Das schöne Fräulein Li. Peter Brock

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Das schöne Fräulein Li - Peter Brock

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Chinesen, Falschspieler und Betrüger, die am nahen Schlesischen Bahnhof Ankömmlingen aus der Provinz einen passenden Empfang bereiten wollen.

      Wenn das Wasser wenigstens warm gewesen wäre, denkt Kappe, oder nach Rosenblüten geduftet hätte. Und nun kommt auch noch jemand, der versichert, ihn nicht hauen zu wollen. Na immerhin!

      Die kleine Frau, nicht älter als dreißig, mit den tiefschwarzen Augen, den hochgesteckten rabenschwarzen Haaren und dem engen kohlenschwarzen Kleid verbeugt sich vor Kappe nun schon zum dritten Mal und sagt etwas, das wie «Nie hau!» klingt, und fügt dann noch so etwas wie «Hinn bau tschienn!» hinzu.

      Dass sie ihn nicht hauen will, was ihr angesichts seiner körperlichen Überlegenheit auch schwergefallen wäre, freut Kappe, und dass sie erkennt, dass etwas «hin» ist, nämlich seine Unversehrtheit, das weiß er zu schätzen. Nur ob diese mit Hilfe eines Herrn Tschienn wiederaufzubauen wäre, daran zweifelt Kappe. Eines jedenfalls wird ihm schlagartig bewusst: Es wird schwer werden, den Mord an einem Chinesen aufzuklären, wenn man dessen Sprache nicht spricht. Aber Chinesisch lernen, das weiß Kappe, das geht gar nicht.

      Dass die Frau zu ihm nur «Guten Tag!» und «Entschuldigen Sie!» sagte, das wird er eines Tages noch erfahren. Bis jetzt aber weiß Kappe nur, dass er wie ein begossener Pudel dasteht.

      Die Chinesin versucht, ihn mit einem gräulichen Küchenhandtuch, das sicher eine Waschbrettallergie hat, trockenzureiben. Sie reicht mit ihren Armen kaum an seinen Kopf heran. So gelingt es Kappe, die gut gemeinte Hilfe galant abzuwehren und den dreckigen Lappen von seinem Körper fernzuhalten.

      Unterdessen ist er, beinahe unbemerkt, der Mittelpunkt einer kleinen Menschenansammlung geworden. Zu den drei Kindern, die Kappe mit Pilzwasser auf dem Kopf so lustig finden, sind weitere Chinesen und auch ein paar Deutsche gekommen.

      Kappe gehört nicht hierher, das sieht man an seinem Straßenanzug. Er kauft seine Hemden und Hosen zwar meist auch nur bei C&A in der Königstraße, gleich in der Nähe des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz, aber besseres Tuch als diese lichtscheuen Gestalten hier trägt er allemal.

      «Da müssen Sie die Polizei rufen! Sofort!», rät ihm eine ältere Frau.

      «Ach was, wer sich hier rumtreibt, ist selber schuld», sagt ein Handwerker, der seine Werkzeugtasche vorsichtshalber mit beiden Armen fest umschlossen hält.

      Kappe nickt nur.

      Und die Chinesen? Die lachen einfach. Auch die älteren. Kappe stimmt in dieses Knabenchorlachen als Bass mit ein.

      Bloß jetzt den Dienstausweis nicht zücken, denkt er. Er versucht es lieber mit einem Scherz und meint, auch der Regen sei schon mal sauberer gewesen. Dann bahnt er sich einen Weg durch die Schaulustigen.

      Die chinesische Stifterin all dieses Unheils schaut Kappe hinterher.

      Beim Zurückblicken sieht er, dass sie ihm zuwinkt wie ein kleines Mädchen.

      Als Kappe seinen Slalom um spielende Kinder, Bettler, Fahrräder, stehengelassene Ascheimer und Holzkisten mit chinesischen Schriftzeichen fortsetzt, muss er sich eingestehen, dass er eigentlich gar nicht weiß, wo er hinwill.

      «Willste mitkommen?», wird er von einem Mädchen gefragt, das seine Tochter sein könnte. «Ick mach et uns jemütlich.»

      Kappe schüttelt nur den Kopf. Eigentlich hätte er seinen Ausweis ziehen und sie fragen müssen, wie alt sie sei, wie ihr Lude heißt und in welcher Kalenderwoche des Vorjahres sie sich das letzte Mal gewaschen habe. Aber er lässt es. Vielleicht ist es wieder diese nie so ganz zweifelsfrei diagnostizierte Stoffwechselkrankheit, die ihn seit seiner Jugend plagt und die ihm ab und an eine Extraportion bleierne Müdigkeit beschert. Aber da sieht er auch schon das rettende Schild an der Ecke Kraut- und Lange Straße: Schultheiss. Jetzt ein Bier. Es ist zwar nicht erlaubt im Dienst, und es wird seine Müdigkeit sogar noch verschlimmern, aber der hopfigherbe Geschmack auf der Zunge hat ihm schon oft beim Nachdenken über knifflige Fälle geholfen. Und nachdenken, das muss er nun wahrlich.

