Hitlers Theologie. Rainer Bucher

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Hitlers Theologie - Rainer Bucher

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Horizontal gesehen, wissen die Gebildeten heute, daß die Gottesvorstellung des Katholizismus noch nicht einmal zehn Prozent der Menschheit hinter sich hat. Im gleichen Zeitraum haben die von der gleichen Vorsehung geschaffenen Menschen tausenderlei verschiedenen Glauben. Wir sehen die Dinge heute aber auch vertikal: Wir wissen, daß dieses Christentum nur eine ganz kurze Epoche der Menschheit umfaßt.“38 Und nicht ohne Hohn stellt Hitler im erwähnten „Politischen Testament“ denn auch fest, dass „der ganze Erfolg der bewunderten christlichen Mission, deren Künder die göttliche Wahrheit für sich allein in Erbpacht genommen haben“, nur einige „winzige Farbflecke als Inselchen der Christenheit, und auch diese mehr dem Namen nach“ ausmache.39

      Die regional begrenzte Bedeutsamkeit und die damit verbundene soziale Verkapselung der Konfessionen gerade in Deutschland stehen für Hitler in unübersehbarem Gegensatz zur für ihn einzig – politisch wie „wissenschaftlich“ – möglichen Handlungsbasis: der rassisch geeinten Volksgemeinschaft. „Unser Volk ist nicht von Gott geschaffen, um von Priestern zerrissen zu werden“, so Hitler in einer Rede vor Gauleitern bei der Einweihung der Ordensburg in Sonthofen am 23.11.1937. „Daher ist es notwendig, seine Einheit durch ein System der Führung sicherzustellen. Das ist die Aufgabe der NSDAP. Sie soll jenen Orden daher stellen, der, über Zeit und Menschen hinwegreichend, die Stabilität der deutschen Willensbildung und damit der politischen Führung garantiert.“40 „Heute vollzieht sich“, so Hitler in dieser Rede weiter, „eine neue Staatsgründung, deren Eigenart es ist, daß sie nicht im Christentum, nicht im Staatsgedanken ihre Grundlagen sieht, sondern in der geschlossenen Volksgemeinschaft das Primäre sieht. Es ist daher entscheidend, daß das ‚Germanische Reich Deutscher Nation‘ diesen tragfähigsten Gedanken der Zukunft nun verwirklicht, unbarmherzig gegen alle Widersacher, gegen alle religiöse Zersplitterung, gegen alle parteimäßige Zersplitterung.“41

      Dieser Kampf gegen die „konfessionelle Zersplitterung“ Deutschlands ist für Hitler nicht nur rein taktisch motiviert, sondern gründet unmittelbar in seiner rassistischen Anschauung vom unerbittlichen Kampf der Rassen gegeneinander und von der Auserwählung der Deutschen als Teil der arischen Rasse. Hitler fordert denn auch in der Konsequenz der oben analysierten „Wort“-„Tat“-Dichotomie von seinen Anhängern die Reinterpretation ihrer Konfessionsmitgliedschaft in rassistischen Handlungskategorien. „Gerade der völkisch Eingestellte hätte“, so Hitler in „Mein Kampf“, „die heiligste Verpflichtung, jeder in seiner eigenen Konfession, dafür zu sorgen, daß man nicht nur immer äußerlich von Gottes Willen redet, sondern auch tatsächlich Gottes Willen erfülle und Gottes Werk nicht schänden lasse.“42 Bereits in „Mein Kampf“ hatte Hitler auch in jenen, „die heute die völkische Bewegung in die Krise religiöser Streitigkeiten hineinziehen, schlimmere Feinde meines Volkes“ gesehen „als im nächst besten international eingestellten Kommunisten“43. Denn „jüdisches Interesse“ sei es heute, „die völkische Bewegung in dem Augenblick in einem religiösen Kampf verbluten zu lassen, in dem sie beginnt, für den Juden eine Gefahr zu werden“44.

       3. Ein Resümee

      Totaler Anspruch, Dogmatisierung und Normierung des Diffusen sowie 2000-jährige Organisationsklugheit: So lässt sich zusammenfassen, was Hitler an den christlichen Kirchen analysiert und durchaus bewundert. All dies ist formaler Natur. Hitlers inhaltliche Kritik gilt der materialen Verkündigung der Kirchen, deren Entplausibilisierung durch die modernen (Natur)Wissenschaften für ihn feststeht.

