Luthers Kreuzfahrt. Felix Leibrock

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Luthers Kreuzfahrt - Felix Leibrock

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ersten Begegnung mit Ulrike. Nach einigen Tagen hatte er den Rhythmus ihrer Fahrten herausgefunden, registrierte, woher sie kam und wusste bald, dass sie am Mädchengymnasium war. Oft stand er seitdem hinter Büschen oder Bäumen und beobachtete sie, wie sie die Schule verließ oder morgens die Schule betrat. Bei ihrem Gang erschauerte er jedes Mal, mehr Schmerz als Freude empfand er. Das Nachstellen entwickelte sich zu einer Droge, ein Verhalten, das sich von Tag zu Tag steigerte. Mit der Zeit stieg er an ihrer Haltestelle mit aus, verfolgte sie in gehörigem Abstand und wusste bald über ihr Herkommen Bescheid: Ihr Vater war der bekannte Arzt und Stadtrat Dr. Friedrich Braunholz, Internist und CDU-Mitglied. Über die Gartenhecke erkannte er ein grün gefliestes Hallenschwimmbad, das an das Wohnhaus angebaut und am Abend exotisch beleuchtet war. Wenn er Personen durch die Glasbausteinwand schemenhaft ins Bad steigen sah, stellte er sich Ulrike im Bikini vor und bekam ein Gefühl, das mit Wollust nur unzureichend erfasst ist.

      Manchmal fragte er sich, ob Ulrike sein Spannen und Nachstellen nicht schon bemerkt hatte. Der Gedanke war ihm gar nicht unrecht, ergäbe sich doch, sollte sie ihn darauf ansprechen, endlich eine Gelegenheit, sie kennenzulernen. Aber nur selten hatte er Blickkontakt, und wenn, sah Ulrike sogleich auf den Boden, wie sie es auch tat, wenn andere in ihre Augen sahen. Sie war scheu, sagte er sich, und mit ihren braunen Kulleraugen erinnerte sie ihn auch optisch an ein Reh.

      Um einen Fortschritt zu erzielen, begann er, morgens um 5.00 Uhr aufzustehen und das Haus zu verlassen. Seine Mutter wunderte sich, aber er konnte ihre neugierigen Fragen gut abwenden. Er behauptete, sich am Morgen am besten auf die Schulaufgaben zu konzentrieren. Das Lernen in der Natur falle ihm leichter. In Wirklichkeit begab er sich auf eins der Felder vor der Stadt und pflückte jeden Tag einen kleinen Sommerstrauß, den er vor der Haustür der Angebeteten niederlegte. Allerdings tat er das, ohne eine Nachricht beizugeben, dazu fehlte ihm der Mut. Rational gesehen eine völlig unsinnige Aktion. Aber was ist in dieser Lebenssituation schon rational? Er freute sich, Ulrike später aus dem Bus aussteigen zu sehen und zu wissen, sie hatte sich am Morgen schon über sein Blumengeschenk gefreut. Irgendwie hoffte er auf ein Wunder, auf eine Begebenheit, die die Dinge zum Guten wendete. Das Wunder geschah, aber nicht in der Weise, wie er es sich erhofft hatte. Eines Tages legte er ein Sträußlein aus Klatschmohn und Kornblumen gegen 6.00 Uhr vor den Eingang. Er trat ganz vorsichtig auf die Treppenstufen, um jedes Geräusch zu vermeiden. Doch trotzdem öffnete sich plötzlich die Tür und heraus trat ein älterer, sehr rüstiger Herr, der ihn festhielt und fragte, warum er jeden Tag das Unkraut hier ablege. Es war Ulrikes Großvater, der im Erdgeschoss wohnte und als Frühaufsteher jeden Tag zuerst die Blumen entdeckt und sofort entsorgt hatte. Mühsam riss sich Didi von ihm los und suchte das Weite. Die Aktion, ein totaler Fehlschlag, ein Debakel, von dem er nur hoffte, Ulrike möge es nicht mitbekommen. Denn einen so feigen und anonymen Verehrer, wieso sollte sie den erhören?

      So sah er nur noch einen Ausweg: Hubert. Er war der unbestrittene Flirtkönig der Klasse, hatte mit fünfzehn Jahren schon ein gutes Dutzend Freundinnen und mit den meisten „etwas gehabt“, wie er das geheimnisvoll umschrieb. „Jedenfalls mehr als Knutschen“, erläuterte er im Kreis der Mitschüler und genoss die bewundernden Blicke. Ihm, Didi, gegenüber zählte er nicht zu den Oberlästerern, ja, manchmal hatte er das Gefühl, Hubert hege sogar ein paar Sympathien für ihn. Immerhin hatte er ihn bei der letzten Englisch-Arbeit, bei der Hubert neben ihn strafversetzt wurde, ein paar Vokabeln spicken lassen und einen dankbaren Blick geerntet.

