Der Rattenzauber. Kai Meyer

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Der Rattenzauber - Kai  Meyer

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herum und sahen einen von Einhards Männern, der aufgeregt auf seinen Anführer zueilte und einen kleinen Lederbeutel schwenkte. Er hatte Mühe, sich durch die fiebernde Menge zu drängen, die sich durch nichts von der feurigen Hinrichtung ablenken ließ. Ich erkannte den Mann; es war jener, der am Baum vor der Stadt zurückgeblieben war und im Gras nach etwas gesucht hatte.

      Schließlich gelang es ihm, sich zu uns durchzuschieben. »Seht, Meister Einhard, was am Fuß der Esche lag«, stieß er atemlos hervor.

      Der Scheiterhaufen brannte nun stärker, einige Zuschauer drängten ein, zwei Schritte zurück, um den Hitzewogen zu entgehen. Der Unglückliche an seinem Pfahl verzog nun gequält das Gesicht, doch löste sich kein Laut aus seiner Kehle. Der Schmerz musste kaum noch zu ertragen sein, wenngleich seine Kleidung noch kein Feuer fing und selbst sein Haar bislang unversehrt geblieben war. Man hatte das Holz so aufgeschichtet, dass Pfahl und Opfer zuletzt verbrannten.

      Einhard nahm den Lederbeutel mit gerunzelter Stirn entgegen. Der Beutel war kaum größer als seine Hand und schien der schlaffen Form nach leer zu sein. Einhard drehte ihn um und schüttelte den vermeintlichen Inhalt auf seine Handfläche. Zwei helle Kugeln rollten hervor, kaum größer als Kirschen. Er nahm eine zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte sie leicht. Sie ließ sich ohne weiteres verformen.

      »Was ist das?«, fragte er seinen Helfershelfer.

      Der Mann hob die Schultern.

      »Verzeiht«, sagte ich, nicht ganz sicher, ob das Wort so hämisch klang, wie ich es meinte, »doch wenn Ihr mir einen Blick erlaubt, vermag ich Euch vielleicht eine Antwort zu geben.« Mir war mit einem Mal eine üble Ahnung gekommen, eine diffuse Erinnerung an etwas, das ich während meiner Zeit an der Klosterschule gehört hatte. Plötzlich spürte ich den unbestimmten Drang, mein Pferd herumzureißen und so weit wie möglich zu fliehen. Stattdessen aber sprang ich aus dem Sattel und machte einen Schritt auf Einhard zu.

      Vor uns fingen Bart und Haar des Ketzers Feuer. Er schüttelte sich wie in einem irren Tanz zu Ehren seiner Götzen. Sein Gesicht verschwand hinter einer gleißenden Wolke aus Glut.

      Kein Schrei, nicht ein einziger.

      Nur die Menge brüllte vor Begeisterung.

      Einhard zögerte einen Augenblick, dann reichte er mir mit zweifelndem Blick eine der beiden Kugeln. Möglicherweise hatte ihn meine Unruhe angesteckt; vielleicht aber hoffte er auch nur auf mein Scheitern.

      Die Kugel bestand aus Wachs oder Talg. In ihrem Inneren schien es einen dunklen Kern zu geben. Mit einem Fingernagel ritzte ich die weiche Masse, bis ein paar Körner eines grauen Pulvers aus der Öffnung rieselten. Ich roch daran, wagte aber nicht, es mit der Zungenspitze zu berühren, aus Angst, es sei ein Gift.

      »Nun?«, fragte Einhard und grinste überheblich.

      Ich zögerte mit einer Antwort, dann sagte ich: »Ich bin nicht sicher ...«

      Einhard schüttelte den Kopf, dann schleuderte er den leeren Beutel und die zweite Kugel achtlos in den knisternden Scheiterhaufen.

      Nur einen Moment später zerriss ein gleißender Blitz an jener Stelle das Zwielicht, wo die Kugel ins Feuer gefallen war. Ein Donnern übertönte die jubelnde Menge, Funken stoben wild in alle Richtungen, und Flammen griffen wie höllische Arme nach den Umstehenden.

      »Lauft!«, schrie ich so laut ich konnte, sprang selbst auf den Rücken meines Pferdes und hatte alle Mühe, das aufgebrachte Tier zu bändigen.

      Ungläubiges Entsetzen war Einhard ins Gesicht geschrieben. Er stand da wie versteinert und starrte ins Feuer, während die Erregung der Menschen um uns herum mit einem Mal in Angst umschlug. Sie begriffen nicht, was geschehen war. Einige dachten wohl an ein Zeichen des Herren, andere fürchteten die Strafe der Hölle. Sie alle jedoch ahnten, dass ihnen eine Gefahr drohte, wenn sie noch länger hier stehen blieben. Panik brach aus, als sich die vorderen Reihen nach hinten wälzten.

