Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader
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Читать онлайн книгу Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader страница 19
Da Franz auf dem Platz keinen Wagen vorfand, setzte er seinen Weg zu Fuß fort. Je mehr er über den Zweck seines Ganges nachdachte, desto begründeter fand er Kalebs Besorgnis, und je mehr bei dieser Erkenntnis seine Angst wuchs, desto mehr forcierte er seine Schritte. Nur mit seiner Angst beschäftigt, flog er durch die menschenleeren Straßen; er bemerkte kaum die starken Militärpatrouillen, die schallenden Schrittes an ihm vorbeigingen. Plötzlich weckte ihn das Rauschen eines Flusses aus seinem Nachsinnen; er stand an der Brücke, die er nur noch zu überschreiten hatte, um zum Haus des Bankiers zu gelangen.
Die Glocke der nahen Kirche schlug halb acht Uhr.
»Noch eine halbe Stunde!«, flüsterte Franz vor sich hin und setzte hastig seinen Weg fort. Nach fünf Minuten hatte er die Brücke überschritten und das Haus des Herrn W. lag vor ihm. Doch Erstaunen hemmte plötzlich seinen Fuß, als er die Mitte des Platzes vor der Brücke erreicht hatte, denn das Heim desjenigen, den das Gerücht als insolvent bezeichnete, war festlich beleuchtet und eine lustige Ballmusik, die in diesem Augenblick anhob, scholl lieblich über den weiten, menschenleeren Platz.
»Ist es möglich«, rief der junge Mann leise, »der Bankier gibt ein glänzendes Fest, während die Stadt unter dem Druck der Revolution seufzt? Noch vor wenigen Tagen wimmerten an dieser Brücke Verwundete und Sterbende, noch sind die Steine von Bürgerblut gerötet, und dort tanzt man und gibt sich den Freuden des Mahles hin? Umgaukelt mich ein Traum, oder hat die Angst mich mit Wahnsinn geschlagen?«
Franz hatte sich nicht getäuscht, der Bankier gab einen Ball. Langsam näherte er sich dem Haus, in dem die Freude ihre leichten Fittiche schwang; er wusste nicht, was er machen sollte. Während er unschlüssig dastand, blickte er zu den mit prachtvollen Vorhängen verzierten Fenstern des ersten Stockes empor: Da sah er elegante Herren und Damen im raschen Tanz nach dem Takt der rauschenden Musik vorüberschweben, andere lehnten sich auf die Fensterbrüstung, sahen lächelnd den schön geputzten Paaren nach oder unterhielten sich in freundlichem Gespräch, wobei sie von Dienern in Galalivree mit Erfrischungen bedient wurden. Kurz, alles atmete Freude und Frohsinn, während der Boden noch von den Donnerschlägen der Revolution zitterte. Des jungen Mannes Herz bebte bei diesem Anblick; die Töne der Musik, aller Menschlichkeit hohnsprechend, durchschnitten ihm schmerzlich die Seele; ihm war, als ob er das Hohngelächter der Hölle vernähme.
»Nein«, rief er, »ein Mensch, der das Herz hat, im Angesicht des Todes einen Ball zu geben, ist auch zu andern Dingen fähig. Ich muss Gewissheit haben, koste es, was es wolle!«
Bebend vor Entrüstung schritt Franz auf die hohe Eingangstür zu und zog die Glocke. Ein Portier in glänzender Livree, ein breites Band über der Achsel, einen silberbetressten Hut auf dem bärtigen Kopf und einen großen Stab in der Hand, öffnete.
»Kann ich den Herrn des Hauses sprechen?«, fragte der junge Mann mit bebender Stimme.
Wie eine Säule stand der Bärtige in der Tür und sah einen Augenblick mit verachtendem Befremden auf den Fragenden; dann machte er Miene, sich ohne Antwort zurückzuziehen und die Tür wieder zu schließen.
»Halt!«, rief der gereizte Franz, indem er sich zwischen den Zerberus und die Tür drängte, »ich habe in dringenden Geschäftsangelegenheiten mit dem Bankier zu reden.«
»Zurück!«, donnerte der Portier, »die Geschäftszeit ist vorüber, kommen Sie morgen wieder!«
Ohne ein Wort zu entgegnen, schob Franz die Tür mit kräftiger Hand zurück, stieß den steifen, geputzten Knecht beiseite und eilte die breite Treppe hinauf zu dem ihm wohlbekannten Kontor. Während er zornbebend, sich seiner Sinne kaum bewusst, den Korridor durchschritt, öffnete sich die Flügeltür des Saales und der Bankier, im schwarzen Ballanzug, das rote Bändchen eines Ordens im Knopfloch, trat heraus, um den herbeieilenden Bedienten Befehle zu erteilen. Das Benehmen des Portiers, der ihn daran hindern wollte, sich von der Sicherheit seines Eigentums zu überzeugen, und das zum Hohn des Elends veranstaltete Fest hatten den jungen Mann so erbittert, dass er, ohne sich zu besinnen, dem Mann des Geldes entgegentrat.