      Hubert Knabe, der Liebesexperte, der Casanova, der wusste, wie das andere Geschlecht tickte, ihn bewunderte er insgeheim und von ihm erhoffte er sich Rat.

      „Hubert, ich habe da so ein Problem“, fing er den Dialog nach der Schule an und nahm in Kauf, Ulrike und ihren Bus an diesem Tag zu verpassen.

      „So, na dann schieß mal los!“, ermunterte ihn Hubert.

      Didi erläuterte ihm in aller Kürze seine Lage, ohne seine Nachstellungen zu erwähnen, ganz zu schweigen von der misslungenen Blumenaktion.

      „So, also einen Rat möchtest du!“, unterbrach Hubert im Stile eines angehenden Eheanbahnungsinstitutsbesitzers endlich die Stille, die nach Didis aufgeregter Rede eingetreten war. „Was ist dir denn der Rat wert?“

      Unsicher sah Didi in Huberts Augen, der dem Blick standhielt.

      „Möchtest du Geld, Hubert?“

      Hubert legte die rechte Innenhand an sein ausladendes Kinn und strich darüber.

      „Ja, gute Idee, oder warte. Du hast doch einen neuen Füller, von Pelikan. Hab ich doch bei der Englisch-Arbeit gesehen. Das neueste Modell. Der M150 mit vergoldeter Edelstahlfeder. Mit Tintensichtfenster. Da kenn ich mich aus. Also, ich will dich ja nicht ausnehmen, mit Geld und so. Aber der Füller, der wär nicht schlecht. Hast ja sicher noch den alten!“

      Ja, schoss es Didi durch den Kopf, den alten hatte er noch. Aber der kleckerte manchmal und der neue, das war sein Geburtstagsgeschenk. Hatte ihm die Mutter direkt bei Pelikan besorgt, wo ihr Cousin in der Chefetage arbeitete. Sonderpreis und so. Den sollte er abgeben? Aber viel stand auf dem Spiel, alles! Wenn Hubert ihm dafür den todsicheren Tipp gab! Für Ulrike war nichts in der Welt kostbar genug!

      „Okay, kannste haben. Dann sag mal an!“

      „Erst mal den Füller!“, gab Hubert die Bedingung vor. Bei ihm galt, wie bei Partnerschaftsagenturen, Vorauskasse ohne Anspruch auf Rückzahlung bei Misserfolg.

      Nervös kramte Didi den Füller aus seinem Mäppchen hervor und reichte ihn Hubert, der ihn eilig einsteckte. Didis Hände zitterten.

      „Na gut, also das läuft so mit den Frauen.“

      Hubert holte zu einem umständlichen Exkurs aus, deutete manch gelungene Eroberung an und gab sich wie ein Gunter Sachs oder ein Julio Iglesias auf dem Zenit ihrer Verführungskunst. Ein Charmeur vor dem Herrn, und das mit fünfzehn Jahren. Das jedenfalls legte der gockelhafte Blick in die Ferne nahe, mit denen er die Namen seiner Eroberungen erinnerungstrunken preisgab: Sabine, Linda, Conny, Andrea, jeden Namen mit einem Seufzer versehen, ach, war das schön mit ihr. Die Methode, die er schließlich Didi benannte, um ein Mädchen zu erobern, reichte allerdings nicht an Casanova und seine modernen Nachfahren heran. Nein, sie erwies sich als ausgesprochen schlicht, um nicht zu sagen: primitiv.

      „Wo triffst du deinen Schwarm immer?“

      „Treffen ist zu viel gesagt“, gab Didi kleinlaut zu, „ich sehe sie halt immer am Bus. Morgens, vor der Schule, und auch am Nachmittag.“

      „Ha, stellst ihr wohl nach? Aber egal. Sie geht allein zur Schule? Keine Freundinnen? Und du hast ein Mofa?“

      Didi nickte.

      „Dann geht das so. Du fährst nicht mit dem Bus in die Schule, sondern mit dem Mofa. Wenn sie den Bus verlässt und zur Schule läuft, fährst du wie zufällig mit dem Mofa seitlich an sie heran.“

      Hubert stand auf. Didi sah ihn entsetzt an. Sollte das alles gewesen sein?

      „Und dann, was mache ich dann?“, fragte er panisch den Casanova.

      „Na, dann ist doch klar, was du machst. Du gehst zum Totalangriff über. Fragst sie: Eh, hallo, willst du mit mir gehen?“

      „Wie, so direkt?“

      „Na, was denkst du denn! Wer nichts wagt, der gewinnt nicht. Glaub mir, die meisten Weiber sind froh, wenn sie einen abkriegen. Sogar …“, jetzt zögerte er etwas, „sogar einen wie dich.“

      „Aber, ich mein, das …“ Didi stammelte nur noch, während Hubert sich entfernte. Der neue Füller war weg. Er hatte

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