      Da, endlich, begann der brennende Ketzer zu schreien. Einhards Männer schlossen sich den Flüchtenden an, die nun in alle Richtungen davonstürzten. Allein er selbst blieb stehen und blickte fassungslos auf den lodernden Mann, der hohe, schrille Töne ausstieß wie ein Kalb, wenn es geschlachtet wird. Der Körper des Ketzers war eine einzige, zuckende Fackel, und noch immer lebte er.

      »Er hat sie geschluckt!«, schrie ich Einhard über den tosenden Lärm hinweg zu. »Er hat die verfluchten Kugeln geschluckt, wer weiß, wie viele.«

      Der Oberste der bischöflichen Schergen drehte sich zu mir um, und plötzlich schien neue Klarheit in sein Denken zu fließen. Er geriet in Bewegung und rannte los. Ich selbst stieß dem Pferd meine Fersen in die Flanken. Aufgescheucht sprengte es vorwärts.

      Hinter uns übertönte ein Krachen die Schreie der Menschen, ein Donnern und Grollen wie beim Fall der Mauern zu Jericho. Ein Schwall glühender Hitze hieb in meinen Rücken, und sogleich schossen scharfe Holzsplitter an mir vorüber wie Pfeilhagel einer feindlichen Armee. Ein spitzes Etwas streifte meinen Nacken und hinterließ eine Spur glühender Pein. Ich wagte nicht, mich umzuschauen, legte mich nur enger an den Hals des Pferdes, schloss die Augen und ließ mich von dem braven Tier in Sicherheit tragen. Überall um mich her waren Schreie, ein Ozean von Schmerz und Verzweiflung, als Zuschauer, die nicht schnell genug fortgekommen waren, von brennenden Trümmern des Scheiterhaufens zu Boden gerissen wurden. Das Schreien des Ketzers war verstummt, kurz bevor die Explosion seinen Körper zerriss, doch das Brüllen der Männer und Frauen schien es noch lange über seinen Tod hinaus fortzusetzen.

      Mein Pferd galoppierte über den Marktplatz hinaus in den Schlamm, schwarze Fontänen spritzten gleich teuflischen Geysiren auf, und hier endlich brachte ich das panische Tier zum Stehen. Unter einigem Wiehern und leichtem Aufbäumen gab es schließlich Ruhe. Ich ließ es umdrehen und blickte nun direkt in das Inferno, das den östlichen Teil des Marktplatzes überzogen hatte wie der Glutregen eines Feuer speienden Berges. Vom Scheiterhaufen und dem Ketzer war nichts übrig geblieben. Überall lagen brennende Holzteile, durch die verstörte Bürger in rauchender Kleidung irrten, auf der Suche nach Freunden und Verwandten oder einfach nur nach einem Ausweg. Hier und da lagen Menschen am Boden, doch soweit ich sehen konnten, regten sich alle; keiner schien tödlich verletzt.

      Mit einer Ausnahme. Einhard war es nicht gelungen, rechtzeitig vom Scheiterhaufen fortzukommen. Er war der Letzte gewesen, der sich von dem sterbenden Ketzer abgewandt hatte, und die feurige Eruption hatte ihn mit aller Macht erfasst. Sein Körper lag verdreht wie ein altes Laken inmitten des Flammensees, Glut zuckte über seine verkohlte Kleidung, und fingerlange Holzspäne ragten ihm aus Gesicht und Oberkörper.

      Zwei seiner Männer eilten auf ihn zu und beugten sich über ihn, doch war ihrem Mienenspiel zu entnehmen, dass kein Leben mehr im Körper ihres Anführers war. Vorsichtig hoben sie ihn auf und trugen ihn hinüber zum Eingang des Rathauses, wo sich einige der Stadtoberen nun zögernd ins Freie wagten.

      Wie durch ein Wunder (und zweifellos würde man es später als solches bezeichnen) war die hölzerne Mysterienbühne von den Flammen unversehrt geblieben. Der Bereich, in dem die verstreuten Reste des Scheiterhaufens lagen, endete wenige Schritte vor dem gewaltigen Bauwerk. Auch bestand keine Gefahr, dass das Feuer auf andere Teile Hamelns übergreifen konnte, denn um den Platz herum war schließlich nichts als sumpfiges Ödland. Kirche und Rathaus hatte man aus massivem Stein errichtet, lediglich zwei Fenster waren von fliegenden Trümmern zerschmettert worden. In den leeren Rahmen steckten noch Splitter des dicken, gelben Glases wie faulige Fangzähne.

      Ich wusste, dass ich niemandem helfen konnte, und verspürte auch keinerlei Drang dazu. Ich hatte von ähnlichen Begebenheiten aus anderen Städten munkeln hören, Menschen, die selbst

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