Hitlers Theologie. Rainer Bucher
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Dabei erwies sich der Versuch des Nationalsozialismus, unmittelbar in christliche Domänen, etwa das Weihnachtsfest, einzudringen, als nicht sehr erfolgreich: Er blieb im Wesentlichen auf die eigene Kernanhängerschaft beschränkt. Es gelang etwa nie wirklich, christliche Weihnachtslieder flächendeckend durch sublim nationalsozialistische Neuschöpfungen ohne christlichen Bezug („Hohe Nacht der klaren Sterne“)27 zu ersetzen.28
Erfolgreicher war da schon der umgekehrte Weg: der Import christlicher und außerchristlicher Ritualtraditionen (Weihen, Prozessionen, Wallfahrten, Gedächtnisfeiern) in die nationalsozialistische Herrschaftspraxis. Dass zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik kultische Inszenierungen auf den verschiedensten Ebenen und in den verschiedensten Varianten ganz wesentlich gehörten, das wurde früh erkannt und in den letzten Jahren auch detailliert analysiert.29
Das Spezifische des Nationalsozialismus waren dabei nicht nur die Monumentalität und der hemmungslose Wirkungswillen, sondern auch die Radikalität, mit der neueste technische Mittel für die kultischen Inszenierungen eingesetzt wurden. Spektakuläres Beispiel dieser Inszenationskraft und technischen Innovationsphantasie sind etwa die „Lichtdome“ der Reichsparteitage. Am Abend des fünften Tages stand die nächtliche Weihestunde der „Politischen Leiter“, also der kleineren und mittleren Parteifunktionäre, auf dem Programm. Seit der Premiere des „Lichtdoms“ 1934, beim „Reichsparteitag des Willens“, galt diese von Albert Speer geschaffene imaginäre Kathedrale als Höhepunkt jedes Parteitages und als Intensiverfahrung der nationalsozialistischen Liturgie.
Mit Einbruch der Dämmerung formierten sich über 100 000 Funktionäre in einem dichten braunen Block auf dem „Zeppelinfeld“ des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes; auf den Tribünen um sie herum wartete noch einmal die gleiche Zahl an Zuschauern. Ein Fanfarenstoß kündigte Hitler an. Hunderte rote Parteifahnen flatterten im Wind, angestrahlt auch sie. Der Säulengang der Haupttribüne war von innen indirekt ausgeleuchtet, auf den Eckpfeilern der Tribüne loderten Feuer.
Just zu dem Zeitpunkt, da Hitler die Tribüne hinaufschritt, entstand der riesige „Lichtdom“. Im Abstand von zwölf Metern waren um das ganze Feld 152 Flakscheinwerfer postiert, die acht Kilometer hoch ihr Licht warfen. Der Eindruck überwältigte. Nach einem Moment der Stille wurden dann die 25 000 Fahnen aller NS-Ortsgruppen, kunstvoll ausgeleuchtet auch sie, hereingetragen, dazu vergoldete Adler auf Standarten. Es folgten Totenehrung und Weihlied, dann eine kurze Ansprache Hitlers, Heilrufe und die Nationalhymne. So wurde man kleiner NS-Funktionär.
Wie bisweilen bei allzu Erhabenem, ist auch hier das Lächerliche nicht weit. Albert Speer „erfand“ den „Lichtdom“, weil, im Unterschied zu den disziplinierten und schlanken Männern von SS und Wehrmacht, die braunen Funktionäre zumeist „ihre kleinen Pfründen in ansehnliche Bäuche umgesetzt“ hatten, wie Speer in seinen „Erinnerungen“ schreibt, weshalb er eben vorgeschlagen habe, sie „in der Dunkelheit aufmarschieren“30 zu lassen.
Ohne Zweifel: Die Nationalsozialisten verstanden etwas von Kult und Liturgie, und der Nationalsozialismus hat nicht nur durch Terror und Gewalt, sondern auch durch erlebbare Faszination und ästhetische Verführung geherrscht. Er erschloss seinen Anhängern kultische Erlebnisintensitäten, insofern er das Religiöse primär ästhetisch und in kollektiven Erfahrungsorgien vermittelte. Mit dieser Strategie unterlief er sowohl die aufklärerische Religionskritik des 18. und 19. Jahrhunderts wie den Rationalismus einer sich in das neuscholastische, anti-aufklärerische Ghetto flüchtenden katholischen Theologie und Kirche.
