Der holistische Mensch. Johannes Huber
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»Wichtiger als die Konzepte Raum und Zeit ist das Konzept der Information, und Information ist offenbar unabhängig von Raum und Zeit. Das heißt, die Information liegt vor, dass beide Systeme gleich sein müssen, auch wenn sie vor der Beobachtung noch keine vordefinierten Eigenschaften besitzen und obwohl sie keine Verbindung haben. Für mich deutet das in die Richtung, dass Information fundamentaler ist als alle anderen Konzepte. Schon das Johannes-Evangelium beginnt mit: Am Anfang war das Wort. Das kann ich auch mit Information übersetzen.«
Am Anfang war also die Information.
Die Romantik hatte das bereits in poetische Worte gekleidet. So dichtet Joseph von Eichendorff:
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt fängt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
Der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger vermutet vor allem hinter den Verschränkungsphänomenen ebenfalls eine uns noch nicht bekannte »Melodie«. Und er moniert auch, dass die spekulative Physik des 20. Jahrhunderts eigentlich die neuen Weltanschauungen prägen müsste, ähnlich wie das die mechanistische Physik zwei Jahrhunderte vorher gemacht hat.
»Das Paradigma zu jeder Zeit war, zu versuchen, Gehirn und Bewusstsein anhand der Leitwissenschaft in der Physik zu erklären«, sagt Zeilinger. »Im 19. Jahrhundert gab es mechanische Modelle des Gehirns mit Zahnrädern. Später waren es Vorstellungen mit elektrischen Relais, heute ist es die Quantenphysik.«
Sie erlaubt wesentlich mehr Verschränkungen und Korrelationen als die klassische Physik. Eigentlich ist sie holistischer.
Wenn uns die Hirnforscher bestätigen, dass sich nur ein kleines Segment der Wirklichkeit unserem Geist und unserem Verständnis erschließt, so ist das natürlich noch lange kein Gottesbeweis. Allerdings erscheint es heute intellektuell redlicher als noch vor hundert Jahren, im Nebel des uns nicht Zugänglichen einen Weltenbaumeister anzusiedeln. In Sinnstiftungsfragen ist das für mich auf jeden Fall der Plan A, im Gegensatz zum Plan B der traurigen und unromantischen Abwesenheit Gottes.
Faust, der große Wissenschaftler, kannte weder Neurowissenschaften noch Quantenphysik, und machte sich deshalb über Gretchens Glauben lustig.
Mit den Worten einer Sphinx spricht auch Philosoph Peter Sloterdijk von einer Endlichkeit des Wissens und rät, dieses Manko durch einen gewissen Surrealismus zu kompensieren:
»Durch den Sinn für das Mögliche, das Außergewöhnliche, das Wunderbare und das Absurde.«
Das Transzendentale erwähnt er nicht ausdrücklich.
Allerdings scheint es nicht mehr unvernünftig zu sein, sich für Wirklichkeiten zu entscheiden, die jenseits unserer Erkenntniswelt liegen. Ob im Gestern, im Heute oder in dem, was kommen mag, was uns erst im Morgen vermacht werden wird. Und manchmal ist so ein Vermächtnis eine Botschaft, die erst sehr viel später ihre Wirkung entfaltet.
Beim Medizinerkongress in München, es war Anfang Mai 2017, ein herrlicher Tag, hielt Sloterdijk einen Festvortrag. Wir haben ihn mit einem Brief begrüßt, einem Schriftstück von Sigmund Freud an Arthur Schnitzler:
»Ich habe mich oft verwundert gefragt, woher Sie diese oder jene geheime Kenntnis nehmen konnten, die ich mir durch mühselige Erforschung des Objekts erworben habe, und habe den Eindruck gewonnen, dass Sie durch Intuition all das wissen, was ich in langer Arbeit an Menschen aufgedeckt habe. Den Dichter, den ich stets beneidete, beginne ich jetzt zu bewundern.«
Heute würde man sagen: Sigmund freut sich. Die Dichtung, die Philosophie und die Wissenschaft sind verschränkt. Die Dichtung muss nicht so präzise sein wie die Wissenschaft, aber die Wissenschaft kann sich von der Dichtung die schönen Worte ausborgen.