      Denn klar ist bislang nur, dass der Tote allem Anschein nach als Händler arbeitete und wie viele seiner Landsleute von Tür zu Tür ging, um Specksteinschnitzereien, Porzellanvasen oder Lackschächtelchen zu verkaufen. Ein paar geschnitzte Drachen, die man als Staubfänger auf die Kommode stellen kann, sowie einen nicht unbeträchtlichen Geldbetrag fand man in den Manteltaschen des Toten. Aber einen Ausweis hatte er nicht bei sich. Oder wurde er ihm gestohlen? Aber warum sollte der Räuber dann das Geld zurücklassen?

      Kappe steuert weiter auf die Kneipe zu. Er geht so zielstrebig über die Kreuzung, dass er fast von einem abbiegenden NAG-Sportwagen C4b über den Haufen gefahren wird. Kappe kann gerade noch rechtzeitig einen Sprung zurück machen.

      Der am Steuer in dem offenen Wagen sitzende Chinese hupt und schreit.

      Kappe versteht kein Wort. In Gedanken ist er bei dem Autotyp, einem NAG, einem bordeauxroten, gebaut von der Neuen Automobil-Gesellschaft in Oberschöneweide, der Fabrik, die von dem Manne gegründet wurde, dessen Sohn, Walther Rathenau, vor wenigen Tagen erst zum deutschen Außenminister ernannt worden war. Und ein derartiges Auto wird gefahren von einem Chinesen! Was für eine verkehrte Welt! Dieser Geruch! Der ist es. Kappe braucht einen Moment, um zu merken, was an dieser Kneipe anders ist.

      Gut, da sitzen zwei Dutzend Chinesen im Gastraum und nur fünf, sechs Deutsche. Aber sonst? Alles wie immer und überall: blankgescheuerte Holztische, ungepolsterte Stühle, deren Schrammen davon zeugen, dass sie schon manchen Flug durchs Lokal überlebt haben, und hinterm Tresen ein Wirt des Typs «Eckkneipe»: unschätzbares Alter zwischen vierzig und sechzig, Bierbauch, Blick eines gutmütigen Dackels, der genau weiß, wo der Hase lang läuft, Lederschürze überm altersgrauen weißen Hemd, aus dessen zu weit geöffnetem Kragen gelbliches Feinripp und graue Brusthaare lugen, die Ärmel hochgekrempelt, die Hände im Spülwasser, der Blick bei den Gästen.

      Klar, so jemand sieht einem wie Kappe sofort an, dass er nicht aus freien Stücken hier ist, um sich mal billig einen auf die Lampe zu gießen. Außerdem weiß der Wirt längst, obwohl es noch in keiner Zeitung hat stehen können, dass einer seiner Gäste tot ist. Deshalb überlegt er bei Kappes Anblick gar nicht erst, ob es sich bei ihm um eine Amtsperson handelt, die zwecks Kontrolle von Küche und Toilette vorbeikommt, oder um einen Polizisten, der illegal hier lebende Chinesen oder solche ohne Genehmigung zum Haustürverkauf sucht. Der Wirt weiß gleich, der kann nur wegen des Mordes da sein.

      Kappe steht derweil noch staunend vor den mit chinesischen Schriftzeichen versehenen Blättern, die an die holzvertäfelten Wände geheftet sind.

      «Tach! Det sind Bekanntmachungen des Konsulats für unsre China-Männer», sagt der Wirt, der hinter Kappe getreten ist.

      «Schön! Und ich bin Kappe, Hermann Kappe.»

      «Und Sie kommen von der Polizei wegen des Toten.»

      Kappe ist solch eine Direktheit nicht unangenehm. Gern lässt er sich vom Wirt auf ein Bier einladen und stellt sich zu ihm an den Tresen.

      Von den Chinesen achten nur wenige auf ihn. Nichts zeugt von Unruhe, Ängstlichkeit oder schlechtem Gewissen, registriert Kappe enttäuscht. Die meisten haben irgendwelche Dominosteine vor sich aufgebaut, sitzen zu je vier Mann am Tisch und spielen.

      Dass es sich dabei um Mahjong handelt, bekommt Kappe vom Wirt erklärt. Ein Spiel, das man freilich auch mit Karten spielen könnte, aber Schiffer auf dem Jangtse haben es erfunden, und damit die Karten nicht ins Wasser geweht wurden, nutzten sie Steine zum Spielen. Er erklärt ihm auch, dass der Getötete Herr Keung geheißen habe,

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