Die Täuschung. Norbert Lüdecke
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Die Wahrnehmung des ZdK durch die Bischöfe ist nicht hoch anzusetzen. Noch im Jahr 1967 konnte der inzwischen zum ersten Essener Diözesanbischof avancierte Generalassistent Hengsbach gegenüber dem ZdK-Generalsekretariat feststellen, „von der konkreten Arbeit des Zentralkomitees“ wüssten „die meisten Bischöfe wenig“2. Das sollte sich ändern, als eine Krisensituation entstand, bei deren Bewältigung das ZdK sich zu einem wichtigen Helfer des Episkopats entwickelte.
Pluralisierung und Reformerwartung
Der Katholizismus der 1960er-Jahre war ein tektonisch aktives Gelände. Vielfältige gesellschaftliche Veränderungsimpulse verstärkten sich gegenseitig.3 Der massiven Wiederherstellung von Autorität und Geltung des Nachkriegschristentums entsprach nicht zwingend eine Renaissance des christlichen Glaubens.4 Schon seit dem Ende der 1940er-Jahre und in den 1950ern erodierte die „Gnadenanstalt“5. Unter Katholiken vollzog sich eine „‚sexuelle Revolution‘ im Stillen“6. Auch katholische Frauen nutzten seit deren Zulassung 1961 zunehmend die Pille und bestimmten gegen die kirchliche Lehre selbst über die Folgen ihrer Sexualität. Zusätzliche Bewegungsfreiheit und Durchsetzungsfähigkeit gewann die weibliche Normalbiografie durch die vermehrte Erwerbstätigkeit der Frauen im Gefolge des Wirtschaftsaufschwungs.7 Ihren Kampf gegen die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe nach staatlichem Familienrecht hatten die katholischen Hierarchen bereits zuvor verloren.8
Innerkirchlich hatte sich zudem schon vor dem und während des II. Vatikanischen Konzils ein beachtlicher Reformerwartungsdruck aufgebaut.9 Er verstärkte sich nach dem Konzil durch dessen breite reformerische Überinterpretation, die den Keim mittelfristiger Enttäuschungen und Restaurationsoptionen bereits in sich trug.10 Schon die Tatsache, dass die Stellung der Laien auf dem Konzil überhaupt thematisiert wurde, führte nachkonziliar zu einem erhöhten Selbstwertgefühl und einer ekklesiologischen Standortsuche in einer Atmosphäre, die treffend beschrieben wurde als „Mischung aus tiefer Verwirrung und euphorischer Aufbruchsstimmung“11. Das ZdK versuchte, die allenthalben entbrannten Diskussionen unter Katholiken dadurch in geordnete Bahnen zu lenken, dass es beim Bamberger Katholikentag von 1966 nur bewährte Funktionäre und Vertreter der Bischöflichen Hauptstellen als Diskutanten einlud.12 Mehr Pluralismus und Dialog und eine Neuordnung des Laienapostolats waren zwar durchaus thematisierte Stichworte, zu wegweisenden Entschließungen zur Umsetzung des Konzils führten sie allerdings nicht.13
Konziliare Ständehierarchie und Zuflucht Moral
Das II. Vatikanische Konzil hat die katholische Ständehierarchie nicht geändert und nach amtlicher Überzeugung gar nicht ändern können, auch nicht durch die vielbeschworene „Aufwertung“ der Laien. Denn diese bestand nicht in einer Nivellierung der Hierarchie, sondern lediglich in der bislang vernachlässigten ekklesiologischen Würdigung der Taufe. Dadurch wurden Laien sichtbar und in ihrem Anteil an der kirchlichen Sendung positiv thematisierbar. Ihre ständische Position änderte sich aber nicht.14 Wo die Ständestruktur alternativlos ist, scheiden egalisierende Beteiligungsformen für Laien aus. Eine Demokratisierung im Sinne gleicher Beteiligung aller an der Willensbildung ist mit der konziliar gelehrten „wahren“ Gleichheit (vera aequalitas, LG 32)15 nicht vereinbar. Anders als im Staat folgt in der katholischen Kirche aus der Gleichheit der Personwürde nicht die der Rechte, also keine Gleichberechtigung. Auf dem Bamberger Katholikentag zeigten die Beiträge von Bischof Hengsbach und dem ehemaligen Generalsekretär des ZdK (bis 1965), CDU-Politiker Heinrich Köppler, exemplarisch, wie man mit dem Grundproblem fertig zu werden versuchte, das Verhältnis von Klerus und Laien neu zu bestimmen, ohne die Standeskluft zu überwinden. Beiden Referenten ging es um „Zusammenarbeit“, um etwas also, das nach Gleichordnung klingen kann, aber eben auch unter Ungleichen möglich ist.
