Luthers Kreuzfahrt. Felix Leibrock

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Luthers Kreuzfahrt - Felix Leibrock

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Krach.

      In allen Wipfeln

      Ist von Ruh

      Kein Hauch.

      Die Vögelein streiten im Walde.

      Warte nur, balde,

      bist im Stress du auch.“

      III

      Als Kind kannte Didi das Gefühl, besser nicht geboren zu sein. Auch wenn er ihr einziges Kind war, hatten seine Eltern eigentlich keine Zeit für ihn. Sein Vater, Erich Dollmann, betrieb einen Ein-Mann-Sanitärbetrieb in Bruchköbel, einer hessischen Kleinstadt. Die Aufträge, die er bekam, waren mehr als bescheiden. Hier mal ein verstopftes Abflussrohr bei einer alten Witwe, da mal ein tropfender Wasserhahn, das war zum Leben zu wenig. Ein paar Mal hatte er versucht, bei größeren öffentlichen Aufträgen mitzuhalten. Die neuen Sanitäranlagen der städtischen Grundschule, die Gemeinschaftsdusche in der Kreis-Sporthalle. Er plante, Arbeitskräfte zumindest befristet einzustellen, um den Auftrag auszuführen. Didi saß im Peugeot-Lieferwagen, wenn der Vater zur Gebotseröffnung in die Stadtverwaltung oder ins Landratsamt fuhr. Er wartete im Auto und sah schon am schleppenden Gang des Vaters, dass es wieder mal nicht geklappt hatte. Auf der Rückfahrt war der Vater einsilbig, murmelte etwas von illegalen Absprachen und griff zu Hause immer häufiger zur Cognacflasche. Das waren die Augenblicke, in denen Didi höchst wachsam sein musste. Mehr als einmal hatte der Vater den ersten Anlass genutzt, um seinen Frust an ihm abzureagieren. Nicht nur mit Worten. Auch die Hand rutschte ihm das ein oder andere Mal aus, wie er euphemistisch die Tracht Prügel beschrieb, die er dem Sohn verabreichte. Aus schlechtem Gewissen heraus nahm er ihn dann am nächsten Tag mit zu einem Auftrag, gab ihm einen Groschen für das Halten des Rohres oder das Tragen der Wasserpumpenzange und erlaubte ihm, für ihn die Knöpfe des Spielautomaten in den Kneipen zu drücken, die sie auf der Heimfahrt aufsuchten und in denen Vater Erich nicht nur ein Pils trank. Obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten konnten, fuhr der Vater mit Didi einige Jahre im Sommer für ein, zwei Wochen zu einem Bauernhof in der Nähe des oberbayerischen Wolfratshausen. Der Vater half dem Bauern, einem entfernten Verwandten, gegen freie Kost und Logis bei der Ernte, während Didi an der Isar entlangzog, ohne wirklichen Kontakt zu den Kindern des Ortes zu finden. Am Abend pichelte der Vater mit dem Bauern selbstgebrannten Schnaps. Didi blieben nur die Katzen, Schweine, Kühe und Bobo, der Hofhund, als Bezugswesen. Wen er schmerzlich bei diesen Urlauben vermisste, war die Mutter. Hier hätte er vielleicht eine innigere Beziehung zu ihr gefunden! Sie wäre mit ihm gemeinsam an der Isar spazieren gegangen, hätte ihm Käfer und Gräser erklärt und ihm gezeigt, wie man Steine auf dem Wasser hüpfen lässt. Aber seine Mutter war nie dabei. Sie musste Geld verdienen, um die Existenz der Familie abzusichern. Die wenigen Einnahmen des Vaters wanderten zunehmend in seinen Alkoholkonsum.

      Christel Dollmann war in jungen Jahren eine schöne, sportliche Frau. Mit ihren eingedrehten blonden Locken und ihrer natürlichen Eleganz erinnerte sie nicht wenige an die damals von allen bewunderte Grace Kelly. Erich Dollmann hatte Christel beim Tanz kennengelernt. Es imponierte ihr, wie aufgeschlossen er den neuen Tänzen Boogie-Woogie und Rock ’n’ Roll gegenüber stand. Wild warf er sie bei diesen Tänzen hin und her und bei innigen Tangoschritten zu Freddy Quinns Die Gitarre und das Meer hauchte er ihr ins Ohr, er möchte mit ihr alt werden. Die Hochzeit fand in großer Bescheidenheit statt, alles Geld wurde gespart für die Flitterwochen am Lago Maggiore, wo man dem Brautpaar in einem kuscheligen Albergo das schönste Zimmer gab, mit Blick auf den See.

