Woher wir kommen. Wohin wir gehen.. Johannes Huber

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Woher wir kommen. Wohin wir gehen. - Johannes Huber

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William James, Begründer der Psychologie in den USA und oberster Vertreter des philosophischen Pragmatismus, hielt vor 110 Jahren einen Vortrag vor den Philosophischen Clubs der Universitäten von Yale und Brown und fasste ihn später in einem schönen Satz zusammen: »Der Glaube bleibt eines der unentäußerlichen Geburtsrechte unseres Geistes.«

      Es geht um das Grundrecht des Menschen, sich mit Zusammenhängen zu befassen, die über die fünf Sinne hinausgehen. Die Beschäftigung mit diesen Zusammenhängen muss allerdings vernünftig sein – und das ist kein Widerspruch.

      Seit Menschengedenken verspürt unser Gemüt, aber auch unser Geist eine Ergriffenheit, wenn beide beginnen, sich mit einer übersinnlichen Welt auseinanderzusetzen.

      Es ist der Herzschlag des Glaubens.

      Der einzigartige Rhythmus und die leise Melodie, nur hörbar für die religiös Musikalischen. Diese Empfänglichkeit darzustellen, ist sinnvoll und vor allem eines: auch intellektuell redlich.

      Andererseits muss sich dieses besondere Gefühl einer naturwissenschaftlichen Beweisführung entziehen, weil das ja auch gar nicht die Aufgabe der Naturwissenschaft ist.

      Professor Anton Zeilinger, Österreichs Mr. Beam der Quantenphysik und Forscher von Weltrang, sprach ein Machtwort: »Gott darf nicht beweisbar sein. Wenn wir mit Sicherheit wüssten, dass es einen Gott gibt, dann gäbe es in der Folge das Gute nicht mehr: Dann bleibt doch nur noch ein rein opportunistisches Verhalten übrig.«

      Trotzdem verlangt der menschliche Wissensdrang nach Antworten auf Unschärfen in Erklärung und Beweisführung. Woher wir kommen, wieso das Böse in die Welt kam, und ob wir ein Pendant in der Ewigkeit haben.

      Ein Alter Ego, das wir Seele nennen. Drüben.

      Forschen, fragen, überlegen, das macht den Homo sapiens aus. Naturgemäß bläst solchen Gedanken ein starker Gegenwind ins Gesicht. Ein Hurrikan der Rechthaberei. Der rationale Skeptizismus wird zum Dogma erklärt. Leugnen ist besser. Leugnen ist leichter. Leugnen ist die neue Religion. Die Ja-Sager dieser Nein-Bewegung wollen wissenschaftlich keinesfalls anecken. Sie leben in ihren Plattenbauten der Entgeisterung und warten, bis alles vorbei ist. Bis sich die Augen hinter den Scheuklappen schließen und die Welt einen vergisst.

      Verständlicherweise können Menschen in Glaubensfragen nicht warten, bis die Evidenz ihrer inneren Uhr 12 schlägt.

      Sie müssen sich vorher entscheiden, ante mortem sagt der Lateiner, also rechtzeitig bevor der Sensenmann kommt und »Buh!« macht. Es geht immer um die subjektive Entscheidung. Auch ohne eine Beweisführung. Daraus ergibt sich von selbst, dass die Wissenschaft dafür gar nicht bemüht werden darf. Weder für noch gegen das Transzendente. Zwei Richtungen, klar getrennt.

      Ich glaube.

      Ich glaube nicht.

      Beide Entscheidungen müssen sich auf Augenhöhe begegnen.

      Der Philosoph Peter Sloterdijk drückte es so aus: »Angesichts der Endlichkeit unseres Wissens ist es vernünftig, den Realismus der positiven Erkenntnisse durch eine transzendentale Seite zu ergänzen.«

      Kurzum, es gibt mehr, als die Wissenschaft uns glauben machen will. Ich sage das als Arzt und Wissenschaftler, als Theologe und Mensch. Im Vertrauen auf die Freiheit des Geistes und auf die Freiheit der Rede: Es existiert – mehr.

      Die Wucht der Erkenntnis erklärt den Zaubertrick. Plötzlich ist die Erde keine Scheibe mehr und das Universum kein unendlicher Raum. Tatsachen verschieben sich.

      Der Neurobiologe Wolf Singer, lange Jahre Leiter des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main und weit entfernt von einem bekennend frommen Menschen, äußerte sich dazu so: Zu den Möglichkeiten des Menschen in seinem Forscherdrang beziehungsweise seiner Fähigkeit, sich Zusammenhänge bewusst zu machen, greift er schlicht auf seine enormen Kenntnisse der menschlichen Physiologie zurück. Und die sagt ihm: Dem Geist erschließt sich nur ein sehr kleiner Teil der Wirklichkeit. Ans allermeiste, so Singer, kämen wir gar nicht heran.

