Die Liste vor der Kiste. Ruediger Dahlke

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Die Liste vor der Kiste - Ruediger Dahlke

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allerdings jederzeit vor unserem Ende in Anspruch nehmen. Zum Schluss, wenn der Höhepunkt kommt, rückt diese Ehrlichkeit stets in den Vordergrund und lässt viele Menschen für das ihnen Wesentliche kurz vor dem Entschlafen nochmals erwachen. Selbst im letzten Moment kann noch so viel gelernt werden.

      Der Tod ist zeitlebens immer da und nah, und wir dürfen sein Geschenk der Selbstehrlichkeit jederzeit annehmen. So ist Ehrlichkeit ein erster allgemeiner und dabei wichtigster Punkt für die Liste vor der Kiste. Und jeder könnte sich bereits an dieser Stelle vornehmen, in Bezug auf seine Liste immer ehrlich mit sich zu sein. Ähnlich ergeben sich bereits in diesem einführenden Kapitel weitere allgemeine Punkte, die je nach eigenen Bedürfnissen gleichsam den Kopf der persönlichen Liste zieren könnten.

      › Das Eigene: Der nahende Tod enthüllt auch, was wirklich wichtig war im Leben. Je früher wir das erkennen, desto schöner könnte der ganze Rest werden. Aus fast vierzig Arztjahren und der Erfahrung von Menschen »am Ende« wie auch aus Bronnie Wares wundervollem Buch 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen weiß ich, dass vielen erst zum Schluss dämmert, wie wenig sie ihr eigenes Leben gewagt und sich stattdessen bemüht haben, es allen recht zu machen und fremde Erwartungen zu erfüllen. Die eigenen Themen sind dabei oft auf der Strecke geblieben. Sie lassen sich aber über die Rückbesinnung auf versunkene Träume und Wünsche wiederfinden. Dann können die Bereitschaft und der Wille zum eigenen Leben ein zweiter allgemeiner Punkt für die persönliche Liste werden.

      Selbst die wenigen, die es schaffen, es allen recht zu machen, gehen noch am Wesentlichen – dem Eigenen, Individuellen und Originellen – vorbei, denn letztlich ist es sogar besser, eigene Fehler als fremde Tugenden zu leben. Es bringt keinen Segen, Erwartungen zu erfüllen, die dem eigenen, originellen (Lebens-)Weg nicht entsprechen. Die Wünsche und Träume der Liste vor der Kiste können der ideale Schlüssel zum Eigenen sein.

      › Arbeit: Viele entdecken auch erst spät, dass sie sich viel zu viel Arbeit zugemutet und viel zu wenig (Lebens-)Freude gegönnt haben. Natürlich verleitet unsere Leistungsgesellschaft ganz massiv genau dazu. So könnte der dritte Punkt für die Liste lauten: weniger Arbeit, mehr Leben. Es mag aber andererseits auch Menschen geben, für die er heißen müsste: mehr zu mir passende Arbeit.

      › Lebensfreude: Was Lebensfreude für jeden im Einzelnen heißt, sei dahingestellt. Das Leben verlangt uns Achtsamkeit für eigene Bedürfnisse und Aufmerksamkeit für unsere Umwelt ab, für unsere Nächsten und Liebsten. So bekommen wir auch in diesem Feld eine Chance zu Entwicklung und Wachstum. Meine Erfahrungen mit der Beratung von Paaren zeigten über Jahrzehnte dasselbe Muster: Zu Beginn leben sie ihre Liebe, schenken sich Zeit und Aufmerksamkeit und sind damit glücklich; nach fünf Jahren aber sind sie in aller Regel nur noch mit materiellen Themen beschäftigt, und meist ist auch die Liebe darin untergegangen. Eine gute Übung ist, auf sein Leben zurückblickend Bilanz zu ziehen, wie viel Zeit die Liebe und das, was man selbst liebt, bis heute bekommen haben und wie viel Zeit für materielle Interessen bereits draufgegangen ist.

      › Gefühle: Beim Thema Lebensfreude geht es auch allgemein um mehr Gefühl – für viele von uns ein wichtiger fünfter Punkt. Sterbenden wird oft bedrückend klar, dass sie sich viel zu wenig Gefühlsausdruck erlaubt und sich und anderen damit so viel vorenthalten haben. Auf dem Sterbebett kommen dann oft Gefühle (her-)auf, die Angehörige überfordern, stecken sie doch meist zu tief in ähnlichem Verdrängungsschlamassel – aber besser hier und jetzt, als dass es gar nicht geschieht. Öffnen Sterbende dann manchmal das Füllhorn ihrer ein Leben lang zurückgehaltenen Gefühle, können deren Wellen noch manche Barriere wegspülen und Herzen erreichen und erweichen.

      Heutzutage lernen Menschen manchmal erst auf dem Sterbebett – wegen der einkehrenden Ehrlichkeit –, sich mehr zu ihren Gefühlen zu bekennen als in ihrem ganzen Leben davor. Jetzt mag allerdings so viel Ungesagtes und Ungelebtes auf einmal hochdrängen, dass die Gefahr besteht, diesem emotionalen Sturm zu erliegen. Zu den eigenen Gefühlen zu stehen, ist jedenfalls ein vielfach notwendiger allgemeiner Punkt der Liste.

