Die Burnout Lüge. Martina Leibovici-Mühlberger

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Die Burnout Lüge - Martina Leibovici-Mühlberger

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sich hierbei um die Privatzeit der Mitarbeiter handelte, der An- und Abtransport als eine Sozialleistung des Unternehmens gesehen wurde. Daheim gab es dann zumeist Kinder und irgendeinen alten Verwandten zu betreuen und das diverse Kleinvieh und den Garten, Überlebensbasis jedes damaligen Rumänen, zu bewirtschaften.

      Es ist Teil meines Berufs, mich äußerst intensiv in Menschen hineinzuversetzen, einen Weg zu finden, um mit Menschen in unmittelbaren, ungefilterten Austausch treten zu können. Burnout traf ich in der stinkenden Halle, in die ich nur aus Solidarität und nicht aus Überzeugung ohne Schutzmaske ging, nie an. Nicht einmal Unzufriedenheit. Die Menschen fanden sich eingebettet in ein Sinnsystem, verbunden in einem engen familiären Zugehörigkeitsgefühl, das durchwegs von wechselseitigen, respektierten und damals nach dem Sturz des Regimes noch als naturgegeben erlebten Abhängigkeiten geprägt war. Darüber hinaus funktionierte zum damaligen Zeitpunkt die Struktur nachbarschaftlicher Zugehörigkeit und Hilfe noch mit großer Zuverlässigkeit. Hatte jemand für sein Kind keine Beaufsichtigung, so fand sich mit großer Sicherheit in der Nachbarschaft eine Unterbringungsmöglichkeit. Natürlich gab es auch Rivalitäten, Eifersucht, Neid und das ganze Spektrum menschlicher Befindlichkeitsstörungen in den Dörfern. Doch der Grundkodex von Verbindlichkeit und das Bewusstsein, aufeinander wechselseitig angewiesen zu sein, das Wissen, dass Gebender und Nehmender bedingt durch den Lebensstrom und seine Anforderungen nur zu leicht Platz tauschen können und daher der Mensch in jeder dieser Positionen mit Respekt zu behandeln ist, war im Untergrund des dörflichen Selbstverständnisses noch vorhanden. Nirgends, seit meiner Kindheit an der Hand meiner Mutter beim „Bassena-Tratsch“, habe ich in Europa so viele spontane, ungezwungene Unterhaltungen mit angehört oder Nachbarn, die in der Abendsonne gemeinsam auf der Bank sitzen, beobachten können. Oder so viel Selbstverständlichkeit einer gemeinsamen Festkultur, bei der jeder das Seine beiträgt, und sei es einen Strauß selbstgepflückter Wiesenblumen. Diese Menschen hatten damals eine Vision eines besseren Lebens, das sie bauen wollten, das Werk war ein Symbol dafür, ebenso wie alles, was sie dort erlebten.

      Ich habe diese Dörfer ein paar Jahre später noch einmal besucht, zu einem Zeitpunkt, als auf den noch immer schiefen, schlecht gedeckten niedrigen Häuserdächern bereits ein Antennenwald für die SAT-TV Anlagen montiert war, als Trostpflaster für die zurückgebliebenen Alten. Da saß kaum noch einer draußen auf der Bank mit seinem Nachbarn, wenn drinnen die bunte Welt von Konsum und Soaps flimmerte. Da habe ich dann auch Burnout gefunden, viele Menschen, die leise aufgegeben hatten, zerrieben waren, nicht von der Arbeitswelt, sondern weil die Vision verkauft worden war.

      In der Beobachtung der Veränderung dieses sozialen Kollektivs wurde mir deutlich vor Augen geführt, dass nicht das Arbeits- und Lebensumfeld für sich genommen Ursachen eines Ausbrennens sind, wie auch nicht in der Persönlichkeit des einzelnen Menschen die wirkliche Grundlage zu finden ist. Sondern es handelt sich um ein dynamisches „misfit“ zwischen Arbeits- und Lebensumfeld einer bestimmten Person einerseits und ihren Anlagen, Kompetenzen, Möglichkeiten, Strategien, Überzeugungen und Werten andererseits.

      Es handelt sich also um eine Art Passungsfehler zwischen Individuum und Umwelt, ein Auseinanderklaffen zwischen dem was das System braucht und zu geben im Stande ist und dem, was das betroffene Individuum braucht und zu geben im Stande ist. Diese Feststellung enthält sich grundsätzlich noch jeder Bewertung. Beide Bereiche können begünstigende Faktoren aufweisen, doch ihnen die „Schuld“ zuzuschieben, wäre viel zu kurz gegriffen. Und doch löst gerade das Thema Schuld einen heiß umkämpften Grabenkrieg aus.

      Die Mär vom schlechten Menschenmaterial und der miesen Organisationskultur

      Vertreter der bürgerlichen, unternehmerischen Sphäre, die traditionell den Leistungsgedanken hochhalten und nur in einer ungebremsten Wachstumskultur die Zukunft sehen, neigen dazu, den Burnout-Patienten als „minderwertiges Material“ einzustufen. Ein Warmduscher und Weichei, einer, mit dem kein Pokal zu gewinnen ist, ein „Psycherl“, das noch immer seine Kindheit als Generaldispens seiner Inkompetenz und Anstrengungsverweigerung als Schild vor jeder Anforderung vor sich her trägt. Und das in diesen Zeiten, wo der globale Markt zu Höchstleistung drängt, wo es gilt, das Überleben des Unternehmens mit größter Härte und Selbstaufgabe als höchstes Ziel beständig vor Augen zu haben, wo jeder Muskel angespannt werden muss, um den Konkurrenzkampf zu gewinnen.