Die liturgisch-kultische Kompetenz des Nationalsozialismus, in Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ aus dem Jahre 1935 noch einmal verdichtet, konserviert und verbreitet, war ebenso schlagend wie auffällig. Auch ihr Zusammenhang mit Hitlers Theologie ist offenkundig: nicht nur, weil Hitler es war, der im Mittelpunkt der allermeisten dieser Liturgien stand und sie, wenn nicht selbst inszenierte, doch akribisch überwachte. Vor allem: Hitlers Liturgien waren die liturgische Feierseite seiner Theologie, inszenierten sie als mächtiges Erlebnis. Das aber legt die Frage nahe: Welche Theologie feiert hier ihren Glauben? Welcher Glaube verleiht sich hier ästhetische und rituelle Gegenwart?
4. „Hitlers Religion“
Diese Frage ist freilich zu unterscheiden von jener nach „Hitlers Religion“. Es geht in diesem Buch nicht um den von Hitler persönlich zutiefst geteilten Glaubensinhalt oder gar um seine persönliche Religiosität im Sinne seines Glaubensvollzugs.31 Aussagen über persönlich geteilte Glaubensinhalte oder über persönliche Glaubensvollzüge, und die müssten gewagt werden, wollte man wirklich von „Hitlers Religion“ sprechen, sind ausgesprochen schwer zu treffen und noch schwerer zu belegen, von historischen Personen gleich gar. Denn sie betreffen, wie immer man auch Religion definieren mag, das Innerste des Menschen, seine tiefsten Überzeugungen, sein Verhältnis zu Welt und Kosmos überhaupt. Es geht in diesem Buch um das, was Hitler gesagt und geschrieben hat.
Manche Indizien sprechen allerdings dafür, dass Hitler an das, was er zu Gott, Vorsehung, Glaube, Erwählung und ähnlichen Themen geschrieben und gesagt hat, auch persönlich glaubte, es sich also um von ihm geteilte Anschauungen handelte. So fällt etwa die Häufigkeit wie auch die geradezu unheimliche Konstanz seiner entsprechenden Aussagen auf. Mit nur kleinen Varianten finden sie sich von den frühen Reden der so genannten „Kampfzeit“ über „Mein Kampf“ bis zu seinen letzten Schriften und Äußerungen in den ersten Monaten des Jahres 1945.
Zudem wurde das, was ich im Folgenden als „Hitlers Theologie“ zu rekonstruieren versuche, offenkundig handlungsleitend. Es ist ebenso auffällig wie erklärungsbedürftig, dass Hitler die Ermordung des europäischen Judentums fanatisch weiterbetrieb, selbst als auch für ihn unübersehbar war, dass dies Deutschland und ihn selbst vernichten würde und ein anderer Einsatz der letzten Ressourcen, etwa für die Landesverteidigung, eigentlich näher gelegen hätte.32 Das lässt auf tiefere, ereignisunabhängige, in hartnäckigen Überzeugungen wurzelnde Handlungsgründe schließen.
Sicher: Hitler instrumentalisiert auch religiöse Praktiken und Inhalte mit einigem Zynismus und Raffinesse. Seine Auftritte bei den nationalsozialistischen Massenliturgien etwa sind einstudiert und von kühler Rationalität. Andererseits aber verfällt Hitler offenkundig auch seinen eigenen Inszenierungen und bejaht in seinen Äußerungen überdeutlich die Authentizität des Religiösen. Hitler hat sich bekanntlich selbst als „gottgläubig“ bezeichnet, und niemand Geringerer als Kardinal Faulhaber hat es ihm nach seinem Besuch auf dem Obersalzberg am 4.11.1936 bescheinigt: „Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott“33, so Faulhaber in einem Schreiben an die bayerischen Bischöfe. Hitlers Einstellung zu konkreten religiösen Praktiken wird man daher vielleicht am ehesten als „semi-instrumentell“ bezeichnen können.
Hitlers Theologie orientiert die Prioritäten seines Handelns. Sie wurde zwar nicht zur offiziellen Doktrin des Nationalsozialismus, da gab es immer auch andere, wenn auch verwandte Entwürfe, etwa von Himmler34, Ley35 oder Rosenberg36: Rassistisch waren sie alle, unterschiedlich aber in ihrer Nähe und Distanz zum „völkischen Neuheidentum“, zum Monotheismus oder generell zur Frage nach dem Verhältnis von Rationalität und Glaube. Himmler etwa war Monotheist und gleichzeitig Anhänger okkulter Praktiken, Hitler Monotheist und Gegner alles Okkulten, andere waren tatsächlich polytheistische „Neuheiden“.
Zudem bekannte