Der holistische Mensch. Johannes Huber
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Zweiter Akt unseres Naturschauspiels: die Dauerbindung.
An der Handlung beteiligt: das Oxytocin, das Gehirn, das Stickmonoxid, das Herz.
Kurzinhalt: Der Geschlechtsakt bringt im Gehirn neue Neurone hervor, das Oxytocin regt das Herz an, sich zu regenerieren und sogar neues Muskelgewebe zu bilden.
Ohne das Oxytocin würde die Liebe nicht viel mehr Spaß machen, als sich am Schienbein zu kratzen. Es gebe keine Schmetterlinge, keine Zärtlichkeit, keine Treue. Kein Mensch hätte Vertrauen zum anderen. Jede Geburt wäre ein Desaster. Und jedes Baby würde als vergessenes Straßenkind aufwachsen. Das alles wegen des Fehlens eines einzigen Hormons.
Das ist natürlich ein bisschen übertrieben, aber nicht viel. So könnte die Welt durchaus aussehen, ohne dieses Oxytocin, das uns zu dem sozialen Wesen macht, das schon Platon in uns erkannt hat, obwohl er nie etwas von Hormonen gehört hatte.
Mittlerweile wissen wir so einiges über das Oxytocin. Es ist der Stoff, der so ziemlich bei allem mitspielt, was zwei Menschen brauchen, um einen dritten in ihr Leben treten zu lassen. Liebe. Vertrauen. Treue. Solidarität. Nachhaltigkeit. Kraft. Gesundheit. Und insbesondere ein starkes Herz.
Die Sexualität stellt all das bereit, indem sie beim Geschlechtsakt das Oxytocin hinausschleudert, das den Rest erledigt. Das sind schon so einige beachtliche Jobs, die die Natur einem einzigen Hormon zutraut. Schauen wir uns kurz seinen Lebenslauf an.
Das Oxytocin ist ein Hunderte Millionen Jahre altes Molekül. Entdeckt hat man es beim Caenorhabditis elegans, einem Fadenwurm. Der hat diesen Namen, weil er so elegant dahinschwänzelt. Der grazile Wurm musste einen ganzen Haufen Oxytocin-Experimente über sich ergehen lassen, weil er trotz seiner Winzigkeit von nicht einmal einem Millimeter Länge den Säugetieren in manchem ähnlich ist. Genauso wie beim Menschen dient Oxytocin auch bei diesem Fadenwurm dazu, die Fortpflanzung einzuleiten.
Erkennen und paaren. Bei den alten semitischen Völkern war das ein- und dasselbe. Ihr Synonym für die Paarung war das Erkennen. Adam erkannte Eva, und sie gebar den ersten Sohn. Es gehört zum Uraltwissen der Menschheit, dieses Erkennen. Wie richtig und wie poetisch. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Geschlechtsakt mehr ist als nur Gerammel.
Freigesetzt wird dieses Oxytocin vom Hinterlappen der Hirnanhangdrüse, und dort hat es, neben vielen anderen, eine zum Erkennen passende Funktion. Sie befähigt den Menschen, Gesichter zu schärfen und sie sich zu merken. Bei den Säugetieren und dem Homo sapiens ist diese Fähigkeit weit ausgebaut.
Das Oxytocin hat auch zwei ganz andere Funktionen, die aber holistisch nicht vom Rest seiner Talente zu trennen sind. Es bewirkt, dass die Gebärmutter sich bei der Geburt zusammenzieht. Das sind die Wehen, die das Kind aus dem Bauch hinausdrücken. Daher kommt auch der Name des Oxytocins, der auf Altgriechisch gleichermaßen »Wehen bei der Geburt«, aber auch »schnelle Geburt« bedeuten kann. Außerdem ist es dafür verantwortlich, dass die Brustdrüse Milch absondert. Darüber hinaus hat es die Natur für Zärtlichkeit und Zuneigung verantwortlich gemacht. Vor der Geburt zu kuscheln hilft also, die Wehen einzuleiten. Beim Stillen zu kuscheln fördert den Milchfluss. Nach dem Orgasmus macht es die beiden Liebenden müde und bewirkt, dass sie nicht gleich getrennter Wege von hinnen spazieren.
Die Natur, so vorsichtig wie vorausschauend, hat sich da auf keine halben Sachen eingelassen. Sie hat nicht mit Vorhandenem herumprobiert. Sie entschied, dass das Hormon für seinen Auftrag gleich auch im Gehirn eigene Neurone, also Nervenzellen, herstellen soll, die die physische Grundlage für die Verbindung der beiden potentiellen Elternteile stellen. Sicher ist sicher. So wankelmütig der Mensch in seinen zwischengeschlechtlichen Beziehungen ist, braucht es einen Kitt, der nicht so leicht abgeht. Das Oxytocin wurde zum Bindungshormon.
