Der holistische Mensch. Johannes Huber

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Der holistische Mensch - Johannes Huber

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der Viren etwas völlig Neues hervorgebracht.

      Die Plazenta war der erste bescheidene Begleiter des Kindes, der in der Lage war, einen Kontakt zur Mutter herzustellen. Nicht außerhalb, irgendwo in einem Ei, sondern in einem weiblichen Körper, in Eva. Diese Eva war ein kleines Tierchen, das einer Maus ähnlichsah: die Eomaia scansoria.

      Das war der Quantensprung in der Reproduktion. Mit einer fundamentaleren Leistung hat sich die Evolution weder vorher noch nachher in das Gästebuch der Natur eingraviert.

      Getan war es damit natürlich noch nicht. Damit die Sache funktionieren konnte, musste einiges umgekrempelt werden. Notwendigerweise vor allem das Immunsystem, das total aus dem Häuschen war nach dieser epochalen Umwälzung. Viren, die nicht bekämpft wurden. So etwas hatte es noch nie gegeben. Eva hat einen Teil eines fremden Organismus in sich aufgenommen, der toleriert und weitergezüchtet werden musste. Das war immunologisch keine Kleinigkeit.

      Auch das Herz konnte sich auf weit mehr Arbeit gefasst machen. Die Herzleistung hat sich tatsächlich fundamental geändert. Evas Herz musste auf einmal für zwei schlagen, für sich und das Kind in ihr. Da brauchte es ein komplett neues kardiovaskuläres System. Herz und Gefäßsystem der Frau sind deshalb anders als die des Mannes. Was für sie den Vorteil hat, dass sie in ihrer fruchtbaren Zeit kaum einen Herzinfarkt bekommt.

      Ein anderer Vorteil für die Frau ist ein niedriger Cholesterinspiegel. Der entsteht, weil das Kind Cholesterin für die Zellmembran braucht, und Mutter ihm das ihre zur Verfügung stellt. Das hat den feinen Nebeneffekt, dass die Verkalkung im weiblichen Körper nicht so schnell voranschreitet.

      Aber für diese Leistung braucht Eva auch zusätzliche Energie. Für neun Monate Schwangerschaft und drei Monate Stillzeit 140.000 Kalorien, um genau zu sein. So hat sich die Natur das ausgerechnet. Diese zusätzliche Reserve muss sie in ihrem Körper irgendwo speichern und deponiert Last vorsorglich in der Regio glutealis und der Regio femoris, wie man das im Medizinjargon nennt. Landläufig sagt man Oberschenkel und Po dazu. Das sind die weiblichen Fettdepots für die Reproduktion.

      Interessant dabei ist, dass diese evolutionären Pölsterchen auch ein sichtbares Signal für das andere Geschlecht sind, daran ändert auch die Mode unseres so androgynen Schönheitsideals nichts. Wenn sich die Kurven einer jungen Frau in der Pubertät ausgeformt haben und sie dem Mann damit ihre Geschlechtsreife deutlich macht, ist er instinktiv empfänglich. Es ist eine Art Ich-Tarzan-du-Jane-Code.

      Nach und nach wurde Evas Organismus zu dem holistisch perfekten Körper, den es für die Fortpflanzung braucht. Mit einem neu aufgesetzten Stoffwechsel, einem verbesserten Blutgerinnungssystem, einem neu vernetzten Gehirn – wir werden dem noch im Detail begegnen. Natürlich designte die Natur auch den männlichen Körper um, allerdings nicht ganz so bahnbrechend. Immerhin ist die tragende Rolle der Reproduktion die weibliche.

      Es war ein großes Experiment, das die Natur da mithilfe der kleinen Eizelle anstellte. Überraschend gelang es. Wer in dieser Geschichte gern unter den Tisch fallen gelassen wird, sind die Viren. Ohne ihren Beitrag in der mutigen Eizelle wäre aus dem ehrgeizigen Plan nie was geworden. Ohne sie wäre die hormonelle Ära der Innenpolitik überhaupt nicht angebrochen. Sie sind nicht nur Handlanger der Evolution, sie sind Mitverschwörer des Holismus.

      Ich finde, es ist an der Zeit für eine Ehrenrettung der Viren.

      Wer oder was sind diese Partikelchen eigentlich? Unter den Begriff »Lebewesen« lassen sie sich nicht ganz einordnen, weil sie selbständig nicht zur Fortpflanzung fähig sind und auch keinen eigenen Stoffwechsel haben. In beiden Belangen sind sie auf ihre Wirtszellen angewiesen. Sie können sich nur intrazellulär, also bloß innerhalb der Wirtszelle vermehren.

      Würde man eine Straßenumfrage starten, würden die meisten Menschen sie als Auslöser von Erkrankungen deklarieren, die sie tatsächlich auch sind. Aber nicht nur.

