Der Rattenzauber. Kai Meyer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Rattenzauber - Kai Meyer страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Der Rattenzauber - Kai  Meyer

Скачать книгу

in diesen Tagen.«

      Er machte einen Schritt zur Seite, und ich betrat einen schmalen Gang, von dem nach beiden Seiten Türen in weitere Kammern führten. An seinem Ende öffnete er sich zu einem Kaminzimmer. Heiße Flammen züngelten in der Feuerstelle, und sogleich umfing mich behagliche Wärme.

      »Habt Dank«, sagte ich, als mir der Graf ein Tuch reichte.

      Er musste meinen zweifelnden Blick bemerkt haben, denn er sagte: »Ihr wundert Euch sicher, dass keiner meiner Diener für Euer Wohlergehen sorgt und ich selbst Euch empfange.«

      »Nun, ich –«

      »Streitet es nicht ab, Ritter«, fiel er mir ins Wort. »Ich kann Unehrlichkeit nicht ertragen. Deshalb will ich Euch auch gleich die Wahrheit sagen: Es gibt keine Diener mehr in diesem Haus, nicht mal einen Knecht im Stall. Man weigert sich, in meine Dienste zu treten. Die Macht des Bischofs ist groß in Hameln.«

      Ich legte das Tuch beiseite, nachdem ich es notdürftig auf meine nasse Kleidung gepresst hatte. Zumindest tropfte ich nicht mehr wie ein Wassergeist. »Wollt Ihr damit sagen, der Bischof verbietet den Bürgern, für Euch zu arbeiten?«, fragte ich zweifelnd.

      »Nicht der Bischof persönlich, er sitzt feist und schwer im fernen Minden. Doch seine Stellvertreter in der Stadt, der Stiftsvogt, sein Probst und der Dechant wissen mich jedweder Annehmlichkeit zu berauben.«

      Über eine Treppe stiegen wir hinauf ins Obergeschoss. Es wurde von einem einzigen, mit Holz ausgeschlagenen Saal eingenommen, an dessen einer Seite eine lange Tafel stand. Auch hier loderte ein warmes Kaminfeuer. Zur Einrichtung gehörten einige Felle und eine ganze Reihe mächtiger Truhen. Das einstmals blank polierte Holz wie auch die eisernen Beschläge waren durch fehlende Pflege matt geworden. Auf Stühlen vor dem Feuer nahmen wir Platz.

      Das Haupt des Grafen war lang und schmal, die fein geschnittene Nase unzweifelhaftes Zeichen seines Adels. Der weißgelbe Haarschopf wuchs in ungezähmter Dichte, trotz seines ehrwürdigen Alters; die leuchtende Wirrnis gab ihm die Aura eines stolzen Gelehrten. Doch wer in seine Augen blickte, der erkannte den Betrug seines Äußeren: Schwalenbergs Blick war trüb und gebrochen, jeder Funke seines früheren Stolzes längst gewichen. Der Graf hatte mehrere Jahrzehnte in Hameln verbracht, und ich erschrak bei der Erkenntnis, dass der Widerstreit mit den Getreuen des Bischofs ihn seiner Lebensglut beraubt hatte. Er war nicht ohne Würde, keineswegs, und was ihm auf dem Turm an Höflichkeit gemangelt, machte er nun durch Gastfreundschaft wett. Trotzdem blieb der Eindruck, dass ich hier nur mit dem Schatten seines einstigen Selbst am Feuer saß.

      »Ihr tragt eine Tonsur«, sagte er tonlos und deutete auf meinen Hinterkopf.

      »In der Tat erhielt ich die erste Weihe«, erklärte ich.

      »Doch seid versichert, ich bin dem Herzog treu ergeben und stehe in diesem Zwist mit ganzem Herzen auf Eurer Seite.«

      Er nickte bedächtig, als habe er nichts anderes erwartet. »Zu meiner Zeit trugen wir Ritter glänzende Rüstungen und die Trophäen besiegter Feinde, keine Abzeichen elender Pfaffen.«

      »Wollt Ihr mich beleidigen?«, fuhr ich auf und sprang empört vom Stuhl.

      Er kicherte und hielt mich mit einer Geste zurück. Sogleich bedauerte ich mein ungestümes Wesen. Was hatte ich tun wollen? Ihn zum Kampf fordern? Einen alten Mann wie ihn?

      »Verzeiht«, bat ich und setzte mich wieder.

