Woher wir kommen. Wohin wir gehen.. Johannes Huber
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Zu schön, um zu versagen, ist die Theorie übrigens auch deshalb, weil die sonst kühle String-Physik den Sinn für die wärmende Ästhetik der Natur entdeckt hat.
Das geht in Ansätzen auf Albert Einstein zurück, der nach seinen beiden Relativitätstheorien die restlichen drei Lebensjahrzehnte vergeblich damit zubrachte, die sogenannte vereinheitlichte Feldtheorie zu entwickeln. Was einen seiner vielen Biografen, Albrecht Fölsing, zum Kommentar veranlasste, Einstein hätte in den dreißig Jahren genauso gut segeln gehen können.
Was ist diese Feldtheorie? In einfachen Worten: eine einzige Formel, die alle Materie- und Kraftfelder im Universum auf einmal erklärt. Die mathematische Antwort auf Einsteins berühmte Frage: »Hatte Gott eine Wahl, als er die Welt erschuf?« Er war überzeugt, dass ein Weltenerbauer nur diese eine Möglichkeit gehabt hätte oder hat, die Welt zu schaffen. Nämlich so, wie sie ist. In genau diesem Zusammenwirken aller Faktoren. Diesen Beweis wollte er erbringen. Die Weltformel.
Ein paar Kreidestriche sollten alles erklären.
Heute fühlen die String-Theoretiker sich berufen, Einsteins Scheitern auszubügeln. Sie jagen dabei den rätselhaften supersymmetrischen Teilchen hinterher. Das sind die bloß in der Theorie existierenden Gegenstücke zu unserer echten, handfesten Materie. Was gar nicht so unpraktisch wäre. Das Argument der String-Experten für die Existenz dieser Teilchen ist ein anderes: Es müsse sie schon aus rein ästhetisch-symmetrischen Gründen geben. Weil die Natur sich doch so eine Chance nicht entgehen lasse.
Der Zusammenhalt einzelner Galaxien beispielsweise oder die rasante Ausdehnung des Universums werden durch die Existenz von dunkler Materie und dunkler Energie erklärt.
Bloß was das ist, dunkle Materie, dunkle Energie, weiß niemand. Nicht einmal ungefähr.
Ebenso verhält es sich mit der sogenannten Antimaterie. Sie soll beim Urknall überhaupt erst ermöglicht haben, dass die uns bekannte Materie entstanden ist. Die Sache ist vertrackt: Nach der mechanischen Physik, die das Universum als Zusammenspiel der Zahnräder eines gigantischen Uhrwerks ansah, und der spekulativen Physik des 20. Jahrhunderts, wo die revolutionären Erkenntnisse nur so dahingaloppierten, verkommt die moderne Physik mehr und mehr zur Weltanschauung. Sie verabschiedet sich vom Messbaren und verzieht sich ins Hochspekulative. Sie entwickelt universelle Bilder, die fast ausschließlich auf Unsichtbarem und Unbewiesenem, ja mitunter Unbeweisbarem aufbauen.
Der hochbegabte mathematische Physiker Walter Thirring, der solche Berechnungen selbst vornahm, vertraute mir an, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schöpfers, hinter dessen Saum wir zu blicken versuchen, größer ist als das Auffinden einer Weltformel mit nicht nachprüfbarer Rechenakrobatik.
Trotzdem rümpft man beim Glauben die Nase. Er habe im Haus der Wissenschaft keinen Zutritt.
Mittlerweile hat die theoretische Physik aber selbst ein Glaubensproblem. Ein oft gehörter Vorwurf: Ihr habt den Kontakt zur Empirie verloren. Ihr steht nur mehr an der Tafel und liebt eure eigenen Formeln.
2013 veröffentlichte der englische Wissenschaftsautor Jim Baggott in seinem Buch Farewell to Reality die Entwicklungen der Stringtheorie und der Quantenkosmologie und nahm sie kritisch unter die Lupe. Die Physik sei zu weit gegangen.
Märchen-Physik, nannte er sie, die »Verrat an der Wahrheit« verübe und »an der Grenze zur Vertrauenserschwindelei« liege.
Der berühmte Kosmologe Robert Brandenberger begann kürzlich seinen Vortrag bei einem Treffen in der kanadischen University of Western Ontario mit den Worten: »Ich denke, um das Universum wirklich zu verstehen, benötigen wir die Hilfe der Philosophie.« Eigentlich könnte man hier nachfragen: Warum nicht auch die Hilfe der Theologie?
