Die Liste vor der Kiste. Ruediger Dahlke

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Die Liste vor der Kiste - Ruediger Dahlke

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      Die Tatsache, noch nicht in Zeitnot zu sein, noch von keiner Diagnose in Enge und Angst getrieben zu werden, kann Mut machen und Kraft schenken. Wir können gleich anfangen, unsere Liste aufzustellen und uns nach ihr zu richten – und zwar ohne falsche Bescheidenheit und Angst. Es ist nicht ratsam, alle Wünsche und Träume (ewig) aufzuschieben, bis es irgendwann (zu) spät ist. Wir haben heute, in diesem Moment, nichts zu verlieren und alles zu gewinnen.

      Die großen spirituellen Traditionen legen uns nahe, mit allem eins zu werden. Zum Schluss müssen wir uns sowieso mit allem aussöhnen, uns in allem wiederfinden, mit allem einverstanden sein und erkennen, dass wir vom Göttlichen nicht getrennt sind. Hindus nennen das tat tvam asi (wörtlich: »Du bist das«), und sie meinen damit »Du bist göttlicher Natur«. Dieses Erkennen der Wirklichkeit entspricht auch dem Christus-Bewusstsein. Christen haben das Ziel, ihre Nächsten wie sich selbst zu lieben und sich beziehungsweise ihren Meister Christus im Geringsten ihrer Mitmenschen zu erkennen und sich in Christus und Gott in sich. »Das Himmelreich Gottes ist in euch«, heißt es in der Bibel. Klarer und deutlicher könnte es nicht ausgedrückt werden, und so hat falsche Bescheidenheit hier keinen Platz. Wir sind sozusagen von ganz oben angehalten, alles zu wagen, um das (ewige) Leben zu gewinnen, und zwar lange vor dem Tod. Wir müssten nur wollen und uns trauen.

      Wozu also warten, bis der Druck wächst? Wer sich das nicht ein- und zugesteht, wird im Laufe des Lebens die Erfahrung machen, dass unsere Entwicklung in Richtung Kraft und Mut von außen angemahnt wird. Solch einem unnötigen Druck bräuchten wir uns gar nicht auszusetzen.

      Das Damoklesschwert des Todes hängt von Anfang an über uns (allen). Es zu verkennen ist ebenso naiv wie ungeschickt. Wer jedoch den Tod als letztes und sicherstes Lebensziel akzeptiert, hat die bessere Ausgangsposition. Angelus Silesius, der dichtende »schlesische Engel«, sagt es deutlich:

      Wer nicht stirbt, bevor er stirbt, der verdirbt, bevor er stirbt.

      Und Goethe, der Deutschen Dichterfürst gibt uns zu bedenken:

      Und so lang du das nicht hast,

      Dieses: Stirb und werde!

      Bist du nur ein trüber Gast

      Auf der dunklen Erde.

      Dabei ist uns das Muster schon aus Schulzeiten bekannt. Zum Beispiel wenn wir die Erledigung von Hausaufgaben bis zum letzten Moment aufschoben, um dann unter großer Anspannung noch alles auf den letzten Drücker hinzubiegen. Der letzte Drücker aber macht Druck, und das Ergebnis ist deshalb oft wenig überzeugend. Unter Druck werden nur wenige wirklich gut. Jeder kennt das Dilemma, und so lautet der zwar bekannte, aber selten befolgte Rat: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.« Der weiseste Rat aber ist: »Alles zu seiner Zeit.« Doch wann ist die rechte Zeit für Träume, Wünsche und Visionen? Dazu gibt in unserer Kultur die Bibel (Prediger 3, 1-7.12) eine Antwort:

      Alles hat seine Zeit und jegliches Vornehmen unter dem Himmel seine Stunde.

