Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader страница 20
Die letzten Worte begleitete eine höchst galante Verbeugung des Bankiers, die Franz stumm erwiderte. Der Associé des Herrn Hubertus war dergestalt aus der Fassung geraten, dass er kein Wort der Entschuldigung finden konnte. Die sorglose Miene des Herrn W. und sein freundliches Benehmen hatten sein Misstrauen völlig verscheucht, und wenn ihn die ruhige Würde des verkannten Mannes nicht abgehalten hätte, so wäre er in seiner Freude, das Kapital in Sicherheit zu wissen, ihm um den Hals, und als Beweis der Hochachtung, ihm zu Füßen gefallen. So aber ließ er es bei der Verbeugung bewenden und trat, den Hut mit beiden Händen zusammendrückend, auf den Korridor hinaus. Als ob ihm eine Zentnerlast von der Brust genommen wäre, flog er leicht wie ein Reh die breite, hell erleuchtete Treppe hinab; die plötzliche Verwandlung seiner Angst in Freude war so umfassend, dass er sogar den Groll gegen den Portier vergaß und ihm ein Geldstück für das Öffnen der Tür in den Bart warf.
Als Franz auf den Platz trat, blickte er noch einmal an dem Haus des Bankiers empor. Die Gruppen an den Fenstern hatten sich verändert: Offiziere mit glänzenden Epaulettes, schön gestickten Kragen und großen, sorgsam gepflegten Schnurrbärten waren jetzt sichtbar; sie standen in den Fenstervertiefungen und unterhielten sich freundlich mit Personen in eleganten Zivilkleidern. Dann ergriffen sie die Gläser und stießen an. Auf was sie aber anstießen, konnte Franz nicht verstehen. Die Worte des Bankiers hatten die Stimmung des jungen Mannes so umgewandelt, dass er dem Schauspiel an den Fenstern mit Interesse zusah; er erblickte nicht mehr jene Ironie auf die obwaltenden Verhältnisse darin, die ihn vor einer Viertelstunde so erbittert hatte, er fand die freundschaftliche Annäherung der beiden Stände sogar rührend und hielt sie für ein erfreuliches Zeichen für die Zukunft. Froh bewegt trat er den Rückweg an, wobei ihn der Gedanke, dem alten Kaleb eine freudige Botschaft zu bringen und sein Geschäft außer Gefahr zu wissen, zur Eile antrieb.
Wir kehren jetzt an das jenseitige Ufer des Flusses zurück, um zu berichten, was sich dort während Franz’ Besuch bei dem Bankier zugetragen hat.
Im selben Augenblick, als der Associé des Herrn Hubertus mit seiner Herzensangst die Brücke überschritt und die Glocke der nahen Pfarrkirche halb acht Uhr schlug, trat die Gestalt eines Mannes aus dem Schatten der Häuser hervor und bewegte sich langsam, als ob sie von einem langen Gang erschöpft oder krank sei, auf das Ufer zu.
»Wer da?«, rief plötzlich der Führer einer Polizeipatrouille, die, auf die Brücke zuschreitend, die Straße entlangkam.
»Was kümmert’s euch, wer ich bin?«, antwortete die Gestalt und wollte weiter.
»Wie«, rief dieselbe Stimme wieder, »was es uns kümmert? Warte ein wenig und es wird dir klar werden!«
Mit diesen Worten packten zwei Männer den impertinenten Menschen, der es wagte, der Polizei seinen Namen zu verweigern, bei den Armen und führten ihn in den Lichtkreis, den die Flamme einer am Eingang der Brücke befindlichen Laterne bildete. Ruhig ließ sich der Verdächtige diese Polizeiexpedition gefallen. Der Führer trat jetzt heran und sah ihm mit schlauen Augen ins Gesicht.
