Das schöne Fräulein Li. Peter Brock

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Das schöne Fräulein Li - Peter Brock

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bedeute Kraft, das sei ihm gesagt worden, und kräftig sei der Tote ja tatsächlich gewesen. «Der hat für den Wong geschuftet, diesen Schuft!», fährt der Wirt fort, und ohne auf eine Nachfrage zu warten, fügt er hinzu: «Des is een übler Jeselle, kann ick Ihnen sagen. Der führt een härteres Rejiment als der Li, und ganz koscher is der ooch nich.»

      Manchmal, denkt Kappe, genügt die Zeit, die man für zwei Schluck Bier braucht, und schon erhellt sich die mondlose Finsternis, die am Anfang jeden Mord umgibt. Beim zweiten Bier weiß er bereits, dass es sozusagen zwei Chefs der chinesischen Händler gibt oder vielleicht auch zwei Paten: Wong und Li.

      Während Wong noch ganz in der Nähe seines Lagers in der Krautstraße wohnt und erst vor zwei Jahren den Großhandel für die an Haustüren feilgebotenen Waren von einem Onkel übernahm, hat sich Li, der mit seiner Familie schon 1908 aus der südchinesischen Küstenprovinz Zhejiang mit der Transsibirischen Eisenbahn über Moskau nach Berlin kam, längst im Handel mit Lackwaren, Porzellan und Steinschnitzereien etabliert, und zwar so gut, dass er nur noch sein Lager im gelben Viertel hat. Er selbst, der Chef, lebt mit seiner Familie dort, wo auch Klara gerne mit Kappe hinziehen würde: in der Kantstraße in Charlottenburg.

      Als der Wirt unaufgefordert das dritte Bier hinstellt, überlegt Kappe kurz, bevor er trinkt, dann aber setzt er an zu einem so großen Schluck, dass er durch das sich schnell leerende Pilsglas hindurch leicht verzerrt sieht, wie sich eine Tür zum Nebenraum öffnet, der Geruch, den er noch immer nicht bestimmen kann, intensiver wird und ein Chinese mit einem vollen Tablett in den Gastraum trippelt. Kappe beobachtet, wie er behende Schüsselchen und Schälchen auf den Tischen verteilt. Unter dem heißen Dampf, so erkennt Kappe, ist die Hälfte der Schüsseln mit Reis gefüllt, die übrigen mit einem undefinierbaren, gulaschähnlichen, rostbraunen Etwas.

      Früher wurde er von seinem Vater immer gerügt, wenn er heiße Suppe schlürfte, beim Essen schmatzte oder gar, was dann postwendend mit einer Ohrfeige quittiert wurde, am Tisch rülpste. Hier hätte sein Vater, der Fischer, sämtliche Kollegen mitbringen können, und alle wären damit beschäftigt gewesen, reihum die Gäste zu bestrafen.

      Kappe schaut interessiert von einem zum anderen der sich mit Stäbchen den Reis und das Soßenfleischgemisch in den Mund schaufelnden Gäste, als wäre er mit Margarete und Hartmut im Zoo bei der Raubtierfütterung.

      «Det Essen machen die schon selba, die ham von mir ’n Nebenzimmer bekommen, und was die da machen, is nich mein Bier, die zahlen ja ooch dafür», erklärt der Wirt.

      Tatsächlich, am Ursprungsort des Geruches, den der Wirt dem neugierigen Kappe nun zeigt, stehen vier kleine kichernde Chinesinnen vor großen Blechtöpfen, in denen es noch immer brodelt und vollkommen ungewohnt riecht.

      Wonach, will Kappe wissen, das kann doch nicht nur vom Maggi kommen, das neben den Töpfen steht und eifrig als Sojasoßenersatz benutzt wird.

      Der Wirt zuckt mit den Schultern. «Chinesisch eben!» Und fragen kann er die Köchinnen nicht. «Die können nich sprechen, ick meene, nich richtich, also nich unsere Sprache.» Er erzählt Kappe, dass die anderen meist auch nicht viel besser sprechen. «Die können grade mal mit Händen und Füßen handeln und ’n paar Zahlen. Die können ‹Bier› und ‹Bitte› sagen, ‹Danke› und ‹Scheene Frau›. Dat war’s dann aber ooch schon.»

      Das sind ja allerbeste Aussichten für erfolgreiche Vernehmungen, denkt Kappe.

      Als könne er Gedanken lesen, meint der Wirt, es gebe einen, der für schmales Geld zuverlässige Dolmetscherdienste leiste, der werde sogar von der Ausländerpolizei in Anspruch genommen und manchmal auch vom Gericht. Mit einem Kopfnicken deutet der Wirt auf einen Tisch in der hinteren Ecke, wo zwei junge Männer gerade die letzten Reiskörner aus der mit der linken Hand angehobenen Schüssel mit Stäbchen in den Mund schieben.

