als Kultur) entgegensehen, ja diese sogar beklatschen? Woher kommt die Verblendung und Leichtgläubigkeit gegenüber den Gaukeleien der etablierten Medien, oft entgegen besseren Wissens? Warum sind moderne Menschen trotz ausdifferenzierter ›Individualisierung‹ und ›Aufgeklärtheit‹ so empfänglich für ideologische Großkonzepte wie Gleichstellung, Multikulturalismus und den Kampf gegen den Klimawandel und lassen sich entgegen ihren eigenen Interessen für deren Etablierung mobilisieren? Warum begegnen uns gerade in Gestalt von Intellektuellen und Künstlern die fanatischsten Befürworter dieser neuen Ideologien, statt dass die geistige Elite, wie es ihrer Aufgabe entspräche, diese kritisch und distanziert hinterfragt? […] Wie kommt es, dass so viele sich nicht mehr auf ihre eigene Wahrnehmung verlassen und auch nicht den Mut haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, sondern darauf, was vermeintliche ›Autoritäten‹ ihnen vorbeten? Warum lassen sie sich weismachen, dass Hinwendung zu den denkbar Enferntesten Nächstenliebe sei, aber die Sorge um das Wohl der Nächsten purer Hass? Warum lassen sie sich immer häufiger die absurdesten Lügen auftischen und glauben mit verzweifelter Inbrunst an sie? Kurz gesagt: Wie kommt es, dass bestimmte verrückte Ideen massenhaft Plausibilität gewinnen, ohne dass ihnen unbeschadet widersprochen werden kann?« 45

      Widerstand gegen die Atomisierung der Gesellschaft, zum Zwecke einer globalen Umgestaltung, ist eine Frage von Resilienz und Reife der Bürger. Alles, was diese Wachheit und Widerstandskraft schwächt, liegt im natürlichen Interesse derer, die diesen Gesellschaftsumbau forcieren. Derzeit beobachten wir einen Machtkampf zwischen bewahrenden, liberal-konservativen Kräften, die sich gegen den globalen Gesellschaftsumbau stellen, und angeblich progressiven, in Wahrheit aber pseudo-sozialistischen Kräften. Von diesen wird der Kulturkampf mithilfe von drei Instrumentarien geführt:

      »moralisches Meinungs- und Empörungsmanagement

      »schnelle Taktung immer neuer und verwirrender Medienmeldungen (sog. Gaslighting-Techniken)

      »Inszenierung blanker Angst- und Horrorszenarien

      Wie ich im letzten Buchteil noch ausführen werde, träumt eine kuriose Melange von Interessengruppen von einer neuen, zentralistischen Weltordnung. Wenn man ein Land nennen müsste, das den Widersinn der Kalifornischen Ideologie am besten repräsentiert – totalitäre, kollektivistische Ideale in Fusion mit radikalem Kapitalismus – kommt man unweigerlich auf China. Im Verlauf dieses Buches wird noch deutlich, dass über Organisationen wie das Weltwirtschaftsforum zusammenwächst, was zusammengehört. Global Player aus den USA, wie Pharmaindustrie und IT-Giganten, arbeiten im Schulterschluss mit der Kommunistischen Partei Chinas an einer neuen Weltordnung, die beiden Seiten nützt. Die großen humanistischen

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