»Oho«, rief er, »dein Gesicht verkündet nichts Gutes! Bist du ein Dieb?«
Der Aufgegriffene sah den verfänglich fragenden Polizeimann vom Kopf bis zu den Zehen prüfend an, dann antwortete er in einem ruhigen Ton:
»Nein, und Sie?«
»Spaßvogel! Du siehst aus, als ob du vom Galgen geschnitten wärst, und ich bin der Mann, der Sorge tragen kann, dass dir dein Platz wieder angewiesen wird.«
»Ich muss gestehen«, antwortete der Arrestant bitter, »dass Sie der menschlichen Gesellschaft ein sehr nützliches Mitglied sind. Mit welchem Recht aber können Sie es wagen, mich auf der Straße anzuhalten, und zwar in einer Zeit, die allen Bürgern Schutz des Eigentums und der Person garantiert? Haben Sie das Recht dazu?«
»Ja, mein Bester, man hat das Recht dazu. Wirst du mir nicht im Augenblick bekennen, wer du bist, so lasse ich dir die Hände auf den Rücken binden und dich ins Polizeigefängnis führen!«
»Verzeihung, mein Herr«, rief der Bedrohte mit Ironie, »Verzeihung, wenn ich Ihre Würde nicht sogleich ahnen konnte. Ich bin gewissermaßen Ihr Kollege, nur mit dem Unterschied, dass Sie Beobachtungen im Interesse der Regierung anstellen und ich im Interesse der Moral!«
»Also Philosoph!«
»Und Dichter!«, fügte der Unbekannte hinzu.
»Ein Dichter!«, lachte der Regierungsbeobachter; »dann wundere ich mich nicht mehr über deine Lumpen und über dein Aussehen. Lasst ihn los«, rief er seinen Häschern zu, »der arme Teufel ist gestraft genug. Mir scheint, du machst bei Nacht deine Promenade, weil du dich am Tage nicht mit Ehren sehen lassen kannst. Warte, ich werde dir ein Mittel an die Hand geben, dir einen Rock zu verdienen.«
»Und dieses Mittel?«
»Einer deiner Kollegen hat eine Schmähschrift unter dem Titel ›Die Jesuitenkrone‹ geschrieben. Bist du imstande, dem Generalkommando oder dem Premierminister den Namen dieses Nichtswürdigen anzuzeigen, so erhältst du eine Belohnung von dreitausend Dukaten. Bedenke einmal, wenn dir dieses runde Sümmchen in lauter blanken Goldstücken ausgezahlt würde! Geh und spioniere, denn ehe du mit deiner Feder so viel verdienst, musst du dir die Finger krumm schreiben, dass sie aussehen wie Adlerkrallen.«
»Ich danke für den Rat«, antwortete der Dichter in einem trockenen Ton; »aber so arm ich auch bin, so habe ich doch keine Lust, Ihnen ins Handwerk zu pfuschen!«
»Lasst uns weitergehen«, rief der Sicherheitsmann, »ein Dichter, der dreitausend Dukaten von der Hand weist, ist nicht gefährlich. Vorwärts!«
Laut lachend entfernte sich die Patrouille und war nach einer Minute im Dunkel der Straße verschwunden.
Der arme Dichter war niemand anders als Richard Bertram, der seit der Zeit, dass er seine Wohnung verlassen hatte, in dumpfer Verzweiflung durch die Stadt geirrt war. Als er sich allein sah, trat er rasch zum Ufer und ließ sich erschöpft auf der ersten Stufe einer Treppe nieder, die neben der Brücke zum Wasser hinabführte. – Der Mond war indes aufgegangen und erhellte mit seinem melancholischen Licht all die Plätze, zu denen der Schein der Laternen, die auf besonderen Befehl mit dem Trabanten der Erde wetteifern mussten, nicht dringen konnte. Richard hatte zufällig einen Winkel gefunden, der ihn vor beiden schützte, sodass er von den Vorübergehenden nicht gesehen werden konnte. Mit düsteren Blicken starrte der arme junge Mann in die schwarzen Wellen, die sich in eintönigem Rauschen an den starken Steinpfeilern der Brücke brachen und dann in ruhigem Strom ihren Weg verfolgten.
»Ich kann nicht anders«, murmelte Richard, »und ich muss bekennen, dass mir die Erfüllung meiner Pflicht leicht, sehr leicht wird. Alles, was ich auf dem Gang zu meinem Grab gesehen habe, ist durchaus nicht geeignet, mich davon abzuhalten; es trägt vielmehr dazu bei, den Ekel am Leben vollständig zu machen. Der Starke unterdrückt den Schwachen, die Bosheit überlistet die Tugend, und Hohn verfolgt den Unglücklichen, wohin er sich wendet. Ich stand unter den Fenstern eines Palastes, wo man ein Fest gab und die Aristokratie den Becher der Freude leerte, während die Armut am Hungertuch nagt; ich sah Minister, die lächelnd einen Plan besprachen, der Millionen von Menschen