      Nach einer weiteren Kopfbewegung des Wirtes steht einer der beiden vor Kappe. «Ich bin Herr Tam. Guten Tag, mein Herr! Ich studierte Deutsch in Shanghai und bin Ihnen gern zu Diensten.»

      «Na ja, nu mal nich so förmlich, mein Junge!», meint Kappe und klopft ihm auf die Schulter.

      Damit ist Tam engagiert.

      Tam ist klein und drahtig. Er hat die Figur derjenigen Akrobaten, die bei Menschenpyramiden immer ganz oben stehen. Nachdem er vor vier Jahren seine Tante in Berlin besuchte, blieb der in Shanghai Geborene in Berlin hängen. Er schlage sich so durch, sagt er. Das gehe schon. Er habe auch ein offizielles Papier, das ihm bescheinigt, als Dolmetscher arbeiten zu dürfen. Und er interessiere sich für Politik, dafür sei Berlin gut.

      Es gebe hier einige der in der Kommunistischen Partei aktive junge Chinesen, erzählt er Kappe auf dem Weg durchs gelbe Viertel, während Kappe versucht, dem acht Jahre Jüngeren nach drei großen Bieren und einem Korn körperlich und geistig zu folgen.

      «Bei uns in Shanghai ist alles noch schlimmer. Voller. Menschen wie Ameisen», sagt Tam und lacht. Er lacht so wie die Chinesen, die Kappe auslachten, als er die Dusche abbekam: laut, hoch und schrill.

      Kappe schwitzt, als sie endlich am Ende der Andreasstraße vor einem armseligen, aber recht ordentlichen Mietshaus ankommen.

      Neben der Einfahrt ist rechts und links je ein Torpfosten in hellem Grün gestrichen. Darauf hat jemand kunstvoll rote chinesische Zeichen gepinselt. Darunter steht klein und auf Deutsch: Wong, 2. Hinterhof.

      Er wohne im Vorderhaus, erklärt Tam, aber sein Lager sei im Hof, und dort sei er sicher noch zu finden.

      Kappe folgt Tam durch die Toreinfahrt.

      Es ist inzwischen dunkel geworden. Tam zieht ihn am Ärmel und bedeutet ihm aufzupassen.

      Und tatsächlich wuseln schon im ersten Hof kleine Chinesen mit Karren und Kisten, mit Säcken auf den Schultern und Kindern im Arm so flink umher, dass Kappe aufpassen muss, mit keinem zusammenzustoßen. Während der Deutsche am Sonntage ruht, der Chinese flink seine Pflichten tut, dichtet er in Gedanken.

      Am Eingang zum zweiten Hof kommt es zu einem kurzen, heftigen, lautstarken Disput zwischen Tam und zwei stämmigen kleinen Chinesen, die einem Ringverein angehören könnten und augenscheinlich nicht vorhaben, ihren Landsmann und Kappe durchzulassen.

      Zunächst hält Kappe sich aus dem Streit heraus, schaut sich im Hof um und sieht, dass neben den Kisten ein NAG parkt. Einer vom Typ C4b. Bordeauxrot. So wie der, der ihn fast umgefahren hätte.

      Tam bittet Kappe, seinen Polizeiausweis vorzuzeigen.

      Die beiden Türsteher begutachten ihn im Schein der Petroleumlampe und bedeuten den Besuchern zu warten.

      Es dauert. Fünf Minuten bestimmt, bis ein in hellgrünem Baumwollkittel und hellgrünen weiten Hosen gewandeter Chinese kommt.

      Ein schöner Schlafanzug, schießt es Kappe durch den Kopf. Der Diener lässt Tam übersetzen, dass Herr Wong bereit sei den Kommissar zu empfangen.

      Der Gang, durch den sie sich schlängeln, ist nicht für Gegenverkehr ausgelegt. Links und rechts ist er von sich stapelnden Holzkisten mit chinesischer Aufschrift begrenzt. Als Kappe in einem Seitengang Kartons sieht, auf denen in deutscher Sprache geschrieben steht Vorsicht, zerbrechlich!, bleibt er stehen und will sie sich näher ansehen, doch Tam drängt zur Eile, und auch der Hellgrüne stößt bereits Laute aus, wie es sonst nur Galeerenantreiber tun. Kappe bleibt nichts anderes übrig, als zu folgen.

      Schließlich, auf einer Empore des Lagerraums, sieben eiserne Stufen über dem Boden, residiert Herr Wong an einem alten eichenen Schreibtisch. Er erhebt

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