Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen. Daniel Siegel

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Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen - Daniel Siegel Mit Kindern wachsen

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zitterten und meine Hände schmerzten.

      Zunächst fühlte ich weiterhin Panik und Ärger, wenn mein Sohn weinte. Dann sagte ich zu mir: „Das ist ein Gefühl aus meiner Assistenzzeit und hat nichts mit meinem Sohn zu tun.“ Die Panik blieb, aber ich fühlte mich irgendwie ein wenig besser. Als die Tage vergingen und weitere Unterhaltungen und Niederschriften folgten, konnte ich fühlen, wie wichtig es war, die Verletzlichkeit und Hilflosigkeit zu erkennen, zu akzeptieren und zu respektieren – sowohl bei meinem Sohn als auch bei mir. Panik und Verärgerung nahmen merklich ab. Ich erinnerte mich immer wieder daran, dass er nicht wegen mir weinte, und dass es für Kinder einfach völlig normal ist, verletzlich und hilfsbedürftig zu sein. Das Verarbeiten meiner Vergangenheit gab mir die Freiheit, das Weinen meines Sohnes genauso zu akzeptieren wie mein eigenes Gefühl der Verletzlichkeit, als ich lernte, mich in ihn einzufühlen und sein Vater zu sein.

      Ich wurde nie wieder von dieser Rückblende heimgesucht. Die lähmende Panik blieb aus. Die zunächst nur impliziten Erinnerungen wurden nun auch explizit verarbeitet. Diese Veränderung vollzog sich durch die bewusste Verarbeitung der impliziten Erinnerungen als Teile einer größeren, expliziten autobiografischen Erzählung über dieses Jahr. In meiner Lebensgeschichte musste ich die emotionalen Schwierigkeiten mit Verletzlichkeit und Hilflosigkeit, die das Herzstück dieser Erfahrung waren, annehmen, um eine Lösung herbeizuführen.

      Es geht weiter

      Wenn Eltern nicht die Verantwortung für ihre eigenen nicht zu Ende gebrachten Dinge übernehmen, verpassen sie nicht nur die Gelegenheit, einfühlsamere Eltern zu werden, sondern auch, sich selbst weiterzuentwickeln. Menschen, die sich über die Beweggründe ihres eigenen Verhaltens und ihrer starken Gefühlsreaktionen im Unklaren bleiben, sind sich nicht bewusst, dass sie mit unerledigten Angelegenheiten zu kämpfen haben und sich dadurch als Eltern widersprüchlich – ambivalent – verhalten.

      Das Leben ist reich an schwierigen Situationen, auf die wir uns schnell einstellen und in denen wir unser Bestes tun müssen. Die meisten unter uns tragen Unerledigtes oder Ungelöstes mit sich herum, das uns regelmäßig vor Probleme stellt. Eine unerledigte Angelegenheit nimmt uns die Flexibilität im Umgang mit unseren Kindern und wir können oft nicht so handeln, wie es für ihre Entwicklung am hilfreichsten wäre. Wir hören ihnen nicht wirklich zu, denn unsere eigenen inneren Erfahrungen machen so viel Lärm, dass wir nichts anderes hören können. Wir haben keinen wirklichen Bezug zu ihnen und wir werden wahrscheinlich immer wieder die gleichen, für uns und unsere Kinder erfolglosen und frustrierenden Handlungen ausführen, weil wir in Reaktionsmustern aus früheren Erlebnissen gefangen sind.

      Wenn wir von unseren impliziten Erinnerungen an schmerzliche Erfahrungen und nicht verarbeitete Verluste überwältigt werden und völlig darin versinken, können wir nur schwerlich für unsere Kinder da sein. Dann machen unsere automatischen Anpassungen an diese vergangenen Erlebnisse aus, „wer wir sind“, und unsere Lebensgeschichte wird über uns und nicht von uns geschrieben. Unverarbeitetes kann sich unmittelbar auf unsere Sicht von uns selbst und unseren Austausch mit unseren Kindern auswirken. Wenn sie unsere Lebensgeschichte schreiben, dann wird sie nicht von uns selbst erzählt. Dann zeichnen wir nur auf, wie die Vergangenheit weiterhin, und oftmals ohne dass wir uns dessen bewusst sind, unsere gegenwärtigen Erfahrungen beeinflusst, und die Richtung unserer Zukunft bestimmt. Wir treffen keine wohl überlegten Entscheidungen, wie wir mit unseren Kindern leben möchten, sondern reagieren nur auf Grundlage vergangener Erfahrungen. Wir geben förmlich unsere freie Wahl der Richtung auf und schalten auf Autopilot, ohne dass wir auch nur im Geringsten wissen, wohin dieser uns führen wird. Oft versuchen wir die Gefühle und das Verhalten unserer Kinder zu steuern, obwohl es eigentlich unser eigenes inneres Erleben ist, das uns erst gegen dieses Verhalten aufbringt.