      Den Blick aufs Ganze finden wir nicht im Hirn, vielleicht aber ein bisschen weiter links unten, im Herzen. Tatsächlich deutet vieles darauf hin. Als könne die Erkenntnis nur denjenigen Menschen zuteilwerden, die sich einem besonderen Konzept hinter unserer Existenz nicht von vornherein verschließen. Die nach irdischem Verständnis den nicht-stofflichen Größen und Phänomenen ähnliche Chancen einräumen wie den sichtbaren, begreifbaren. Schließlich räumt das Universum mit seinen nicht-stofflichen, unbegreiflichen Phänomenen und Größen auch uns eine Chance ein. Eigentlich nett vom Universum.

      Der Fortschritt der Menschheit sollte die Macht der geistigen Beweglichkeit anschaulich machen. Aber die Sturheit, mit der Positionen bezogen und Meinungen verteidigt werden, und die Härte, mit der subjektiven Wahrheiten zum Sieg verholfen werden soll, reichen in ihrer Unerbittlichkeit an die dunklen Zeiten von Glaubenskriegen und Inquisition heran. Nur mit den heutigen Mitteln. Fast könnte man sagen, es hat eine Art Wissens-Fundamentalismus eingesetzt. Mit einem Heer von Magiern, die alle behaupten, den großen Trick zu kennen, der uns alle fasziniert. Oder die destruktive Version davon, die Antithese: das Wissen, was es auf gar keinen Fall sein kann.

      Einer ihrer prominentesten Vertreter war Stephen Hawking, er starb im März 2018. Genial in der Sache, etwa bei der Erforschung Schwarzer Löcher. Zugleich begründete er die Existenz des Universums ausnahmslos mit Newtons Gesetz der Gravitation. Da brauche es keinen Weltenbaumeister. Das Weltall habe sich aus dem Gesetz heraus selbst erschaffen. Ex nihilo, aus dem Nichts. Die Frage nach der Idee hinter dem Gesetz, nach dessen Urheber, stellte Hawking sich nicht. Zumindest nicht öffentlich. Man hörte ihn auch nicht darüber reden, wie sehr Newtons Gesetz inzwischen ins Wanken geraten ist.

      Ein anderer Hardliner des 21. Jahrhunderts ist der Biologe Richard Dawkins. In einem Interview mit dem Spiegel anlässlich des Erscheinens seines Buches Gotteswahn sprach er von Religion als »Nebenprodukt der Neigung von Kindern, ihren Eltern zu gehorchen«.

      Der Überlebensvorteil wäre aus Dawkins Sicht leicht zu erkennen: »In der Wildnis lebte ein aufmüpfiges Kind gefährlich, weil es die Warnungen der Eltern ignorierte. Deshalb begünstigte die Selektion wahrscheinlich die Unterordnung unter Autoritäten. Ein Gehirn aber, das glaubt, was Autoritäten sagen, kann nicht mehr unterscheiden zwischen dem guten Rat, nachts nicht in den Wald zu gehen, weil da ein Tiger lauern könnte, und dem törichten Befehl, eine Ziege zu opfern, um den Regen herbeizurufen.«

      Mit anderen Worten: Das Festhalten an einer zentralen Idee oder Intelligenz hinter allem sei nichts weiter als das Ausleben eines spirituellen Rituals. Alles Transzendente gehöre ins Reich dumpfen Volksglaubens. Es handle sich um Ideen, die sich wie Viren ausbreiten, und Religion, so Dawkins, sei das eine Virus, das den Menschen verkündet: »Du wirst deinen eigenen Tod überleben.«

      Guter Glaube sei nichts anderes als Gutgläubigkeit.

      Tatsächlich hat es aber heutzutage den Anschein, als würden die Kanonenschüsse gegen die Spiritualität nach hinten losgehen. Als würden sich die Menschen in ihrem tiefen Misstrauen den Wissens-Monopolisten gegenüber wieder vermehrt nach anderen Antworten umsehen. Schon vor mehr als dreißig Jahren, 1986, hat der US-Nobelpreisträger Sheldon Glashow diese Entwicklung kommen sehen, als er in einem Artikel für Physics Today schrieb: »Zum ersten Mal seit dem Mittelalter sehen wir, wie unsere noble Forschung enden könnte, nämlich damit, dass der Glaube die Wissenschaft erneut ersetzt.«

      Ja, es findet eine Sensibilisierung der Gefühlswelt statt.

      Immer mehr Menschen erkennen den Holismus, die Ganzheitslehre. Die Vorstellung, dass natürliche Systeme

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