      Didi kam ein Jahr später zur Welt. Die Ehe ging sehr schnell in Routine über, in ein Zusammensein, das geprägt war von Streiten über fehlendes Geld, Trunkenheit des Vaters und Gesprächen nur noch an der Oberfläche. Die Familie, das zeigte sich bald, brauchte ein zweites, ein sicheres Einkommen. Christel Dollmann erwarb als eine der ersten Frauen in Bruchköbel den Führerschein. Mit Hilfe eines Kredites kauften sie einen VW-Bus T1, den sie zu einem Verkaufswagen umbauten und mit dem fortan Christel Dollmann über die Dörfer fuhr, um Brot, Eier, Wurst und andere frische Lebensmittel zu verkaufen. Vor allem die alten, nicht automobilisierten Leute auf dem Dorf waren dankbar für diesen Service. Der Service funktionierte aber nur, so dachte Didis Mutter, wenn sie 365 Tage im Jahr immer zur gleichen Zeit bei Wind und Wetter die Dörfer anfuhr. Verlässlich zu sein war das A und O, sonst überließen die alten Leute zunehmend den Kindern die Versorgung. Und die, die fuhren in die wie Pilze aus dem Boden schießenden Supermärkte. Dort fanden sie eine größere Auswahl, und die Preise waren auf Grund der Massenkontingente beim Einkauf günstiger. Darum fuhr die Mutter nie mit nach Oberbayern. Darum war Didi immer alleine an der Isar unterwegs. Urlaub war für seine Mutter, die selbst an Heiligabend über die Dörfer fuhr, ein Fremdwort, und er musste sich alleine beibringen, wie Steine auf der Isar hüpfen.

      An die Schulzeit dachte Didi nie gerne zurück. Jede Klasse hat mindestens einen Außenseiter, und manchmal gab es auch einen Außenseiter für die ganze Schule. Didi war so einer. Oft war er Gesprächsthema in allen Schulklassen des von ihm besuchten Knaben-Realgymnasiums. So einmal, als ihm einige Jungs der höheren Klassen mit Nägeln seine neue Windjacke, auf die er so stolz war, auf einer der Holzbänke unter der alten Linde des Schulhofs festtackerten. Der Schulgong ertönte. Er bemühte sich, eilig in den Unterrichtsraum zu kommen, ergriff die Jacke im Rennen. Mit einem großen Ratsch riss sie mitten entzwei. Natürlich war das keiner der Jugendlichen gewesen, als es zur Gegenüberstellung beim Direktor kam. Sie gaben sich gegenseitig ein Alibi. Didi stand alleine da mit seiner kaputten Jacke – und musste ein häusliches Donnerwetter vom Vater zusätzlich fürchten. Tagelang sah er in grinsende Gesichter der höherklassigen Schüler. Als er einmal auf einen losstürmte und ihm die Faust ins Gesicht schlagen wollte, stürzten sich die anderen auf ihn und lieferten ihn beim Direktor ab. Mehrere Tage Nachsitzen!

      Demütigend war vieles in der Schule. In den Hofpausen bildeten sich mehrere Teams, die mit einem Tennisball auf verschiedenen Feldern des Schulhofs Fußball spielten. Nicht, dass er davon ausgeschlossen war. Aber am Anfang stand die Wahl der Mannschaften. Die beiden Anführer bildeten einen Abstand von einigen Metern und gingen dann, abwechselnd Fuß vor Fuß setzend und Schnick-Schnack rufend, aufeinander zu. Wer den Fuß am Schluss auf den Fuß des anderen setzte, begann mit der Wahl. In Form eines neuzeitlichen Sklavenhandels gingen zuerst die guten und beliebten Spieler weg. Zwar war Didi gar kein so schlechter Fußballer. Aber warum sollten sich die Mitschüler diese Gelegenheit entgehen lassen, ihn zu demütigen? Also wählten sie auch die schwächeren Spieler in die Teams und ließen ihn am Schluss alleine schmoren. Obwohl klar war, dass er nun zu dem Team kam, das als letztes an der Wahl war, sagte deren Anführer demonstrativ: „Nee, lieber spielen wir mit einem weniger als mit DEM da.“ Erst nachdem sich alle eins abgelacht hatten, durfte er gnadenhalber mitspielen. Oft ging er dann ruppig zur Sache, was ihm die kollektive Wut der gegnerischen, manchmal sogar der eigenen Spieler bescherte. In ihm stieg in solchen Situationen ein schwarzes Tier auf, ein unbändiger Hass auf die Mitschüler, das Leben überhaupt. Warum, so fragte er sich, wenn er einsam nach Hause trottete, bin ich auf der Welt?

      Oft überlegte er, warum er in diese Außenseiterrolle geraten war. Ihm kam dabei stets die verwundete Katze in den Sinn. Sie war ihm und einigen Klassenkameraden über den Weg gelaufen, humpelnd, da ihr ein Bein fehlte. Die anderen machten sich einen Spaß daraus, das geplagte Tier durch den Park neben der Schule zu jagen, nach ihm zu treten und es mit übelsten Schimpfworten zu belegen.

      „Halt, hört auf, lasst sie in Ruhe!“, war er, Didi, damals vehement dazwischengegangen. Er hatte den Klassenkameraden sogar gedroht, es ihren Eltern zu sagen. Mit Katzen hatte er auf dem Bauernhof bei Wolfratshausen geschmust, sie waren ihm lieb und wertvoll. Verächtlich hatten ihn die anderen angeschaut. Einer, Kalle, spuckte ihm ins Gesicht. Am nächsten Tag machte das Erlebnis die Runde in der Klasse, dann in der Schule: Didi, das Weichei! Der Katzenfreund!

      Einige Wochen später, bei einer Exkursion, versuchte Didi, sein Image aufzupolieren. Sie kamen an einen Tümpel voller Frösche. Der Biologielehrer, Herr Weschke, war mit

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