      Wenn wir aufmerksam beobachten, was wir innerlich erleben, wenn uns das Verhalten unserer Kinder stört, dann können wir beginnen zu verstehen, wie unsere eigenen Handlungen der liebevollen Beziehung, die wir zu unseren Kindern haben möchten, zuwiderlaufen. Mit der Lösung unserer eigenen Angelegenheiten erhalten wir mehr Spielraum und werden im Austausch mit unseren Kindern flexibler. Wir können Erinnerungen in unsere Lebensgeschichten so integrieren, dass sie einen Sinn ergeben und die gesunde Entwicklung unserer Kinder, sowie unsere eigene, fördern.

      Übungen von innen heraus

      1. Schreiben Sie in Ihr Tagebuch, wann Sie emotional und gereizt reagieren. Vielleicht bemerken Sie bestimmte Interaktionsmuster im Austausch mit Ihrem Kind, die solche emotionalen Reaktionen hervorrufen. Belassen Sie es zunächst dabei, diese zu bemerken – versuchen Sie noch nicht, Ihre Reaktionen zu verändern, beobachten Sie nur.

      2. Erweitern Sie Ihre Beobachtungen, indem Sie überlegen, ob die Reaktionen Ihrem Kind gegenüber implizite Ursachen haben könnten. Denken Sie an die impliziten Elemente des Gedächtnisses und an die Tatsache, dass diese nicht in Form von konkreten Erinnerungen wahrgenommen werden. Implizites explizit zu machen, indem man diesen eher automatischen Elementen aus der Vergangenheit bewusst seine Aufmerksamkeit widmet, ist ein wichtiger Schritt dahin, sich selbst besser zu verstehen und eine intensivere Beziehung zu seinem Kind aufbauen zu können.

      3. Denken Sie an eine Angelegenheit aus Ihrem Leben, die Ihre Fähigkeit, eine flexible Beziehung zu Ihrem Kind aufzubauen, beeinträchtigt. Denken Sie an die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Aspekte dieser Angelegenheit. Fallen Ihnen irgendwelche Themen oder allgemeine Muster aus früheren Interaktionen ein? Welche impliziten Gefühle und körperlichen Wahrnehmungen tauchen auf, wenn Sie heute an diese Angelegenheit denken? Haben Sie diese Gefühle auch bei anderen Gelegenheiten gehabt? Gibt es Punkte in Ihrer Vergangenheit, die dazu beitragen? Wie wirken sich diese Themen und Gefühle auf Ihr Selbstbild und Ihre Beziehung zu Ihrem Kind aus? Wie beeinflussen sie Ihre Erwartungen an die Zukunft?

      IM LICHT DER WISSENSCHAFT

      Wissen und Wissenschaft

      Seit Anbeginn der Geschichtsschreibung sind Menschen daran interessiert, die Welt zu verstehen. Mit der Weiterentwicklung wissenschaftlicher Technik wurden die Fragen, die man stellen und zu beantworten versuchen konnte, immer anspruchsvoller, die verfügbaren Werkzeuge immer komplizierter und technischer, und die Forschungsgebiete immer zahlreicher. Es gibt Tausende professioneller Zeitschriften und Unmengen von Spezialisierungen in Dutzenden von akademischen Wissenschaften, in denen aktiv versucht wird, die Welt, in der wir leben, zu verstehen.

      Um Wissen zu erlangen, verwendet dieses Buch einen interdisziplinären Ansatz, wie er in Daniel Siegels Buch The Developing Mind erforscht wird, das davon ausgeht, dass es in der Welt, einschließlich menschlicher Erfahrungen, eine „Realität“ gibt, die durch sorgfältige Untersuchungen im Detail erkannt werden kann. Jeder einseitige Ansatz muss jedoch begrenzt bleiben; so wie in dem alten indischen Gleichnis, in dem eine Gruppe Blinder die verschiedenen Teile eines Elefanten ertastet, kann eine einzelne Erfahrung oder ein einzelner Blickwinkel nur einen Teil der größeren Realität enthüllen. Wenn jeder Blinde seinen Teil an Informationen über den Elefanten beiträgt, formt sich allmählich das Bild des ganzen Elefanten.

      Eine interdisziplinäre Sicht zielt darauf ab, die Berührungspunkte zwischen unabhängigen Wissensgebieten zu finden, so dass sich ein einheitliches Wissen herauskristallisieren kann. Der Evolutionsbiologe E. O. Wilson schrieb in seinem Buch Consilience (Die Einheit des Wissens), dass eine Vereinigung des Wissens im akademischen Umfeld aufgrund der Trennung der wissenschaftlichen Disziplinen voneinander nur schwer zu erreichen sei. Ein interdisziplinärer Ansatz vermag diese Trennungen jedoch zu überbrücken, so dass sich die Wissenschaft weiterentwickeln kann.

      Jede Forschungsdisziplin, jede Quelle von Wissen, hat ihren ganz eigenen Ansatz, ihre Konzepte, ihr Vokabular und ihre Art und Weise, Fragen zu stellen. Ein interdisziplinärer Ansatz respektiert alle Mitwirkenden in gleicher Weise und erkennt an, dass diese Art der Zusammenarbeit der Weg ist, unsere Sicht der größeren Realität, die wir zu verstehen suchen, zu vertiefen. Dazu müssen wir mit Bescheidenheit

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