YOLO. Paul Sanker
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу YOLO - Paul Sanker страница 5
2 | Der geheimnisvolle Fremde
Am anderen Morgen schlief Henrik Wanker erst mal richtig aus. Er wurde am Samstag dem zwölften Juni, elf Uhr dreißig, von der herrlichen Frühlingssonne geweckt, die in sein Schlafzimmer schien.
Nicht nur wegen des fabelhaften Wetters war er gut gelaunt, sondern weil er sich heute die neue Grafikkarte für seinen Computer kaufen wollte. Die Bildqualität von KoF würde sich deutlich verbessern und das Spiel noch mehr Spaß machen.
Vor zwei Jahren hatte sich Henrik einen neuen Computer angeschafft. In Anbetracht des Fortschreitens der technischen Entwicklung entsprach dieser Zeitraum einer kleinen Ewigkeit. Er hatte damals das Geld dafür seiner Mutter abknöpfen können, weil er ihr vorgeschwindelt hatte, dass er den PC für ein Fernstudium brauche.
In Wahrheit hatte sich seine Mutter nie richtig dafür interessiert, welche Leistungen und Noten Henrik in der Schule erzielte. Hauptsache, sie wurde nicht durch irgendwelche blauen Briefe, die ins Haus flatterten, oder durch sonstigen Ärger belästigt. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass seine Mutter jemals einen Elternsprechtag wahrgenommen hatte. Es war ihr nicht nötig erschienen, weil sie die Ansicht vertrat, dass Lernen Henriks Angelegenheit sei und nicht die ihre. Außerdem habe sie viel zu wenig Zeit für so blödes Gequatsche wie: Wo soll der nächste Schulausflug hingehen und wer kann beim nächsten Martinslaternen-Basteln helfen? Dafür sei ihr die Zeit zu kostbar, hatte sie behauptet.
Womit seine Mutter jedoch damals ihre Tage verbracht hatte, wusste Henrik bis heute nicht. Auf seine Nachfragen hatte sie nur geantwortet, dass sie geschäftlich auf Reisen sei und er sowieso nicht verstünde, was sie Bedeutungsvolles zu erledigen habe. Später beschränkte sie sich darauf, ihn von oben herab anzufahren, dass es ihn nichts anginge, was sie mache. Er solle lieber froh sein, dass er Geld von ihr zugesteckt bekomme. Also hörte er auf, Fragen zu stellen.
Er hatte die Gesamtschule als kaum mittelmäßiger Schüler durchlaufen, sich aber dennoch dazu entschlossen, das Abitur zu machen. Nicht etwa, weil ihn der Ehrgeiz gepackt hatte, sondern weil sein Eintritt ins Arbeitsleben dadurch um drei Jahre aufgeschoben wurde.
Vom Wehrdienst war er verschont geblieben, weil er extrem kurzsichtig war und Senkfüße hatte.
Mit neunzehn Jahren machte Henrik sein Abitur mit einem Notendurchschnitt von drei Komma vier. Damit war klar, dass eine glanzvolle Karriere als Arzt oder Anwalt schwierig sein würde, und er selbst bezweifelte, mit Afrikanistik oder dem Studium marokkanischer Volkstänze rasch viel Geld verdienen zu können.
Sein Vorschlag, daher erst mal ein oder zwei Jährchen zu Hause in Ruhe darüber nachzudenken, wie er seine sicher glanzvolle Karriere starten solle, stieß bei der Mutter auf wenig Gegenliebe. Vielmehr handelte sie kurz entschlossen. Sie schickte ihn zu einem Bewerbungsgespräch zu Herrn Krause, dem Filialleiter eines Discounters in der Vorstadt. Krause stellte ihn ohne Begeisterung, aber auch ohne großes Interesse für seine Schulzeugnisse als Auszubildenden zum Einzelhandelskaufmann ein. »Sozusagen aus alter Freundschaft zu deiner Mutter«, wie er mit eigenartiger Betonung auf dem Wort Freundschaft und einem anzüglichen Grinsen abschließend sagte.
Die zweite Entscheidung, die seine Mutter für ihn traf, war, dass Henrik bei ihr auszuziehen habe. Sie hatte ihm ein Appartement am anderen Ende der Stadt angemietet. Bis zur Beendigung seiner zweijährigen Ausbildung werde sie die Miete zahlen, hatte sie versprochen, danach sei er selbst an der Reihe. Es sei an der Zeit, dass er lerne, auf eigenen Füßen zu stehen. Außerdem sei das bescheidene Reihenhaus mittlerweile zu klein geworden für Mutter und Sohn. Sie sei eine Frau in den besten Jahren und brauche Raum für ihre persönliche Entfaltung.
