Vom Verlust der Freiheit. Raymond Unger
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»Das kohlenstoffbasierte Weltwirtschaftsmodell ist auch ein normativ unhaltbarer Zustand, denn es gefährdet die Stabilität des Klimasystems und damit die Existenzgrundlagen künftiger Generationen. Die Transformation zur Klimaverträglichkeit ist daher moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit.«
Damit ist der hypermoralische Rahmen schon einmal wirksam gesetzt: Klimaschutz ist ebenso notwendig wie der Kampf gegen Sklaverei und Kinderarbeit. Oder umgekehrt gedacht: Typen, die den Klimaschutz missachten, also Dieselfahrer, Fleischesser und Flugzeugnutzer, billigen wahrscheinlich auch Sklaverei und Kinderarbeit. Abgesehen von diesem Framing, ist der sozialistische Grundansatz unverkennbar: »Die kohlenstoffbasierte Weltwirtschaft ist ein unhaltbarer Zustand.« Als kurze Slogans formuliert, und damit wesentlich bannertauglicher, wären auch »Kampf dem Kapitalismus« und »Klimakampf ist Klassenkampf« denkbar. Doch weiter im Text:
»Langzeitstudien zeigen eindeutig, dass sich immer mehr Menschen weltweit einen Wandel in Richtung Langfristigkeit und Zukunftsfähigkeit wünschen. Überdies verdeutlicht das atomare Desaster in Fukushima, dass schnelle Wege in eine klimaverträgliche Zukunft ohne Kernenergie beschritten werden müssen. Es ist jetzt eine vordringliche politische Aufgabe, die Blockade einer solchen [Großen] Transformation zu beenden und den Übergang zu beschleunigen. Dies erfordert nach Ansicht des WBGU die Schaffung eines nachhaltigen Ordnungsrahmens, der dafür sorgt, dass Wohlstand, Demokratie und Sicherheit mit Blick auf die natürlichen Grenzen des Erdsystems gestaltet und insbesondere Entwicklungspfade beschritten werden, die mit der 2°C-Temperaturleitplanke kompatibel sind. Auf letztere hat sich die Weltgemeinschaft 2010 in Cancún verständigt. Die Weichenstellungen dafür müssen im Verlauf dieses Jahrzehnts gelingen, damit bis 2050 die Treibhausgasemissionen weltweit auf ein Minimum reduziert und gefährliche Klimaänderungen noch vermieden werden können. Der Zeitfaktor ist also von herausragender Bedeutung.«
Übersetzt heißt das: Liebe Politiker, die meisten Menschen wollen die »Große Transformation«. Blockierende Kräfte, zu denen bürgerliche, liberale und konservative Teile der Gesellschaft zählen, müssen angesichts des Zeitdruckes unbedingt überwunden werden. Hierfür muss die Politik einen neuen, robusten »Ordnungsrahmen« schaffen, der nicht mehr länger partikuläre Interessen berücksichtigt, sondern vorrangig die Bedürfnisse des globalen Erdsystems.
»Fasst man diese Anforderungen an die vor uns liegende Transformation zusammen, wird deutlich, dass die anstehenden Veränderungen über technologische und technokratische Reformen weit hinausreichen: Die Gesellschaften müssen auf eine neue ›Geschäftsgrundlage‹ gestellt werden. Es geht um einen neuen Weltgesellschaftsvertrag für eine klimaverträgliche und nachhaltige Weltwirtschaftsordnung. […] Ein zentrales Element in einem solchen Gesellschaftsvertrag ist der ›gestaltende Staat‹, der für die Transformation aktiv Prioritäten setzt […] Auf den genannten zentralen Transformationsfeldern müssen Produktion, Konsummuster und Lebensstile so verändert werden, dass die globalen Treibhausgasemissionen im Verlauf der kommenden Dekaden auf ein absolutes Minimum sinken und klimaverträgliche Gesellschaften entstehen können. Das Ausmaß des vor uns liegenden Übergangs ist kaum zu überschätzen. Er ist hinsichtlich der Eingriffstiefe vergleichbar mit den beiden fundamentalen Transformationen der Weltgeschichte: der Neolithischen Revolution, also der Erfindung und Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht, sowie der Industriellen Revolution, die von Karl Polanyi (1944) als ›Great Transformation‹ beschrieben wurde und den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft beschreibt. Die bisherigen großen Transformationen der Menschheit waren weitgehend ungesteuerte Ergebnisse evolutionären Wandels. Die historisch einmalige Herausforderung bei der nun anstehenden Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft besteht darin, einen umfassenden Umbau aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht voranzutreiben. Die Transformation muss auf Grundlage wissenschaftlicher Risikoanalysen zu fortgesetzten fossilen Entwicklungspfaden nach dem Vorsorgeprinzip antizipiert werden […].«
