Luthers Kreuzfahrt. Felix Leibrock

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Luthers Kreuzfahrt - Felix Leibrock

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umzusetzen, um seine neue Rolle anzunehmen, brauchte Wolle eine Symbolhandlung. Er sah ein letztes Mal, nicht ohne Wehmut, den Lutherrock an und packte ihn dann wieder in die Plastiktüte. Auf einen Zettel schrieb er: „Zur allgefälligen Benutzung. Wolle Luther.“ Den Zettel gab er ebenfalls in die Tüte, verschnürte und verklebte sie und holte weit aus. Der so eingetütete Lutherrock schwebte in die von den Schiffsschrauben aufgewühlten Wellen. Ein kurzer Tanz auf den Schaumkronen, und Neptuns Kleiderkammer hatte sich erweitert.

      Das eigentliche Leben bei aufgehender Sonne spielte sich auf dem Pooldeck ab. Die Philippina Mary Ann, die gerade die Handtuchausgabe eröffnete, sah sich verschlafenen, aber dennoch nicht aggressionsfreien Gesichtern ausgesetzt. Die drei Söhne der Familie Becker aus dem Saarland; Jupp Schmitz aus Köln mit der elfjährigen Tochter Julia; die mit zwei anderen Witwen verreisende Helga Haseneier aus Offenbach, die ihren Namen, um anzügliche Gedanken zu vermeiden, seit Kindheit an „Hase-neier“ aussprach; Ottilie Greis und zwei andere Mitglieder des Frauenkneippvereins Harmonie Stuttgart-Bad Cannstatt; Pfarrer Cornelius Schwacke, Leiter einer Luthertagung (auch das war auf der NOFRETETE mit ihrem hochmodernen, allen technischen Wünschen gewachsenen Conference Center möglich); Hugo Frank mit Panamahut als Vertreter der Sächsischen Imker. Bis auf Schwacke, der abwartete, entrissen sie Mary Ann geradezu die Pool-Handtücher, um sie, ergänzt mit Sonnenbrillen, vergilbten Bastei-Lübbe-Schmökern und fast leeren Cremetuben auf die in geordneter Phalanx stehenden Liegen zu werfen. Die Handtuchholer waren nach einem undurchschaubaren, aber effizienten Selektionssystem von ihrem Clan oder ihrer Stammesgemeinschaft auserkoren, stellvertretend für die anderen die besten Plätze für die Vergnügungen des ersten Tages, eines Seetages, also das Animationsprogramm mit Gewinnmöglichkeiten, das Freibier des Kapitäns und andere Lustbarkeiten, zu okkupieren. In an paramilitärische Operationen erinnernden Formationen gingen sie vor und binnen weniger Minuten hatte die Pooldeckguerilla den ersten Grabenkampf gewonnen. Alle Liegen vor den diversen Pools und der später als Bühne dienenden Freitreppe hatten sie unter Zeugen belegt. Kein Zweifel, hier waren Wiederholungstäter am Werk, notorische NOFRETETE-Reisende, die auf der ersten Fahrt leer ausgegangen waren und auf einem abgelegenen Liegestuhl fernab des Geschehens unter der prallen Sonne dahindarbten. Aus dieser frustrierenden Erfahrung klug geworden, hatten sie jetzt das kryptische Motto verinnerlicht, das Darwins survival of the fittest nur unwesentlich nachstand: Der frühe Vogel fängt die Liege.

      Ab 7.00 Uhr füllten sich die Restaurants mit Frühstücksgästen, denen der viele Gratis-Wein beim Buffet des ersten Abends anzusehen war. Der in Zivil umherstreifende Schiffsarzt Dr. Moll, ein Ruheständler, der im Gegenzug für seine Leistungen kostenfrei reiste, erspähte erste Opfer und gab beim Frühstück Ferndiagnosen. Ein Spiel, das er sich seit Jahren mit seiner Gattin, einer Krankenschwester, die er in vierter Ehe geheiratet hatte und die also auch vom Fach war, gönnte. Gastritis, Bluthochdruck, Fettleber, Reflux, Gallensteine, das ganze Programm war abzusehen. Einmal kam beiden gleichzeitig die Anorexia nervosa über die Lippen, als sich nämlich Gesine Harms an ihnen vorbei zur Obstbar schlängelte.

      Die Sonne war ein gutes Stück am Horizont hochgeklettert, eine leichte Brise wehte. Auf dem Pooldeck erschien das strahlend weiß gekleidete Animationsduo: Jenny, 25 Jahre, Studienabbrecherin aus der Hansestadt Bremen, die einfach gerne was mit Menschen machen wollte und mal gucken wollte, was sich beruflich vielleicht so ergibt, und die NOFRETETE ist ja irgendwie toll, da sind so viele spannende Leute und immer schönes Wetter und das Meer und mit der Crew einen Cocktail zwischendurch trinken und, ach, ich weiß auch nicht. Kai aus Leipzig, sein Abitur lag schon acht Jahre zurück, wollte nur mal ein paar Monate nach den Prüfungen relaxen, war ja echt Stress, auch wenn’s nur mit dem Notendurchschnitt drei Komma zwei endete, aber dann waren die Fristen zum Einschreiben an der Uni verstrichen, BWL und so, und dann hat ein Kumpel in einem Hotel auf Ibiza den Animateur gegeben und geschwärmt und dann hat sich das mit der NOFRETETE ergeben und ist ja auch total cool, obwohl, ich mein, manchmal geht’s auch ganz schön auf den Geist, jede Woche das gleiche Programm abziehen, den ganzen Sommer über, und manchmal gibt’s richtig Ärger mit Gästen, die rummaulen, und was soll aus mir werden, frag ich mich schon und überhaupt, und, ach, ich weiß auch nicht.