Physik wird selbst zur Metaphysik. Und jeder ist sich selbst der Beste.
Wissenschaft und
Glaube im Gleichklang
So verhärtet waren die Fronten zwischen Forschung und Spiritualität übrigens nicht immer. Im Gegenteil, die Geschichte hat viele erfolgreiche Wechselbeziehungen gezeigt.
Nikolaus von Kues, auch Nikolaus Cusanus genannt, zum Beispiel. Vermutlich das größte Wissenschaftsgenie des ausgehenden Mittelalters und Vertreter einer Richtung, deren Namensgebung heute an manchen Ecken eine Schnappatmung auslöst: Mathematische Theologie.
Kues war Forscher und Denker, darüber hinaus päpstlicher Legat in Deutschland und später Kurienkardinal in Rom. Er schob die Mathematik hautnah an die Theologie heran und wandte mathematische Symbole auf sie an. Abzulesen an seiner Abhandlung De quadratura circuli. Die Quadratur des Kreises. Die Konstruktion eines Quadrats mit dem identen Flächeninhalt wie ein vorgegebener Kreis. Eine, wie wir seit dem Beweis durch den Mathematiker Ferdinand von Lindemann wissen, unlösbare Aufgabe, wenn wir sie allein mit Lineal und Zirkel ausführen wollen. Und darüber hinaus eine Metapher für das Unmögliche.
Erstaunlich auch Kues’ Reflexionen, die ihn aus der Geometrie unmittelbar in die Theologie führen. Gott hat, da war er sich sicher, zweierlei geschaffen: das Nichts und den Punkt. Der Punkt als extremes Gegenteil des unendlich Großen. Als geometrische Figur. Aus ihm fließe die Linie. Analog dazu das Viele, also die Zahlen. Sie lägen so nahe beieinander, dass kaum eine Grenze bestehe. Der Punkt als das geschaffene Eine, in dem die Entfaltung des Universums stattgefunden habe. Einmal das Nichts. Einmal die absolute Unendlichkeit. Ein Paradoxon, das Kues in seiner Radskizze im Pilgertraktat veranschaulicht hat.
Kommt einem bekannt und hochaktuell vor: der Punkt als die Quelle der Kraft. Für nichts anderes stehen heute Singularitäten wie Urknall und Schwarzes Loch.
Auch zum Thema blinde Wissensgläubigkeit gab Kues den Menschen etwas mit auf die Reise. So erzählt er in Idiota de sapientia, zu Deutsch: Der Laie über die Weisheit, von einem schlichten Mann, der auf dem Marktplatz einem gut situierten, geübten Redner entgegenhält:
»Du lässt dich von den Ansichten der Tradition führen wie ein Pferd, das zwar frei geboren, aber mit einem Halfter an eine Krippe gebunden ist, wo es nichts anderes frisst, als was ihm dargeboten wird.«
Es ist eben nicht immer alles so, wie es gemeinhin dargestellt scheint. Siehe Nikolaus Kopernikus. Er war Astronom, Arzt und Domherr in Preußen. Bekanntlich hat er, als Folge eines Aktes aus Schauen und mystischer Erkenntnis, das heliozentrische Weltbild beschrieben, demzufolge die Erde als Planet die Sonne umkreist. Die Kirche stand deswegen nicht mit ihm auf Kriegsfuß.
Oder Galileo Galilei. Sein Leben und Wirken schloss unmittelbar an jenes Kopernikus’ an. Bis heute wird mit unbeirrbarer Sturheit behauptet, Galilei wäre einzig und allein durch die Inquisition verfolgt worden, weil er ketzerische Ansichten verbreitete. Eine Legendenbildung, die ihn zum Säulenheiligen für das gestörte Verhältnis zwischen Wissenschaft und Religion gemacht hat. Einer historischen Prüfung hält das Bild nicht stand.
Galileo war in Wirklichkeit tiefreligiös. In erster Linie wurde er Opfer des eigenen Hochmuts. Er provozierte den Neid der Kollegen, teilte mit ihnen weder Forschungsergebnisse noch moderne Gerätschaft, zu der er Zugang hatte. Beispielsweise die Fernrohre, die er haufenweise aus Holland importierte und mit sattem Gewinn verkaufte.
So verweigerte er Johannes Kepler eines der begehrten Teleskope, verschickte sie aber zugleich an politische Größen in halb Europa, die damit kaum mehr anzufangen wussten als ein bisschen Sterneschauen. Kepler kam erst voran,