      › Vergebung: Bis zum Schluss wird oft aufge(sc)hoben, sich selbst und anderen zu vergeben. Dabei wäre Vergebung ein weiterer allgemeiner Punkt für die Liste vor der Kiste. Mitten im Leben, solange alle noch viel davon haben, wird Vergebung das Leben in großem Maß bereichern. Aus der Arbeit mit Ritualen des Verzeihens weiß ich, wie viel blockierte Energie und Lebensfreude frei wird durch bewusstes ehrliches Loslassen von Vorwürfen. Die Heilkraft des Verzeihens hat schon wahre Wunder bewirkt. Wie unsinnig, jemand anderem etwa ein halbes Leben lang oder länger nachzutragen! Nur man selbst hat Last, Belastung und Beschwerden davon. Es ist eigentlich nur eine Frage der Intelligenz, sich mit Groll und Hass rechtzeitig auseinanderzusetzen und solche Lasten loszulassen. Am besten ist, gleich hier und jetzt einen sechsten Punkt auf der Liste daraus zu machen.

      › Freundschaft: Bei hochbetagten Menschen sind Freunde oft nicht mehr zahlreich – sei es, dass sie schon vorausgegangen sind, sei es, dass man sie aus den Augen verloren hat. Sie fehlen dann am Totenbett, aber vor allem in den letzten Jahren, Monaten, Wochen. Wem das letzte Stündlein schlägt, der ist am besten im Kreis seiner besten, engsten Freunde oder Freundinnen aufgehoben. Vorher viel Zeit mit besten Freunden zu verbringen, könnte deshalb ein nächster wichtiger allgemeiner Punkt auf der Liste von vielen von uns sein.

      Häufig liegt der Grund für Einsamkeit im Alter einfach darin, dass Freundschaften zu wenig geschätzt und gepflegt wurden. Dass man sich aus den Augen verloren hat, liegt oft auch daran, dass diese auf Banknoten fixiert waren. Gute Noten bei Banken, die sogenannte Bonität, hat mit einem erfüllten Leben aber nicht das Geringste zu tun, eher im Gegenteil. Und die sogenannten Boni, die sich Banker im Selbstbedienungsverfahren genehmigen, um sich vermeintlich Gutes zu tun, zeugen eher von Charakterschwäche und fehlender moralischer Integrität. Zumindest haben die Banker nicht so weit gedacht wie Einstein, der schon wusste: »Alles, was gezählt werden kann, zählt nicht notwendig. Alles, was zählt, kann nicht notwendig gezählt werden.«

      Wer vor lauter Geldverdienen, Fremdbestimmung und wirtschaftlicher Zwänge erfüllende Gespräche und verbindenden Austausch versäumt, ist am Ende schlecht dran und sehr allein. Freunde aus den Augen zu lassen, ist ein Fehler, der oft nicht mehr gutzumachen ist, Freundschaften rechtzeitig zu pflegen dagegen wundervoller Bestandteil eines erfüllten Lebens.

      Als sich von meinen drei besten Freunden zwei unerwartet früh per Unfall eben gerade nicht verabschiedeten, sondern einfach davonmachten, wurde mir erst bewusst, was wir alles versäumt hatten. Viele Pläne und Träume hatten wir ohne Not aufge(sc)hoben – aber für wann? Robert Louis Stevenson, der schottische Dichter, dem wir das »Schattenstück« Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde und Klassiker wie Die Schatzinsel verdanken, sagte: »Wir sind alle Wanderer in der Wildnis der Welt, und das Beste, was wir auf unseren Reisen finden können, ist ein ehrlicher Freund.«

      Ähnlich wie mit Freunden ist es oft auch mit scheinbaren Kleinigkeiten. Wenn ich nicht bald anfange, die Bücher zu lesen, die ich noch unbedingt lesen möchte, statt nur meinen Alltagskram durchzusehen, brauche ich eine sehr lange Pensionszeit. Dabei wollte ich eigentlich gar nicht in Pension gehen. Da stimmt doch irgendetwas nicht in meinem Leben … Wem kommen solche Gedanken eventuell bekannt vor?

      › Disziplin: Ein zweischneidiges Schwert ist die Disziplin. Einerseits leiden viele im Rückblick an zu viel Disziplin und Unterwerfung hinsichtlich fremder Erwartungen sowie an selbstschädigendem Gehorsam. Andererseits ist zu wenig Disziplin in Bezug auf eigene Hoffnungen, Träume und Visionen gefährlich. Zu Anfang des Gymnasiums wollte ich noch alle drei alten Grundsprachen unserer Kultur lernen und fing auch begeistert damit an, aber Hebräisch war so anders und schwer und Skifahren so viel spannender, und schon gab ich es auf, nachdem ich gerade mal die Buchstaben konnte. Griechisch fiel späterem Pubertätsstress zum Opfer, und wieder war ich nicht viel über die Buchstaben hinausgekommen. Wäre Latein nicht Pflicht gewesen, wahrscheinlich hätte ich es auch aufge(sc)hoben. Heute finde ich keine Zeit mehr dafür, denke aber wehmütig zurück, wie leicht es mir damals gefallen ist zu lernen, und bedauere,

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