Die Wenderin. Sonja Raab

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Die Wenderin - Sonja Raab

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in der Nacht des elften Augustes 1975 im Bett meines Vaters und mit der Hilfe einer alten Hebamme geboren wurde. Der Ort an dem ich zur Welt kam, hieß Opponitz, ein kleines Bergdorf im Ybbstal in Niederösterreich, dessen slawischer Name so viel wie »Geräusch des Wassers« bedeutet. Ich selbst aber war im Zeichen des Feuers geboren. Löwe im Sternzeichen, Löwe als Aszendent, und die Sonne als vorherrschender Planet in der Geburtsminute. Äußerlich war ich in einer Menschenhülle geboren worden. Doch ich fühlte mich wie ein Baum. Verwandt mit den Pflanzen. Verbunden mit der Erde. Mit einem Willen, der schnell als Sturheit bezeichnet wurde. In meiner Kindheit wurde ich nachts von Krokodilen zerfetzt, ich sah schwarze Wesen mit leuchtenden Augen vor meinem Elternhaus am Waldrand sitzen, ich hörte unsichtbare, kleine Gestalten sprechen und als ich während der Hauptschulzeit einmal zwölf Warzen auf meinen Fußsohlen hatte, die mich schmerzend daran hinderten, am Turnunterricht teilzunehmen, rief meine Großmutter einen als »Wender« bekannten alten Mann an. Dieser gab mir einen Spruch, den ich dreimal am Tag bei abnehmendem Mond aufsagen sollte, während ich die Warzen mit weißer Schneiderkreide einrieb. Wenige Tage später wurden die Warzen, die sich tief in die Haut gefressen hatten, plötzlich schwarz und fielen einfach ab. Ich habe damals nicht darüber nachgedacht, wie es funktionieren konnte. Ich habe weder daran geglaubt noch daran gezweifelt. Es war eben einfach so. Ich hinterfragte auch später, in meiner Jugend, die Dinge selten, sondern nahm das Leben so wie es kam. Weder bemühte ich mich, es voranzutreiben, noch versuchte ich, es aufzuhalten oder zu entschleunigen. Ich lebte völlig im Hier und Jetzt, wie ein Baum der an ein und derselben Stelle steht, egal ob Sommer oder Winter, egal ob bei Frost oder Sonnenschein, ob Vögel auf ihm nisteten oder ein Eichhörnchen auf ihm herumtanzte. Ich war ich. Und es war eben wie es war. Manchmal schmerzhaft und traurig, deprimierend und schlimm, manchmal übersprudelnd, voller positiver Überraschungen und Momenten von Fülle und Glück. Es ging bergauf und bergab und ich hörte einfach nicht auf zu gehen, egal was kam.

      Das Leben trieb mich weg aus meinem Geburtsort und ich lebte mit einer Leidenschaft, die vom Feuer in mir vorangetrieben wurde. Wie ein naives Kind verbrannte ich mir die Finger immer wieder, weil ich alles ausprobieren und selbst spüren wollte. Ob Alkohol, Männer oder gefährliche Begegnungen und Unternehmungen, ich war dabei. Eine meiner ersten sexuellen Erfahrungen war eine Vergewaltigung in einer Lagerhalle. Aber ich steckte sie weg und lebte weiter als wäre nichts gewesen. Schließlich wusste ich, dass irgendwo da draußen auch gute Menschen sein müssten, ich musste sie nur erst finden. Erst als ich mein erstes Kind von einem Mann erwartete, der kriminell war und mich betrog und hinterging, hörte ich für eine Weile auf, mein Leben voranzutreiben und wurde langsamer. Ich trennte mich von ihm, brachte mein Kind alleine zur Welt und begann mich langsam wieder zu finden. Die Schwester legte mir dieses Kind in den Arm und es war, als ob es ein Laib Brot wäre oder ein Kubus aus Glas und Stein, fremdartig und verwirrend. Ich begann, es kennen zu lernen und lieben zu lernen und da kam so viel Liebe zurück, dass es mich überwältigte. Ich fand mich geborgen und beschützt in meiner Heimat wieder, in meiner Familie, als Mutter und als Frau. Niemals habe ich Sorge gehabt, dass ich versagen könnte oder das Kind nicht ernähren oder die Verantwortung nicht übernehmen könnte. Weiterhin nahm ich die Dinge wie sie kamen. Es war wie es war. Und es war gut. Da war ein Wesen, das mich bedingungslos liebte, das mir bedingungslos vertraute obwohl es mich nicht kannte. Es war aus dem Universum in meinen Schoss gefallen und nun lag es an mir, diesem Wesen die Welt zu zeigen. Und gleichzeitig begann ich die Welt anders wahrzunehmen, denn dieser kleine Säugling ließ mich aus seinen Augen sehen und ich selbst lernte dadurch meine Familie, meine Heimat und mich selbst neu kennen …