      Doch Hitlers Kritik geht über diese szientistische Trivialargumentation hinaus. Denn die Unvereinbarkeit der christlichen Verkündigungsinhalte mit dem „modernen Bewußtsein“ schlägt für Hitler nicht nur auf deren Plausibilität im Bewusstsein der Einzelnen zurück, sondern auch auf die Möglichkeit der Konstitution von Kirche als handlungsfähigem sozialem Organismus. Nach wie vor sieht Hitler in der christlichen Verkündigung ein universalistisches Konzept am Werk. Dieses aber bleibt für Hitler handlungsunfähig. Es zielt für ihn „ins Nichts“, da es zu keiner Konkretion fähig sei, ohne darin den eigenen universalistischen Anspruch implizit zu verraten. Christliche Konzepte würden permanent zwischen dem eigenen Anspruch, dem ins Ganze zielenden „Wort“, und dem eigenen Handeln, der dann weit hinter dem eigenen Anspruch zurückbleibenden „Tat“, zerrieben.

      Die Kirchen retteten sich dann notgedrungen einerseits in einen Intellektualismus des Wortes, andererseits in eine Form bloß partikulärer Konstitution, die ihre eigene konfessionelle und regionale Partikularität vor sich selbst verschleiern muss. Es fällt nicht schwer, diese beiden Varianten mit den Gefährdungen der beiden großen christlichen Konfessionen zu parallelisieren.

      Auf dieser implizit selbstwidersprüchlichen Basis aber ist für Hitler die Schaffung einer handlungsfähigen sozialen Organisation unter den Bedingungen der Moderne nicht möglich. Hitlers Ausweg ist ebenso schlicht wie effektiv: Der grundsätzliche Abschied vom Universalismus beseitigt das typisch moderne Problem der Kluft von universalem Anspruch und bloß regionaler Plausibilität. „Wort“ und „Tat“, universeller Anspruch und historisch-kontingente Realität bleiben so vermittelbar.

      Erst wenn man sich vom Universalismus befreit, wie es Hitler mit dem Ideologem der Volksgemeinschaft tut, dann, so Hitler, ist es möglich, eine handlungsmächtige Weltanschauungsinstitution unter den Bedingungen der Moderne zu schaffen. Denn dann erst ist es möglich, die plausibilitätszerstörende Kluft von Anspruch und Wirklichkeit im Bewusstsein der Einzelnen zu überwinden, insofern man dem „Wort“, also der „Verkündigung“ der Weltanschauung, auch eine identifizierbare und realistische soziale Basis verleiht. Wenn dies, wie bei Hitler, auch noch unter Rückgriff auf die sozialdarwinistische Interpretation biologischer Theorien geschieht und sich also mit „wissenschaftlicher“ Legitimation versehen kann45, dann ist die Anschlussfähigkeit an die Moderne sichergestellt.

      Hitler sieht im Totalisierungs-, aber auch im Normierungs- und Konkretisierungspotential der kirchlichen Verkündigung deren herausragende Leistung, deren existenzgefährdende Schwäche aber erkennt er zum einen in der veralteten kirchlichen „Weltanschauung“, zum anderen aber in der notwendigen Kluft von „Wort“ und „Tat“.

      Beide Schwächen zusammen aber zerstören, so Hitler, unaufhaltsam die Basis der eigentlich eindrucksvollen Herrschaftstechniken und Konkretisierungsleistungen der kirchlichen Institutionen. Hitler ist der festen Überzeugung, dass eine „Weltanschauungsinstitution“ in der Moderne nur plausibel und handlungsfähig wird, wenn sie anschlussfähig bleibt an das Wissen der Gegenwart und zudem nicht zwischen ihrem eigenen universalistischen Anspruch und der modern notwendig erkennbaren Regionalität zerrieben wird. Beides sieht er bei seinem Politikprojekt einer rassisch geeinten Volksgemeinschaft als gegeben.

      Institutionell aber will Hitler keine andere Kirche, sondern Individuum, Öffentlichkeit und Religion sollen auf politischer Basis in eine neue Konstellation zueinander treten. „Die Zukunft denke ich mir deshalb so: Jeder hat zunächst seinen Privatglauben; Aberglaube wird auch immer eine Rolle spielen. Die Partei ist der Gefahr enthoben, ein Konkurrenz-Unternehmen für die Kirche zu werden. Es muß durchgesetzt werden, daß die Kirche im Staat nichts mehr dreinredet. Die Erziehung von Jugend auf sorgt dafür, daß jeder weiß, was richtig ist im Sinne der Staatserhaltung. (…) Wir werden dafür sorgen, daß die Kirchen keine Lehren mehr verkünden, die mit unseren Lehren in Widerspruch stehen. Wir werden weiter unsere nationalsozialistischen Lehren durchsetzen, und die Jugend wird nur mehr die Wahrheit hören.“46

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