      »In meiner Jugend war ich ebenso wie Ihr, Robert von Thalstein. Aufbrausend, stets bereit, meine Kraft mit dem Schwert zu messen. Doch das ist lange her. Die Zeit der hohen Ritterschule ist längst vorbei. Wir kämpften einst um die Gunst der Damen, um Ehre und Ansehen, um die Liebe unseres Königs. Doch was ist davon geblieben? Sagt, wie wurdet Ihr in Hameln empfangen?«

      Ich zögerte, ihm die Wahrheit zu sagen, besann mich aber dann eines Besseren. »Ein Knecht des Bischofs erdreistete sich, mich zu maßregeln.«

      »Und, habt Ihr ihn erschlagen?«

      »Das war nicht nötig. Sicher hätte ich ihn –«

      Wieder unterbrach er mich. »Ja, ganz sicher. Ihr tatet es aber nicht. Glaubt mir, zu meiner Zeit wäre der Kopf des Narren gefallen wie das Laub im Herbst, noch ehe er begriffe, was mit ihm geschähe. Doch Ihr jungen Recken denkt, bevor Ihr handelt, und das ist recht so. Viel Leid bleibt dem Volk dadurch erspart. Doch mit der Unberechenbarkeit und Willkür der ritterlichen Macht ist auch ihr Ansehen geschwunden. Hinter vorgehaltener Hand spottet das Volk über Euch, im Geheimen treibt es Späße auf Eure Kosten – und auf die meinen, natürlich. Doch Ihr seid nicht gekommen, um einen alten Mann über Vergangenes faseln zu hören.«

      Seine Offenheit hatte mich überrascht, und nun tat es wiederum die Abruptheit, mit der er den Gegenstand seiner Rede wechselte. Ich räusperte mich und griff unter mein Wams. Aus dem Futter zog ich das Schreiben hervor, das man mir für den Grafen gegeben hatte. Es trug das Siegel des Herzogs und sollte ihn von Anstand und Ehre meines Trachtens überzeugen.

      Er zerbrach das Siegel und las den Brief langsam, schweigend und sehr genau. Seine Miene änderte sich nicht, sie blieb beinahe ausdruckslos; nur ein schwaches Flimmern wie von Erstaunen oder auch Ablehnung spielte um seine Augen.

      Schließlich lehnte er sich zurück, steckte den Brief ein und musterte mich mit verblüffender Schärfe. »Ihr wollt also wissen, was mit den Kindern geschah.«

      »So ist es.«

      »Ich glaube nicht, dass ich Euch dabei helfen kann.«

      »Ihr verwirrt mich«, sagte ich erstaunt, nur um gleich hinzuzufügen: »Es ist der ausdrückliche Wunsch des Herzogs, dass Ihr mich bei der Wahrheitsfindung unterstützt.«

      Der Graf erhob sich von seinem Stuhl. »Folgt mir.«

      Ich fürchtete, er wolle mich hinauswerfen, doch stattdessen trat er vor eine niedrige Holztür an der Südseite des Saales und öffnete sie. Dahinter waren in der Dunkelheit Stufen zu erkennen. Der Turm, dachte ich.

      Ich ging hinter ihm her, während er schweigend die schmale Wendeltreppe hinaufstieg. Das kühle Innere des Turms war stockfinster. Erst als der Graf oben eine weitere Tür öffnete, strömte graues Herbstlicht in die Schatten. Wir traten ins Freie.

      Sogleich umfingen uns wieder Regen und der Brandgeruch vom Marktplatz. Das Feuer musste längst gelöscht sein, und auch der Rauch löste sich allmählich auf, trotzdem klebte der rußige Gestank an den Dächern wie verbrannter Zuckerguss. Ein durchdringender Wind pfiff um die Zinnen. Nach Norden hin sah ich die weit hingestreckte Bauwüste, die von hier aus noch gewaltiger wirkte. Sie nahm in der Tat weit mehr als die Hälfte der ummauerten Stadt ein. Auch Marktkirche und Rathaus waren zu erkennen. Neben ihnen ragte die Mysterienbühne aus dem Dunst wie das Gerippe eines Ungeheuers. Die Dächer des Urdorfes lagen verborgen hinter Schwaden.

      Nach Westen hin blickten wir direkt auf den Stiftsbezirk. Eine klotzige Kirche hockte in seiner Mitte, um sie herum standen die Häuser der Stiftsherren, allen voran die Anwesen des Vogts und seiner Lakaien. Auch das Händlerviertel mit seiner geschwungenen Marktstraße bot sich meinen Blicken dar wie eine lockende Hure, prahlend mit billigem Tand.

      Gleich vor uns, im Zentrum der Plattform, stand eine merkwürdige Konstruktion aus hölzernem Gestänge, von der sich rechts und links lederne Schwingen abspreizten. In der Mitte befand sich ein Sitz.

      »Gütiger Himmel«, entfuhr es mir in plötzlicher Erkenntnis, »Ihr wollt

Скачать книгу