      In Wahrheit sind Viren weder Freund noch Feind. Sie lösen nicht ausschließlich Krankheiten aus, sie sind aber natürlich auch keineswegs harmlos, weil sie für Unmengen von verschiedenen Krankheiten verantwortlich sind.

      Bei so einem Ruf geht natürlich leicht unter, was die Viren für die Gesundheit, die Evolution und allerlei biologische Reaktionen tun. Geflissentlich wird dabei vergessen, dass acht Prozent des menschlichen Erbguts viralen Ursprungs sind.

      Tatsächlich haben Viren in vieler Hinsicht etwas sehr Nützliches an sich. Grundsätzlich wünscht sich niemand eine chronische Virusinfektion, und doch hat der Körper auch was davon. Sie ist ein hervorragender Drill-Sergeant fürs Immunsystem. Eine Art Bootcamp für dendritische Zellen. Die Wissenschaft vermutet, dass die harmlosen Viren unsere körpereigene Abwehr auf die gravierenderen Infektionen vorbereiten.

      In ruhigen Zeiten, wenn sich im Körper einmal keine Katastrophe anbahnt, die das Immunsystem in Alarmbereitschaft versetzt, wird den Abwehrzellen mitunter langweilig. Ohne Herausforderung wächst der Übermut, und die ansonsten so disziplinierte immunologische Security im Organismus glaubt, Feinde zu sehen, wo gar keine sind. Im Überschwang greifen die fadisierten Truppen dann sogar körpereigene Zellen an. Auch vor solchen Autoimmunreaktionen bewahren uns die Viren, indem sie das Immunsystem zur Ordnung rufen.

      Ganz klar leisten Viren nützliche Dienste an Neugeborenen. Eingeschleust über die Mutter verabreichen sie dem Säugling eine erste Impfung, die es auf andere Virusinfektionen vorbereitet, auch davon werden wir noch mehr hören. Die bakterienfressenden Viren, die sogenannten Bakteriophagen, kontrollieren dann in weiterer Folge auch die Balance unter den Bakterien.

      Einige Viren schützen selbst vor pathogenen Viren. Eines davon ist das Pegivirus C, das offenbar die Konsequenzen einer HIV-Infektion mildert.

      Günstig könnte auch die Vorliebe der Viren für Zellen sein, die sich schnell teilen. Damit könnte Großes anzufangen sein. Vielleicht helfen sie dem Immunsystem ja dabei, Krebszellen zu beseitigen. Anzeichen dafür gibt es. Nach Virusinfektionen kommt es immerhin gelegentlich zu Spontanheilungen oder zumindest entscheidenden Verbesserungen bei Krebs.

      Viren sind also weit nützlicher, als man ihnen zugesteht.

      Bei den großen Sprüngen des höheren Lebens haben sie fraglos eine große Bedeutung. Zwischen Mensch und Virus gibt es demnach so etwas wie eine Ko-Evolution. Ihr Beitrag zur Bildung der Plazenta ist ein Teil davon. In dem Fall waren die Viren eine derartige Bereicherung für ihren Wirt, dass eine ganz neue Art entstanden ist: die Säugetiere und mit ihnen der Mensch.

      Dass Viren die Immunsituation des Wirtes verändern und ihn somit in der Evolution derart nach vorne katapultieren können, ist dennoch eine sehr neue holistische Interpretation. Befeuert wird sie durch die Entdeckung der Genscheren.

      Es war keine Erkenntnis, die über Nacht in die Welt der Wissenschaft einbrach. Das tun Forschungsergebnisse nie, schon die eigentliche Arbeit in der Abgeschiedenheit eines Labors ist langwierig und aufwendig. Die Wissenschaft ist nicht immer von eiligem Charakter. Auch wenn sie im generellen Fortschritt in gewaltigen Stiefeln und mit Riesenschritten unterwegs ist, lässt sich die Natur ihre Geheimnisse im Einzelnen nur unter Ächzen abringen. Sind alle Studien fertig, die Statistiken ausgewertet, der Artikel geschrieben, geht noch etliche Zeit drauf, bis die Welt die Neuigkeiten erfährt. Die großen Wissenschaftsmagazine wie Science oder Nature, in denen nur Themen veröffentlicht werden, die durchbruchverdächtig sind, haben lange Begutachtungszeiten. Allein bis einmal feststeht, ob es sich um einen solchen Durchbruch handeln könnte, dauert es mindestens ein Jahr. Ich walze das deshalb ein bisschen aus, weil es im Falle der Genscheren eine Rolle spielt.

      Die Vorgeschichte beginnt vor zwanzig Jahren. Um die nicht ganz unkomplizierte Materie zu verstehen, unternehmen wir einer Art Science-Hopping durch die Forschungsgeschichte.

      Erste

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