Hengsbach sah diese Zusammenarbeit in bis heute paradigmatischer Weise durch Grund- und Sachstrukturen geprägt. Zu den vier Grundstrukturen zählte er die strukturelle Kontinuität in der hierarchischen Identität. Er lehnte eine „einseitige“ – also nicht jedwede – hierarchische Auffassung der Kirche (1) ab.16 Durch diese angedeutete (nur) gewisse Distanz zum Hierarchischen vorbereitet, folgt sodann die „Einheit der Kirche … im Nebeneinander ihrer Glieder und Gliederungen“17 (2), wobei der Folgesatz klärt, dass „neben“ rein lokal, nicht rangmäßig zu verstehen ist: „… alle haben den einen Geist, aber dieser Geist weist den verschiedenen (sic!) verschiedene Aufgaben zu zum Aufbau des Ganzen. Um die Einheit des Geistes im Unterschied der Aufgaben in der Welt des Menschen zu wahren, bedarf es in der Kirche der Organisation“18. Ebenso geschickt wie intellektuell unredlich, aber durchaus exemplarisch wird erst indirekt über die nicht konkretisierten „Unterschiede“ in das kontrafaktisch verschleiernde „Nebeneinander“ die rechtliche Über- und Unterordnung eingetragen. Des Weiteren wird eine generische Teilhabe aller Gläubigen an der kirchlichen Sendung nach innen wie nach außen in die Welt herausgestellt. Diese Teilhabe ist allen gemeinsam, aber keineswegs gleich. Sie kommt den Kirchengliedern vielmehr in „unterschiedlicher Weise … zu“19 (3), nämlich – wie zu ergänzen ist – in Kleriker- oder Laienweise. Bei der letzten Grundstruktur schließlich, der „Zusammenordnung von Freiheit und Autorität in der Kirche“20 (4), redet Hengsbach Klartext:
„Die Kirche ist von ihrem göttlichen Gründer hierarchisch verfaßt. In ihren Ämtern ist Gottes Autorität in unserer Welt in neuer Weise präsent geworden. Aber der Sinn all dieser Ämter ist Dienst an allen Gliedern des Gottesvolkes. Bedeutsamer als das, was die Einzelnen in der Kirche auf Grund ihrer unterschiedlichen Dienste voneinander unterscheidet, ist das, was sie eint, die Gemeinsamkeit des Glaubenssinnes, die gemeinsame Teilhabe am Priestertum Christi und an den Charismen Seines Geistes, die große Brüderlichkeit in Christus“21.
Die (göttlich-)rechtlich unterfütterte autoritative Überordnung wird als Dienst kaschiert. Verschleiert wird, dass die betonte Gemeinsamkeit die hierarchische Ordnung nicht aufhebt, sondern nur umfasst. Verschleiert wird die Abhängigkeit des Glaubenssinns von der lehramtlichen Führung22, verschleiert wird die je standesmäßig verschiedene Teilhabe23 und überdeckt wird, dass die Gläubigen in der „großen Brüderlichkeit in Christus“ manchen Bruder zugleich zum Vater haben:
„Wir müssen uns im Geiste des Konzils davor hüten, das Amt in der Kirche und die Autorität in ihr, in denen sich Gottes Väterlichkeit spiegelt, nach weltlicher Manier patriarchalisch-paternalistisch oder gar absolutistisch mißzuverstehen. Wir müssen uns aber ebenso vor der Aushöhlung der echten Autorität und des echten Auftrags des Amtes hüten. Es gibt auch heute wie immer in der Kirche legitime und notwendige Weisung und Anordnung, der legitimer und notwendiger Gehorsam entspricht. Gelegentlich besteht die Gefahr, Formen der Demokratie, die im politischen Leben ihren guten Sinn haben, ohne weiteres auf das kirchliche Leben zu übertragen, in einem Enthusiasmus der Brüderlichkeit gottgesetzte Unterschiede der Dienste und des Amtes auszulöschen und mit ihnen die Verbindlichkeit der Lehre und der Zucht in der Kirche anzutasten. Solche Tendenzen entsprechen nicht dem Geist des Konzils, sondern gefährden seine Verwirklichung“24.
Anschließend konkretisierte der Bischof unter dem Stichwort „Sachstrukturen“ den jeweiligen Anteil von Klerus und Laien an der „Zusammenarbeit“ im kirchlichen Auftrag nach innen und außen. Sache der Bischöfe sei die autoritative Verkündigung des Gotteswortes, die lehramtliche Vorgabe, Sache der Laien deren Weitergabe und die sachkundige Information der Hirten, damit sie „zur rechten Zeit das rechte Wort“ sprechen.25 Die Liturgie sei „kein bloß hierarchisches Tun [aber auch ein solches!; N. L.] …, dem die Gläubigen beiwohnen, sondern eine gemeinsame [nicht gleiche!; N. L.], gewiß unterschiedliche actio aller“26.
Der Laienanteil in der Seelsorge verwirkliche sich in den Schwerpunkten Familie, soziales Milieu, Kirchenabständige und darin, in vornehmlich (nicht ausschließlich) eigener Verantwortung die Lebensfragen im Lichte des Glaubens zu sehen. Allerdings: „Von den Geistlichen dürfen sie Licht und Förderung erwarten“27.
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