Die Neurone, die es dazu bildet, verschränken die beiden Partner. Sie bekommen ein Naheverhältnis, sie fassen Zutrauen. Da steckt nichts Mystisches dahinter, sondern Neurogenese und wunderbarer Holismus.
Solidarität und Gesichtserkenntnis. Darauf hat sich die Schulmedizin konzentriert, um herauszufinden, wie genau das Oxytocin in die Neurogenese eingreift. Ein Mechanismus scheint dabei besonders wichtig zu sein: Im Gehirn wird normalerweise vieles blockiert, was der Regeneration dient.
Im ersten Moment hält man das für absurd. Regeneration zu verhindern, kann nicht im Sinn der Natur sein. Etwas weitergedacht, sind Hemmungen allerdings extrem wichtig. Ohne sie würden sich überall und wie wild neue Neurone bilden, und mit neuen Neuronen würden unweigerlich neue Bewusstseinsinhalte entstehen.
Auch nicht schlimm, könnten wir jetzt meinen, und wir hätten schon wieder zu kurz gedacht. Mit neuen Nervenzellen würde sich nämlich auch der Bewusstseinszustand dauernd ändern. Mit ein bisschen Fantasie kann man sich gut vorstellen, wie einen das durchschütteln würde. Deswegen ist das Hirn auf diesem Gebiet stark eingeschränkt und kann sich nicht so hemmungslos erneuern wie ein Muskel, ein Knochen oder die Wirbelsäule nach einer Querschnittslähmung.
Neue Therapien versuchen, diese Hemmungen aufzuheben, falls aus welchem Grund auch immer eine Regeneration des Gehirns vonnöten ist. Zum Beispiel mit Oxytocin. Denn das Hormon ist in der Lage, die Bremsen zu lockern.
Oxytocin ist also ein Hemmungslöser, und das ist nicht nur im medizinischen Sinn zu verstehen. Oxytocin enthemmt generell. Im positiven Sinn, manchmal aber auch im negativen. Deswegen nannte es der Neuroökonom Paul Zak auch »Moralmolekül«.
Es gab da ein paar verblüffende Versuche, die weit über die Belange der Fortpflanzung hinausgehen.
In Zürich verabreichte der Verhaltensökonom Ernst Fehr mit dem Oxytocin-Experten Markus Heinrichs Testpersonen ein paar Spritzer des Hormons über ein Nasenspray. Es ging ihm darum, die Vertrauensseligkeit im Hinblick auf die Risikobereitschaft auszuloten. In einem vorgetäuschten Szenario mit einem ebenso vorgetäuschten Banker sollten die Probanden Geld in eine Transaktion investieren. Je nachdem, wie wagemutig sie waren, konnten sie entweder ihr Geld samt Profit zurückbekommen, oder der Banker behielt Kapital samt Gewinn ein. Fehr wollte wissen, inwieweit das Oxytocin das Vertrauen selbst zu Bankern erhöhte, die üblicherweise nicht als Heilige betrachtet werden.
Das Ergebnis lässt sich schon riechen: Die Testpersonen mit dem Oxytocin in der Nase riskierten größere Summen als die Placebo-Gruppe.
Interessant war, dass das Hormon ausschließlich auf das Vertrauen Einfluss nahm und nicht auf die Risikofreudigkeit. Bei derselben Transaktion mit einem herzlosen Computer investierten die Versuchspersonen nichts oder weniger. Das Oxytocin wirkt nur in der Interaktion mit einem Menschen, und sei es ein Banker.
Auch bei Mediationen wurde der Hormon-Spray eingesetzt, und mit einigem Erfolg. Denn während das Oxytocin das Vertrauen vergrößert, senkt es gleichzeitig den Spiegel des Stresshormons Cortisol. Mehr Verständnis, weniger Stress. Ideale Voraussetzungen, um einander wieder näherzukommen. Insbesondere, wenn aus zwei drei werden.
Der Dritte im Familienbund kommt derart unreif auf die Welt, dass die Bindung zwischen den Eltern existenziell ist. Das Baby braucht Nahrung, Schutz, Pflege, Zuneigung, Aufmerksamkeit, Förderung, Zärtlichkeit, und die Liste könnte noch ein paar Seiten weitergehen. Wir sind keine Pferde, die nach der Geburt schon aufstehen und herumlaufen.
Beim Homo sapiens dauert es, bis das Kind flügge ist. Dem Plan der Natur nach sollten beide Elternteile die gesamte Brutpflegezeit über für das Kind da sein. Offenbar ahnte die Natur, dass Mann und Frau nicht automatisch über so lange Zeit zusammenpassen würden, und steuert das Bindungshormon auch abseits des Sexualakts bei.
In Wahrheit beginnt es mit einem tiefen Blick. Der genügt als erste Kommunikation, und schon geht es los. Wenn sich Liebespaare in die Augen