Da haben wir es also wieder, das »Demokratie neu denken«. Im Grundsatzpapier heißt dieser Ansatz euphemistisch »neue Geschäftsgrundlage«. Diese muss selbstverständlich durch einen starken, »gestaltenden Staat« umgesetzt werden. Man könnte auch sagen, eine Prise Totalität wäre hilfreich. Eine Denkrichtung, die Robert Habeck sicherlich nicht allzu fremd sein dürfte, immerhin betont er die politische Effizienz der Volksrepublik China. Hinzu kommt, die »klimaverträgliche Gesellschaft« muss bezüglich ihrer Wirtschaft mit »Voraussicht« und einem »Vorsorgeprinzip antizipiert werden«. Das ist eine nette Umschreibung für Planwirtschaft. Die »Große Transformation« verwirft damit sämtliche autonomen, kybernetischen Steuerungsmechanismen, die für die weltweite Steigerung des Wohlstandes verantwortlich sind. Freihandel und die evolutionäre Entwicklung von Preisen für Güter aller Art sollen einmal mehr durch eine sozialistische Planwirtschaft ersetzt werden. Als hätten sämtliche Panwirtschaften der Welt nicht eindeutig gezeigt, dass der Mensch ein hyperkomplexes System wie die Wirtschaft nicht vorausschauend steuern kann, halten die Strategen der »Großen Transformation« ihre Idee sogar noch für ein Novum. Die Inbrunst, mit der linke Ideologen als Verfasser der »Großen Transformation« auftreten dürfen und dabei tatsächlich an die Umsetzung einer sozialistischen Agenda glauben, zeigt, dass ihnen nicht einmal im Ansatz bewusst ist, wie sehr sie instrumentalisiert werden. Man lässt nützliche Idioten in höchsten Ämtern der UN gewähren und stellt in Aussicht, die neue Welt könnte entgegen der wirklichen Machtverhältnisse tatsächlich sozialistisch werden. Dass allerdings jede Generation unerschütterlich glaubt das krumme Rad des Sozialismus immer wieder neu erfinden zu müssen, hat eine tiefenpsychologische Dimension.
Archetyp Sozialismus
Der russische Mathematiker und Philosoph Igor Schafarewitsch, ein enger Freund von Alexander Solschenizyn, stand zur Zeit des Kalten Krieges den russischen Dissidenten nahe. Der einzig plausible Grund, warum Schafarewitsch nicht selbst verhaftet wurde, lag vermutlich in seiner frühen Berühmtheit begründet. Der Mathematiker war international überaus anerkannt und geschätzt. Der Schaden für das kommunistische Regime wäre zu groß geworden, wenn Schafarewitsch sang- und klanglos in einem Gulag verschwunden wäre. Abgesehen von Schafarewitschs herausragenden Leistungen auf dem Feld der algebraischen Geometrie, ist es dem russischen Genie zu verdanken, den zeitlosen und grundsätzlichen Charakter des Sozialismus herausgearbeitet zu haben. In seinem bereits 1975 geschriebenen Buch »Der Todestrieb der Geschichte«38 stellt der Mathematiker und Philosoph heraus, dass sich die Grundzüge des Sozialismus durch alle Zeitalter der Geschichtsschreibung zurückverfolgen lassen. Ob im Inkareich, in Mesopotamien, in China oder Ägypten oder schließlich in den ersten Ketzerbewegungen des Christentums – die Geschichte einer sozialistischen Grundstruktur ist weitaus älter und universeller als die Lehre eines gewissen Karl Marx. Der Psychologe C. G. Jung würde vermutlich von einem »Archetyp« sprechen, eine Art Urgedanke oder universelles Grundmuster der menschlichen Seele. Sozialismus ist demnach keine intellektuelle und am Reißbrett ersonnene politische Ideologie, die sich kurzerhand an ihrem historischen Scheitern widerlegen ließe. Sozialismus ist vielmehr ein zu allen Zeiten und an verschiedenen Orten dieses Planeten immer wieder neu entstehendes, hartnäckiges Gedanken-Mem – und damit ziemlich resistent gegen seine faktische Widerlegung. Objektiv betrachtet, sollte ein toxisches Gedankengut wie der Sozialismus in der zeitgenössischen Politik ebenso wenig Chancen haben wie der Faschismus. Immerhin endeten alle sozialistischen Gesellschaftsversuche, einschließlich des nationalsozialistischen, in Unfreiheit, Armut, Krieg, Massenmord und Folter. Unverkennbar ist diesem Archetyp über Verstand und Logik dennoch kaum beizukommen. Die innerpsychische Notwendigkeit, unter gewissen Umstanden sozialistische Grundstrukturen immer wieder neu zu ersinnen, ist weitaus stärker, denn: Sozialismus ist der direkte Versuch der menschlich brüskierten, verängstigen und entwurzelten Seele, aus eigener Kraft so etwas wie Schutz, Struktur und Ordnung zu konstruieren. Sozialistische Grundelemente entstehen wie von selbst, sobald dem Menschen spirituelle Sinngewissheiten, soziale Geborgenheit, Identität und Rückverbindungen an das Sein