»Mein Herr«, sprach er, nachdem er seinen Hut gezogen hatte, »der Drang der Umstände mag mich entschuldigen, wenn ich Sie den Freuden des Festes auf einige Minuten entziehe und um eine kurze Unterredung bitte.«
Obgleich diese Worte in einem fast heftigen Ton gesprochen waren, veränderten sich die freundlichen Züge des Bankiers nicht einen Augenblick; mit dem feinen, artigen Benehmen eines Mannes von Welt wandte er sich zu dem unerwarteten Besuch und fragte:
»Mit wem habe ich die Ehre?«
»Mein Name ist Franz Witt; ich bin der Associé des Herrn Hubertus, dessen Firma Ihnen bekannt sein wird.«
»Eine jener Firmen, die der Kaufmann mit Achtung nennt – ich stehe zu Diensten! Licht in mein Kabinett«, rief er einem Bedienten zu.
Der Bediente schritt mit einem Armleuchter voran, Franz und der Bankier folgten. Als sie an der Tür vorübergingen, an der Franz sonst ein Schild mit der Aufschrift »Kasse« bemerkt hatte, schlug ein lauter Toast an sein Ohr. Er sah zur Seite – das Schild war verschwunden; stattdessen hörte er in dem Kassenzimmer lautes Lachen und das Klingen von Gläsern. Ein kalter Schauder durchrieselte seine Glieder; ihm war, als ob der Wein zu den Toasten von seinem Geld, das er vor einem Jahr vertrauensvoll in diesem Zimmer abgeliefert hatte, bezahlt worden sei.
An der letzten Tür des Korridors blieb der Diener stehen. Der Bankier zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete. Nachdem der Bediente das Licht auf einen Tisch gestellt hatte und die beiden Männer eingetreten waren, entfernte er sich wieder.
»Wir sind allein«, begann der Herr des Hauses mit großer Freundlichkeit und deutete mit seiner von kostbaren Ringen strotzenden Hand auf einen Sessel.
»Mein Herr«, sprach Franz in einem festen Ton, »es hat sich in der Stadt das Gerücht verbreitet, Sie würden morgen Ihre Zahlungen einstellen. Wir haben sechzehntausend Gulden in Ihrem Haus stehen; für Sie eine geringe Summe, aber für einfache Fabrikanten ein Betrag, dessen Verlust den Ruin herbeiführen würde.«
»Ist es möglich!«, rief Herr W. mit derselben Ruhe und Freundlichkeit, die er bisher gezeigt hatte. »Ich hätte nicht geglaubt, dass der Pöbel seine Kühnheit bis zu dieser Verleumdung ausdehnen würde! Wundern Sie sich nicht darüber, mein lieber Freund«, fuhr der Bankier lächelnd fort, indem er die Hand des jungen Mannes ergriff, »wir Kaufleute, die wir uns durch Fleiß und Tätigkeit den Genuss des Lebens verschafft haben, sind dem lungernden Pöbel schon lange ein Dorn im Auge; er hätte gern mit uns geteilt, was wir sauer erworben haben. Da er durch offene Revolution seinen Zweck nicht erreichen kann, wendet er jetzt Verleumdung und List an, um uns zu schaden; aber glauben Sie mir, auch dies gelingt ihm nicht; die Welt hat zu gut erkannt, dass nur ein schmutziger Kommunismus die Fackel der Empörung entzündet, und nicht der Drang nach Freiheit. Kein Mensch ist ein Sklave, der die Gesetze, und seien sie noch so streng, nicht zu fürchten hat. Wo die Gesetze keine Geltung mehr haben, wie es der Wunsch des armen verblendeten Volkes war, blüht kein Glück und Segen. Und darum feiere ich durch das heutige Fest den Sieg der Gesetze über die Anarchie; ich gebe der guten Sache zu erkennen, dass ich ihr angehöre und dass ich gesonnen bin, in Zukunft für sie zu wirken. In meinem Saal vereinigt die Freude den Kaufmann mit dem Soldaten, und wie sie heute dort vereint sind, werden sie auch immer vereint sein, wenn es gilt, die Rechte unseres Landesherrn, unter dessen Schutz wir stehen, aufrechtzuerhalten.«
»Mein Herr«, stammelte Franz in großer Verlegenheit, »wenn das Gerücht …«
»Sehen