für immer 8 Bit. Uwe Post

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für immer 8 Bit - Uwe Post

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dem Sofa, das sich vermutlich abends in ein Bett verwandelte, saßen einträchtig ein Nashorn, ein Bär und ein Elefant nebeneinander. Sie starrten mich an, als wäre ich ein möglicher Konkurrent um Streicheleinheiten. Schön wär‘s, Sportsfreunde!

      Gegenüber gab es Schränke und Regale, in denen ein kleiner Fernseher stand. Daneben warteten einige Singles und LPs auf ihren nächsten Einsatz auf dem silbernen Sony-Plattenspieler. Oben auf dem Schrank stand eine mit einem Tuch abgedeckte Schreibmaschine.

      »Okay«, sagte Anna, »shall we start with English?«

      »Äh«, machte ich. Streng genommen war es logisch, die Englisch-Hausaufgaben nicht auf Deutsch zu besprechen, aber überrumpelt fühlte ich mich trotzdem. Ich brachte ein gestelztes »jäss« hervor.

      Wir mussten einen längeren Text aus einer älteren Zeitung lesen, zusammenfassen und Verständnisfragen dazu beantworten. Anna schlug vor, den Text abwechselnd laut vorzulesen. Sie musste mich mehrmals korrigieren.

      Zwischen Frage Drei und Frage Vier kamen wir uns unter dem Tisch mit den Füßen in die Quere. Ich fragte mich, wie jemand, der dicke Wollsocken trug, derart kalte Füße haben konnte. Ich grinste Anna an und sagte: »Cold.«

      Sie verdrehte die Augen, schob ihre Zehen unter meine Füße und las die Frage vor.

      Ich war in diesem Moment sehr erleichtert. Erleichtert darüber, dass offenbar die lange Zeit vorüber war, in der jegliche Interaktion mit Mädchen für mich ein Ding der Unmöglichkeit gewesen war. Eine Zeitspanne, die immerhin in etwa seit meiner Geburt bestand, mindestens aber seit dem Zeitpunkt, an dem ich begriffen hatte, dass Mädchen keine Jungs waren. Ich hatte keine Waage zur Hand, war aber sicher, dass meine Erleichterung messbar war. Im wahrsten Sinne des Wortes unbeschwert verliefen die restlichen Englisch-Hausaufgaben.

      »Das war doch gar nicht schlecht«, sagte Anna, als wir fertig waren. Fand ich auch, und meinte damit nicht zuletzt das Füßeln.

      »Warum sprichst du so gut Englisch?«, fragte ich.

      »Ich war mit meinen Eltern zweimal in England und einmal in Schottland im Urlaub.«

      »Hm. Meine fahren mit mir leider bestenfalls nach Österreich.«

      Anna lachte. »Und? Kannst du Österreichisch?«

      »Genauso wenig wie meine Eltern Englisch können. Oder irgendeine andere Fremdsprache. Deshalb fahren wir nie weiter weg. Außerdem ist es teuer.«

      »Erklärst du mir die Quotientenregel?«

      »Nö«, sagte ich und fühlte mich plötzlich viel besser. »Wir werden sie stattdessen gemeinsam herleiten.«

      »Ist solche Folter nötig, um die heutigen Aufgaben zu lösen?«

      »Du hast zwei Möglichkeiten«, sagte ich und zeigte ihr zwei Finger der linken Hand. »a) Du lernst die ganzen Formeln auswendig. Kann man machen. Find ich aber recht anstrengend, und wenn du dir bloß ein Rechenzeichen verkehrt herum merkst, ist alles vorbei. b) Du verstehst die Formeln. Dann musst du sie dir nicht merken, weil du sie dir jederzeit herleiten kannst.«

      »Aber ich muss mir die Herleitung merken.«

      »Nein.« Ich sah Hilfe suchend zu Nashorn, Bär und Elefant. »Beziehungsweise: Ja. Aber das ist viel leichter. Hast du ein leeres Blatt Kästchenpapier? Also, schreib: f(x) durch g(x), in großen Klammern, Strich oben dran. Genau. Und jetzt ...«