      Mit ein paar launigen Floskeln weckten die beiden Animateure die vom Frühstück erschöpften Beckers, Schmitz’, Haseneiers (gesprochen Hase-neiers), Greis’, den Frauenkneippverein, die sächsischen Imker und all die anderen. Wie dösende Seelöwen, speckig glänzend von der ersten Sonnenmilch, hatten sie dagelegen. Jetzt stellten sie die Liegen in die Sitzposition um. Jenny piepste begeistert: „Nun präsentieren wir Ihnen unseren Neuzugang. Wir, Kai und ich, wir haben unser Team erweitert. Freuen Sie sich mit uns über unseren neuen Animationsassistenten, Wolle Luther!“

      Bei diesen Worten trat Wolle aus der Pool-Bar hervor und zeigte sich der Menge. Der anfangs noch sehr spärliche Applaus ging, für ihn rätselhafterweise und ohne, dass er etwas getan hatte, in ein Gelächter über, das sich wie ein Lauffeuer über das ganze Deck verbreitete. Wie er aus manchen witzig gemeinten Äußerungen mitbekam, war es seine Kleidung, die diese Wirkung erzielte. Wie seine beiden Kollegen hatte er eine weiße kurze Hose und ein gleichfarbiges T-Shirt an, beides mit dem marineblauen Emblem der NOFRETETE. Bei der Bestellung der Größen war man offenbar von Bonsai und seinen Kollegen ausgegangen. Die riesigen Bestände an Mannschaftsbekleidung auf der NOFRETETE reichten nicht über die Größe XL hinaus. So hing das T-Shirt an Wolle mit seinen stattlichen 150 Kilogramm eher wie ein Lätzchen am Säugling. Nicht mal bis zum Bauchnabel reichte der Stoff, darunter quoll die gewaltige Plautze in mehreren Wulsten hervor. Die Hose war an Wolles Körper nur ein Höschen und erinnerte fatal an einen String-Tanga, bedeckte sie gerade mal das Geschlecht und einen Teil des Gesäßes, nicht den größten.

      „Wolle, wenn wir absaufen, leihst du mir dann einen deiner Rettungsringe?“, prustete Hans Blumenstiel los, einer der Imker.

      „Sexy, sexy“, riefen die drei Becker-Söhne fast unisono frech.

      „Is dat Hagrid, Rubeus Hagrid?“, staunte Julia Schmitz, die ausgewiesene Harry-Potter-Expertin an der Seite ihres zähnebleckenden Vaters.

      Nur Pfarrer Cornelius Schwacke, der mit seinen raspelkurzen Haaren und seiner rauhen Stimme verblüffend an den Sänger Sting erinnerte, fragte ernst hinter seiner Sonnenbrille hervor, einem Gucci-Imitat: „Schreibt er sich wirklich Luther? Wie der Reformator?“

      „Ja, ihr Lieben“, griff Kai die Worte auf, „ich merke, Wolle schlägt voll bei euch ein. Mit seinen 51 Jahren ist er im Herzen jung geblieben, wie ihr seht. Sonst hätte er sich nicht auf so einen Job beworben. Ha, ha. Vielleicht sagst du mal selbst was zu deiner Person. Ich meine, wer du so bist, Wolle, und wo du herkommst und so. Echt cool, dass du hier bist, altes Haus.“

      Er drückte Wolle, der auf die Freitreppe gestiegen und damit für alle gut sichtbar war, das Mikro in die Hand. Dieser stierte verärgert ins Wasser des neben ihm sprudelnden Whirlpools.

      „Los, sag was, Wolle, ha, ha“, spornte Kai ihn an.

      Wolle pumpte Luft in sich, das T-Shirt spannte bis zum Äußersten, dann brüllte er los:

      „Ihr wollt mich hier alle verarschen, was? Lachen auf meine Kosten, oder was? Wisst ihr, wie ich das nenne? He? Gottlos ist das!“

      Wolle stand auf der Freitreppe wie King Kong auf dem Empire State Building, bereit zum Sprung auf die unter ihm liegende Meute.

      Gespenstische Stille trat ein. Einige klappten die Liegen wieder runter und machten den Seelöwen. Vom hinteren Teil des Pooldecks riefen einige „Pfui“, „Dafür haben wir nicht bezahlt“, „Uns noch beschimpfen lassen! Sauerei! Wir wollen Spaß haben!“, „Was soll das mit Gott? Wir sind doch hier in keiner Kirche. Unverschämt. Ich bin Atheist!“

      Kai und Jenny lösten sich erst langsam aus der Erstarrung, die sich ihrer bemächtigt hatte. Sie baten um eine kurze Unterbrechung und zogen Wolle in die Küche der Pool-Bar.

      „Sag

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