Das mit der eigenen Wohnung empfand Henrik als gute Idee, den Job im Discounter eher weniger. Er sah aber auch den Vorteil, der darin lag, bald eigenes Geld verdienen zu können. Der Gesellschaft seiner Mutter weinte er keine Träne nach.
Wie sich bald herausstellte, war es mit dem großen Geldverdienen im eigenen Job allerdings nicht weit her. Nachdem Henrik seine Lehre beendet hatte und von Herrn Krause sogar übernommen wurde – aus alter Freundschaft zur Mutter, versteht sich – bekam er gerade mal neunhundertfünfzig Euro ausbezahlt.
Dreihundertfünfzig Euro betrug allein die Miete, die er ja von Stund an selber bestreiten musste. Dazu kamen Strom, Wasser, Telefon und so weiter. Mit dem Rest, der ihm blieb, kam er hinten und vorn nicht zurecht. Henrik Wanker war immer knapp bei Kasse.
Die Mutter steckte ihm zwar zwischendurch mal ein paar Euro zu, wenn er ihr genügend lange etwas vorjammerte, doch es reichte nie aus. Dies lag natürlich auch an seinem Lebensstil.
Ab und zu ging er zum Beispiel zur Rennbahn, und wenn er einen heißen Tipp von einem der Stalljungen bekam, wurde auch mal der eine oder andere Fuffi gesetzt. Scheiß Gäule! Aber was sollte es? Man lebt nur einmal – dafür aber mit Klasse!
Zwischendurch brauchte Henrik auch schon mal Bares, um mit seinen Freundinnen in der Kit-Kat-Bar zu feiern. Er war dort ein gern gesehener Gast und die billigste Flasche Schampus kostete in diesem Lokal hundertzwanzig Euro. Das musste man schon investieren, wenn eine der Schlampen lieb zu ihm sein sollte.
Heute nun war wieder mal Zahltag! Gut gelaunt pfeifend eilte Henrik in die Stadt, schnurstracks zu Billie, dem Pfandleiher. Er war dort Stammkunde. Immer mal wieder brachte er ihm ein paar Löffel aus Mutters Silberbesteck, eine alte Uhr oder Manschettenknöpfe, die noch von seinem Vater stammten. Das Zeug lag in irgendwelchen Schubladen oder auf dem Dachboden rum. Die Alte würde den Trödelkram sowieso nicht vermissen. Heute hatte er etwas ganz Besonderes zu verpfänden. Das würde ihn auf einen Schlag flüssig machen.
Henrik war vor dem Laden des Pfandleihers angekommen. Durch das mit einem Stahlgitter gesicherte Schaufenster lugte er in den Raum hinein.
Billie saß hinter seinem Tresen und überprüfte irgendwelche Listen, die vor ihm ausgebreitet lagen.
Beschwingt öffnete Henrik die Ladentür, die jeden Eintretenden mit einem lauten Klingelton ankündigte.
»Ach nee! Mein bester Kunde«, murmelte Billie mit einem kurzen Blick auf den Besucher. Er kniff das linke Auge halb zu, als er Henrik über die randlose Lesebrille hinweg anschaute, die tief auf seinem Nasenrücken saß. Sein linker Mundwinkel hing dabei leicht abschätzig herab.
Billies Alter war schwer zu schätzen, es lag irgendwo zwischen Mitte vierzig und sechzig. Sein Schädel war bis auf ein paar graue Haarstoppeln kahl. Der Körper wirkte dagegen wegen seiner muskulösen Arme und dem ausladenden Brustkorb auffallend durchtrainiert. Die etwas abgeplattete Nase ließ den Verdacht aufkommen, dass er früher mal geboxt hatte.
Nachdem Billie Henrik offenbar genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte, brütete er weiter über seinen Papieren.
»Hi, Billie, ich hab’ heute was ganz Wertvolles für dich.« Henrik kramte in der Innentasche seine Cordjacke herum und legte dann vorsichtig einen in Zeitungspapier gewickelten Gegenstand auf den Tresen.
Billie schielte gelangweilt herüber. »Na und? Pack’s aus und mach’s nicht so spannend.«
Henrik nickte und wickelte mit fahrigen Händen das Papier ab. Zum Vorschein kam ein breiter, goldener Armreif. Erwartungsvoll hielt er dem Pfandleiher das Schmuckstück hin.
Der nahm es entgegen, schaute es von allen Seiten an und drehte es mehrfach prüfend um. »Nicht schlecht. Wo hast du das Teil her?« Misstrauisch sah er Henrik in die Augen.