      Geborenwerden hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit;

      Pflanzen hat seine Zeit, und Gepflanztes ausreuten hat seine Zeit;

      Töten hat seine Zeit, und Heilen hat seine Zeit;

      Zerstören hat seine Zeit, und Bauen hat seine Zeit;

      Weinen hat seine Zeit, und Lachen hat seine Zeit;

      Klagen hat seine Zeit, und Tanzen hat seine Zeit;

      Steine schleudern hat seine Zeit, und Steine sammeln hat seine Zeit;

      Umarmen hat seine Zeit, und sich der Umarmung enthalten hat auch seine Zeit;

      Suchen hat seine Zeit, und Verlieren hat seine Zeit;

      Aufbewahren hat seine Zeit, und Wegwerfen hat seine Zeit;

      Zerreißen hat seine Zeit, und Flicken hat seine Zeit;

      Schweigen hat seine Zeit, und Reden hat seine Zeit;

      Lieben hat seine Zeit, und Hassen hat seine Zeit;

      Krieg hat seine Zeit, und Friede hat seine Zeit. (…)

      Ich habe erkannt, dass es nichts Besseres gibt unter ihnen, als sich zu freuen und Gutes zu tun in seinem Leben …

      Genauso hat auch die persönliche Liste der Lebensthemen, der Herzenswünsche, Träume, Ziele ihre Zeit. Sie sieht selbstverständlich anders aus, wenn wir dreißig sind, als wenn wir sie mit fünfzig oder sechzig Jahren oder vor der letzten Etappe des Weges formulieren. Auch die Liste einer Frau wird sich von der eines Mannes unterscheiden. Die persönliche Liste ist in jedem Fall etwas so Individuelles, dass ich in diesem Buch nur Anregungen und manchmal vielleicht (An-)Stöße geben kann.

      Natürlich gibt es die Unsicherheit, wann es Zeit ist, etwas in die Realität umzusetzen. Wir könnten uns sogar fragen, ob es für uns nicht überhaupt zu spät ist. Die ungemein befriedigende und erlösende Antwort lautet: Jetzt ist die richtige Zeit, und hier ist der richtige Ort – um zu leben.

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      Wer die Lebensmitte überschritten hat – was biologisch gesehen mit einundfünfzig der Fall ist –, sollte sich eigentlich seiner Endlichkeit hier auf Erden immer stärker bewusst werden. Selbst wer in jüngeren Jahren meint, er habe alle Zeit der Welt, ist (zu) optimistisch. Siddhartha Gautama, der Buddha, sagte fünfhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung: »Das Problem ist, du denkst, du hast Zeit.«

      Worauf wollen wir warten? Wie schlau ist es denn, jeden runden Geburtstag zu feiern und dabei zu übersehen, dass er uns dem verdrängten Ende einen deutlichen Schritt näher bringt? Es gibt nur eine Zeit, zu leben beziehungsweise damit anzufangen, und nur einen Ort, wo das möglich ist: Hier und Jetzt, das viel besungene Doppelgespann Raum und Zeit. Die beiden sind für uns Menschen die großen Täuscher, aber auch die Schlüssel zum Glück: Der einzige Ort und die einzige Zeit zu leben ist der Augenblick. Oder in den Worten von Anne Frank: »Wie wundervoll, dass niemand einen einzigen Moment warten muss, bevor er anfängt, die Welt zu verbessern.«

      Wenn wir – Goethes und Angelus Silesius’ Rat folgend – den Tod beizeiten auf der Seelen-Bilder-Ebene zu uns einladen, können wir jetzt schon das große Geschenk in Empfang nehmen, das er uns anzubieten hat: das Leben vor dem Tod. In diesem Sinne wird uns der Tod zu seiner Zeit vollkommen ehrlich machen und unserer Wahrheit näherbringen.

      Im Angesicht des Todes werden fast alle Menschen in einer tiefen Weise ehrlich, was Angehörige und andere Zurückbleibende oft erschreckt. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der Tod uns überhaupt so unheimlich ist. Dazu nur einige Beispiele aus meinem Feld der Medizin: Auf dem Totenbett konnte Edward Jenner, der Entdecker des Impfens, eingestehen, dass er der Menschheit mit der Impfung statt des erhofften Segens ein Monster beschert hatte. Erst auf dem Totenbett erkannte Louis Pasteur, in dessen Namen wir bis heute die sowieso schon gefährliche Trinkmilch noch weiter ruinieren, dass er die Erreger über- und das Terrain unterschätzt hat. Kurz vor seinem Tod gestand der Nervenarzt Leon Eisenberg, dass er das Krankheitsbild ADHS, das Zappelphilipp-Syndrom, passend zur Droge Ritalin erfunden habe und nicht etwa umgekehrt – typisches Beispiel eines von vielen im Dienste der Industrie erfundenen Krankheitsbilder.

      Grundsätzliche Qualitäten

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