Der Glaube, heißt es, kann Berge versetzen. Wer auch immer das glauben mag. Eine Sache kommt mir in den Sinn, wenn Atheisten sich mit sagenhafter Überheblichkeit über gläubige Menschen lustig machen und dogmatisch feststellen, dass der Glaube an Gott ja bekanntlich tot sei, und dass das doch ohnehin alle vernünftigen Leute wüssten. Ich erinnere mich dann immer an die suchende Vorsicht, die der frühere Bundeskanzler Bruno Kreisky bei seinen jährlichen Weihnachtsbesuchen bei Kardinal König nicht nur einmal zur Rede brachte: Dass unser Gehirn nicht fähig wäre, Transzendentales zu erkennen, aber dass man das Transzendentale deshalb auch nicht ausschließen dürfe. Es steht, so Kreiskys Meinung, fünfzig zu fünfzig.
Meine Aufgabe damals war es, die Gäste zu erwarten und zu Kardinal König hinaufzuführen. Bei einem dieser Besuche blieb Kreisky auf der wunderschönen Renaissancestiege des Palais stehen und fragte mich nach meinen Zukunftsplänen. Als ich ihm erzählte, ich wolle Arzt werden, hielt er inne, wandte sich auf der Stiege mir zu und sagte:
»Da müssen Sie das machen, was auch in der Politik gilt. Ein guter Politiker muss die Menschen lieben. Ein guter Arzt muss das auch.«
Kardinal König führte dann kurz vor seinem Tod ein Gespräch mit mir. Es war ebenso berührend wie tiefsinnig.
»Ich habe einen Wunsch«, sagte er. »Sie sollten sich mit der Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Theologie befassen. Es gibt Schnittpunkte, glauben Sie mir, mehr als man denkt. Naturwissenschaft und Theologie lassen sich verknüpfen. Das eine schließt das andere nicht aus, im Gegenteil, beide Teile bilden ein Ganzes. Die große Aufgabe besteht darin, zu verstehen. Das könnte zu einer tiefen Erkenntnis führen.«
Es hat eine Zeitlang gebraucht, bis ich seinem Wunsch nachkommen konnte. Jetzt gehen die Knoten auf, alles löst und öffnet sich. Auch das ist sein Vermächtnis. Auch wenn die tatsächliche »Erkenntnis« wohl natürlich in alle Ewigkeit auf sich warten lassen wird.
Nach Jahrzehnten soll hier auch versucht werden, seine Sicht der Vernünftigkeit, an Transzendentales zu glauben, und die Versöhnung zwischen Glaube und Wissen zu kommemorieren. Und genau diese Versöhnung erlaubt auch intellektuell, redliche Antworten auf die großen Fragen zu finden, die Kardinal König immer wieder zur Rede brachte: »Woher komme ich? Wohin gehe ich?«
Damit griff er auf die gnostische Erlösungsformel zurück, die Clemens von Alexandrien zitierte:
»Wer waren wir? Was sind wir geworden? Wo waren wir? Wohinein wurden wir geworfen? Wohin eilen wir? Wovon sind wir befreit? Was ist Geburt? Was ist Wiedergeburt?«
Selbst Biologie und Medizin sprechen zunehmend von einer Art Leben vor unserer Zeugung und von einem Leben nach uns, in das beispielsweise Liebe und Zuneigung, die sich tatsächlich auch vererben lassen, weiterwirken können.
Werden die Fragen des Woher und des Wohin noch weiter gesteckt, über die Biologie hinausgehend, so soll es nicht als unvernünftig abgetan werden, wenn sich religiös musikalische Menschen zu Wort melden und das Diesseits als eine Art Exil ansehen. Ein Exil, in das man von dort hineingefallen ist, wohin man nachher wieder zurückgeht. Ein Exil, in dem man aber auch bleibt, selbst wenn man schon weg ist. So hat Sokrates von der weisen Diotima erfahren, dass der Mensch durch seine Kinder an der Unsterblichkeit teilhat. Aber nicht nur durch Kinder, wie wir sehen werden.
Das ganze Welttheater ist wie ein Puppenspiel. Wir