      Während wir arbeiteten, stellte sich heraus, dass Anna Probleme mit Bruchrechnung hatte. »Damit bist du nicht alleine«, sagte ich. »Aber das ist Übungssache. Wir können bei Gelegenheit mal eine Stunde Bruchrechnen üben. Kürzen, Erweitern, Brüche addieren und so weiter. Das wird in der Oberstufe vorausgesetzt, aber viele können nicht sicher damit umgehen.«

      Anna seufzte demonstrativ. »Mir macht das keinen Spaß.«

      »Spaß?« Ich hatte gerade welchen, denn Anna hatte meinen versteckten Vorschlag, sich erneut zu treffen, nicht brüsk abgelehnt. »Doch, es macht Spaß. Es macht Spaß zu sehen, wie die Zahlen und Buchstaben umher tanzen und sich doch immer an ihre Regeln halten. Wie am Ende ein Ergebnis erscheint, dem manchmal sogar eine gewisse Eleganz nicht abgesprochen werden kann. Und nicht zuletzt macht es Spaß, etwas zu können, das nicht jeder kann. So wie Schreibmaschine schreiben.« Ich zeigte zu dem abgedeckten Gegenstand auf dem Schrank.

      »Das ist keine Schreibmaschine«, sagte Anna. »Das ist ein Computer.«

      »Äh«, machte ich. »What?«

      »Ein Com-pu-ter.«

      Ich überlegte, ob ich mich kneifen sollte.

      Sweet dreams are made of this ... (iv)

      »Mein Vater hat ihn ausrangiert. Er wollte damit irgendwas für die Arbeit machen, aber es hat anscheinend nicht funktioniert. Da hat er ihn mir überlassen. Er hielt es für schlau, wenn ich mich damit beschäftigen würde.«

      Who has the mind to disagree ... (v)

      »Ich neige dazu, dem Mann zuzustimmen«, sagte ich vorsichtig. »Was für einer ist es denn?«

      »Ein Atari 800 oder so.«

      »Ein ...« Mir blieb die Luft weg. Vielleicht, weil ihre Worte klangen wie »Nashorn oder Elefant, ist doch egal«: Es mangelte ihnen an Ehrfurcht. Atemlos schwelgte ich in Erinnerungen: »Letzten Sommer, beim Schüleraustausch in Frankreich, haben wir auf der Rückfahrt in Paris angehalten. An der Sacre Coeur wurden wir ausgeladen, neun Jungs und 21 Mädchen, ich aß das Baguette au Jambon, das mir die Mutter meines kleinen Franzosen mitgegeben hatte, danach war uns langweilig.«

      Anna lehnte sich zurück, griff zu ihrem Stoffelefanten, setzte ihn sich auf den Schoß und ließ mich reden.

      »Wir gingen die Treppen runter, nach Montmartre, und irgendwo in der Nähe einer dieser hammermäßigen überirdischen Jugendstil-Metro-Stationen betraten fünf der neun Jungs einen kleinen Computerladen. Dort habe ich zum ersten Mal einen echten Atari 800 gesehen und darauf herum getippt.«

      »Herum getippt?«

      Ich nickte. »Es war kein Steckmodul drin. In dem Fall ist der Atari nicht mehr als ein ziemlich schwerer und teurer Notizblock mit weißen Buchstaben auf blauem Hintergrund, der beim Ausschalten alles vergisst.«

      »Keine gute Eigenschaft für einen Notizblock.«

      Es war der zweiterotischste Moment meines Lebens gewesen, direkt nach dem heutigen Füßeln mit dicken Socken. Allerdings behielt ich diesen Gedanken für mich.

      »Du kannst ihn dir ansehen, wenn du willst«, sagte Anna. »Aber es ist kein Spiel dabei.«

      Ich schob meinen Stuhl zum Regal und kletterte hinauf. »Ja und?«

      »Weil«, sagte Anna, »diese Dinger sind doch nur zum Spielen gut.«

      »Warum klingt das Wort Spielen bei dir wie im Dreck wühlen?«

      Anna zuckte mit den Schultern. »Spielen ist Zeitverschwendung.«

      »Genau wie Fernsehen«, sagte ich, während ich den schweren Computer vom Schrank hievte. Dahinter verbarg sich ein Schuhkarton mit Netzteil und Kabeln. »Aber Computer sind

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