      Burnout-Patienten in einem Unternehmen sind unangenehm. Sie werfen Fragen auf. Fragen, die, wie man dumpf in den Eingeweiden und dem „Flüstern auf den Gängen“ spürt, die Potenz haben könnte, Grundlegendes, Systemisches anzukratzen. Burnout-Patienten lösen damit vielleicht sogar Angst aus, sodass man sich landläufig doch dafür entscheidet, sich von Unternehmensseite kulant zu zeigen, um keinen Staub aufzuwirbeln, die Betroffenen vordergründig zu streicheln, wenn man sich ihrer nicht mehr zeitgerecht hat entledigen können.

      In einer Art von vorauseilendem Gehorsam, gleichsam um eine weiße Weste vorweisen zu können, werden Burnout-Beauftragte installiert. Oder aber man beauftragt dafür Unternehmensberater, um eine Art Ablasszahlung zu leisten und Gesinnungsreinheit zu demonstrieren. Vorgesetzte erlernen dann die notwendigen Tricks für das Burnout-präventive Mitarbeitergespräch lege artis. Mitarbeiter wiederum lernen, wie sie ihren Schreibtisch besser entrümpeln oder ihre Mailverwaltung auf überblickbare Dimensionen bringen. Dafür gibt es ausgefeilte Systeme, um zweitägige Workshops rechtfertigen zu können, und keiner hat später Material in der Hand, um behaupten zu können, dass das Unternehmen nicht etwas für die Burnout-Prophylaxe getan hätte. Die Implementierung von vordergründig ambitionierten Programmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung mit Tai-Chi-Stunden, gesunder Werksküche sowie Time- und Organisationsmanagement-Seminaren war der „Megatrend“ der vergangenen Jahre.

      In diesem Punkt der Schulungsoffensive sind sich Unternehmen meist mit ihren Betriebsräten einig, die sonst gehörig ins Horn der gegen Arbeitnehmer gerichteten Ausbeutung blasen. Als Haken erweist sich für die Vertreter der Arbeitnehmer allerdings, dass sämtliche angebotenen Präventions- und Lösungsversuche davon ausgehen, dass die wesentlichen Bedingungen für das Entstehen des Syndroms ausschließlich in der Persönlichkeitsstruktur (etwa Neigung zu Idealismus, Perfektionismus und Definition über Leistung) liegen sollen.

      Betriebsräte sind heute ihrer historisch so wesentlichen Funktion beraubt, tatsächliche Arbeitsausbeutung und unmenschliche Arbeitsbedingungen zu bekämpfen. Deshalb fahren sie oft einen Kurs, der mit großem Pathos eine Art Kuschelpädagogik von Unternehmensseite fordert. Da eine Burnout bedingende Arbeitsüberlastung angesichts ausgefeilter Arbeitszeitbeschränkungen und Ruhezeitverordnungen in einer überregulierten Arbeitswelt schwer plausibel gemacht werden kann, zaubert man gerne andere Faktoren aus dem Hut. Arbeitsdichte oder Arbeitsverdichtung, ständige Erreichbarkeit, enge Zeitvorgaben, ungelöste Konflikte und fehlende soziale Unterstützung, Arbeitsplatzunsicherheit sowie ein ständiger Anpassungsdruck an neue Bedingungen, sind stark vom subjektiven Erleben gefärbte Aspekte, die für die chronische Überlastung und Überforderung verantwortlich sein sollen. Damit sollen die vom Arbeitnehmer kommenden „Antworten“ wie innere Kündigung, reduzierte Leistungs- und niedrige Innovationsbereitschaft sowie hohe Fehlerquoten als logische Konsequenzen plausibel gemacht und dem Unternehmen der schwarze Peter zugeschoben werden. Schützenhilfe kommt von den Krankenkassen, die angesichts der steilen Anstiege bei psychisch bedingten Krankenstandstagen meinen, dass das Platzen diverser Wirtschaftsblasen und die nachfolgende Wirtschaftskrise bei den Menschen Wirkung zeigt.

      Eine Evaluierung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz durch Arbeitsmediziner und Arbeitspsychologen ist von dieser Warte aus das Gebot der Stunde. Mit Online-Fragebögen soll jeder Mitarbeiter sein Unternehmen nach dem ihm zugemuteten Stress beurteilen, woraus sich ein Forderungskatalog ergibt und sich die Positionen „Böses Unternehmen“ versus „ausgebeuteter Arbeitnehmer“ als Grundgesetz wieder einmal bestätigen lassen. Massen-Breakdowns wegen Strukturfehlern sozusagen, was hierzulande die Arbeiterkammer zur Forderung gegenüber dem zuständigen Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit sowie dem Gesetzgeber treibt, die Mitwirkungsrechte der Betriebsräte bezogen auf die

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