      Kapitel 4

      HEIMAT

      Opponitz liegt auf 422 Metern, eingebettet zwischen Bergen und Wäldern. Durchzogen wird das Tal von der Ybbs, vom Grün des Flusses, der sich still und smaragdgrün im Winter, tosend und braun wie eine unheilvolle Schlange bei Hochwasser im Frühjahr und dunkelgrün und zum Baden einladend im Sommer durch das Tal zieht. Der Fluss ist ein Teil von mir. Ich fließe ebenfalls. Ich denke nicht nach, wohin ich fließe und ich sehe die Steine nicht als Hindernisse. Sie sind eben da und ich suche mir meinen Weg. Manchmal tosend, rauschend, Wellen schlagend und dann wieder leise gluckernd und still. Weil ich wie der Fluss bin, schenke ich ihm manchmal Blüten oder Tabak oder Milch, ich setze mich an sein Ufer und schaue den Flussgeistern zu, wie sie tanzen und murmeln und Steine grummelnd vor sich her rollen. Ich respektiere den Fluss, weil er die Lebensader ist. Manchmal bitte ich den Fluss, etwas mitzunehmen was ich nicht mehr brauche. Oder ich bitte für jemanden der krank ist, dass er ihm die Krankheit mitnehmen soll. Dann schütte ich etwas Milch in die Ybbs oder wenn es etwas Eitriges ist, dann färbe ich die Milch mit Curry gelb und schütte die gelbe Flüssigkeit in den Fluss und sage: »Bitte nimm’s mit und bring’s wo hin, wo’s keinem schadet!« Ich sehe dann in meinen Gedanken wie die gelbe Flüssigkeit mit dem Eiter verbunden ist und vom Fluss mitgenommen wird und dann heilt das Eitrige. Solche Rituale sind auf vielerlei Arten möglich und nützlich. Und ich verwende für diese Rituale das, was mir gerade unterkommt. Manchmal ein Stück Holz das ich am Ufer finde, manchmal Blüten oder Blätter, Steine um die ich einen kleinen Zettel binde auf den ich den Namen der Krankheit schreibe und die ich dann in den Fluss werfe und so weiter. Der Fluss hilft mir bei meiner Arbeit. Er nimmt Dinge mit. Er bringt aber nach den Hochwassern im Frühjahr auch immer wieder Geschenke für mich. Zum Beispiel wundersame Steine oder gebogene Hölzer, die ich wiederum für die Heilarbeit verwenden kann.

      Der Fluss hat so etwas wie eine Flussgöttin. Sie besteht aus silbrig glänzenden Fischleibern und springt dann aus den Tiefen der Ybbs, lässt sich mit einem großen Platschen zurück ins Wasser fallen, wo sich ihr Körper in viele silberne Fische verwandelt und in alle Richtungen verteilt. Ich gehe davon aus, dass jeder Tropfen Wasser der sich im Fluss befindet etwas Heiliges ist, das es wert ist, beschützt und erhalten zu werden. Wenn wir Wasser trinken, sollten wir uns dessen bewusst sein, dass das Wasser heilig ist und vom Himmel fällt, auf die Berge tropft, durch Moose und Farne und Wälder nach unten rinnt und schließlich bei uns aus der Leitung kommt. Es ist nicht selbstverständlich, sauberes, klares Wasser trinken zu können. Wenn ich aus einem Glas trinke, dann halte ich das Glas mit dem Wasser kurz in meinen Händen und sage: »Liebes Wasser, bitte erinnere dich daran, wo du herkommst!«

      Dann erst trinke ich es und denke dabei an Bergquellen und Seen …

      Die Berge rundherum geben mir Geborgenheit. Sie sitzen wie mächtige weise Buddhas im Land und man kann sich an sie lehnen. Sie haben eine Kraft, die sich besonders dann zeigt, wenn man sie bezwingen will. Berge bezwingt man nämlich nicht. Man gibt sich ihnen hin! Erst wenn man sie zu Verbündeten macht, ist man ihnen ebenbürtig. Die Berggeister bekommen regelmäßig Opfergaben von mir, weil sie mich unterstützen, mich beschützen und mir gut gesinnt sind, wenn ich sie als Freunde betrachte und respektvoll behandle. Ich betrete sie und ich pulsiere mit der Erdenmutter in einem Takt, der jeden Schritt auf meinem Weg zu einem Trommelschlag macht, der mich innerlich Lieder der Kraft singen lässt und auch mein Herz durchflutet. Heimat, das ist nicht dort, wo du Arbeit hast oder wo du eine Wohnung gefunden hast, wo abends die besten Wirtshäuser geöffnet haben oder das Benzin am billigsten ist. Heimat ist dort, wo die Bäume dich schon als Kind spielen sahen, wo die Berge dich morgens begrüßen wenn du aus dem Fenster schaust, wo deine Seele zu klingen beginnt, wo deine Ahnen begraben liegen und du den Puls der Erde spüren kannst. Heimat schmeckst du in jedem Atemzug, du spürst sie, weil dein Körper dort nicht an seinen körperlichen Grenzen endet, sondern sich ausdehnt und verschmilzt mit der Umgebung, die dich liebt und die du liebst. Manchmal rollen im Ybbstal große Felsen und Steine von einem Berg, an dessen Fuß eine Straße gebaut wurde. Mit Fangseilen und Überdachungen wird nun immer wieder versucht, den Steinen Herr zu werden, die auf die Straße fallen. Ein alter Mann der früher in Opponitz lebte, saß einmal in der Ybbstalbahn neben mir, schaute auf den gegenüberliegenden Berg und sagte nachdenklich: »Jo, wenn ma im Berg den Fuass wegnimmt, dann fallt a immer wieder um«. (»Ja, wenn man dem Berg den Fuß wegnimmt, dann fällt er immer wieder um.«) Diese Steine sind natürlich gefährlich für die Menschen, die dort mit ihren Autos entlangfahren. Darum gehe ich zu diesem Berg und singe für ihn, sooft ich an ihm vorbeikomme. Ich singe: »Halt’s zamm deine Stoana, halt’s

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