Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman. Andrea Reichart
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Das Raunen war fassungsloser Stille gewichen.
„Wenn Sie mich nun bitte nach draußen begleiten wollen, damit Sie sich einen Eindruck vom Gelände und den Begebenheiten machen können?“
Die Handwerker zogen sich ihre Jacken über und schwiegen noch immer.
„Damit wir uns richtig verstehen: Jeder von Ihnen ist nur für sein Stück verantwortlich, aber ich möchte trotzdem, dass Sie hier bei mir als Team arbeiten. Reden Sie miteinander, kungeln Sie, wie die Kölner sagen, tauschen Sie sich aus, wo Sie Hilfskräfte herbekommen, seien Sie kreativ. Wenn der Zaun steht und der Hund nach einem Tag draußen keinen Weg raus gefunden hat und andere Hunde keinen Weg rein, dann lade ich Sie und Ihre Gattinnen hierher zum Essen ein. Darf ich fragen, wer von Ihnen einen Hund hat?“
Alle hatten Hunde.
„Und wer hat eine verträgliche Hündin?“
Nur einer der Schultes hatte eine Hündin, der Rest Rüden.
„Würden Sie Ihre Hündin dann mitbringen? Damit Nobbi auch Gesellschaft hat?“ Die Männer mussten lachen, und unter Scherzen und Schulterklopfen begab sich die Gruppe in den großen Garten.
Nobbi blieb zurück und hatte das Gefühl, als sei die Welt vielleicht nicht ganz so schlecht, wie er zu fürchten gelernt hatte. Er beschloss, abzuwarten und aufzupassen.
Kapitel 14
Jeder musste einmal essen, auch Norbert. Im Gegensatz zu seinem Hund gab er sich mit matschigem Rindfleischmüsli ungern zufrieden, als schob er nach dem Abzug der Handwerker eines der Fertiggerichte, von denen er einen Vorrat im Schrank hatte, in die Mikrowelle. Dann fütterte er den Hund und beobachtete, wie sich seine Frikadelle hinter der Scheibe der Erhitzungsapparatur mit jeder Umdrehung der Kunststoffschale mehr für die Soße und die Beilagen erwärmte.
Es lagen Welten zwischen der Esskultur, die Bettina gepflegt hatte und der Minimalversorgung, mit der er sich nun schon seit zwei Jahren zufrieden gab, wenn er in sein persönliches Outback fuhr. Auf seinen Geschäftsreisen ging er natürlich abends aus, manchmal mit Kunden, manchmal alleine. Er stellte ‚draußen‘ recht hohe Ansprüche an Qualität und war bereit, den Preis zu bezahlen. Wenn es eben möglich war, ging er zu seinem Lieblingsitaliener, bekam immer den kleinen Tisch in der Nische am Fenster, und las beim ungestörten Essen in einem Manuskript. Ein leises Klingeln signalisierte, dass sein Einheitsgericht ins Wohnzimmer getragen werden wollte, wo er sich am viel zu großen Esszimmertisch in die Lektüre von Claudias Büchlein vertiefte. Sein Hund hatte ihn aufmerksam beobachtet, nachdem er das eigene Mahl in Sekundenschnelle verschlungen hatte. Unaufdringlich aber höchst interessiert hatte er ihn nicht aus den Augen gelassen. War das Betteln? Wenn ja, dann erschien es Norbert recht zurückhaltend und sprach für die gute Erziehung, die der Hund genossen hatte. Na ja, wenn Claudia schon jedes Reh im Wald zu ihrem persönlichen Besitz erklärte, dann war sie sicher mit ihrem Essen nicht weniger zimperlich gewesen.
Zu seiner Überraschung gab es ein Kapitel über ‚Leckerchen‘. Norbert schüttelte den Kopf.
Wieso benutzten Hundehalter eigentlich immer diese verniedlichenden Ausdrücke? ‚Leckerchen‘, ‚Körbchen‘, ‚Weibchen‘, ‚Männchen‘, ‚Pfötchen‘, ‚Frauchen‘. Ihm bereitete der Gedanke, dass er nun ein ‚Herrchen‘ war, regelrechtes körperliches Unbehagen.
„Ich bettele nicht. Ich bin aber bereit, Kleinigkeiten aus deiner Hand anzunehmen, wenn du sie mit mir teilen möchtest. Mit Käsewürfelchen oder einem Stückchen Fleischwurst kannst du mich draußen zurücklocken, wenn du mich doch einmal laufen lässt. Denn manchmal wirst du weich, wenn wir Hündinnen begegnen.“
„Was denn nun? Laufen lassen oder nicht laufen lassen?“ Norbert hob eine Augenbraue. Diese Claudia schien nicht ganz sicher zu sein, was sie wollte.
„Wenn du morgens eine Banane isst, dann liebe ich es, wenn du mir jedes zweite Stück gibst. Dieses Teilen von Nahrung bindet uns aneinander, und ich liebe Claudia dafür, dass sie mir mit dieser Geste so viel Nähe demonstriert. Ja, ich liebe sie mehr als eine Banane.“
‚Na klasse‘, dachte Norbert zynisch. ‚Mein Hund liebt mich mehr als eine Banane‘. Der perfekte Satz für gehobenen Small Talk mit literarisch gebildeten Kunden.
„Ich bekomme außerdem täglich ein Schweineohr oder einen Ochsenziemer.“
Er bekam was? Ein Schweineohr? War das nicht ein Gebäck?
Seit wann durften Hunde Kuchen essen? Und was in Gottes Namen war ein Ochsenziemer?
„Du wirst immer einen kleinen Vorrat Fleischwurst oder Käse in der Tasche haben, was ich besonders dann mag, wenn du es dort vergessen hast und es bereits stinkt.“
„Schlampe!“ Norbert roch förmlich das verwesende Fleisch und schob instinktiv die Frikadelle zur Seite. Alleine die Vorstellung, er müsse in Zukunft Fleischwurst, die er hasste wie die Pest, so lange mit sich herumtragen, bis sie stank, schüttelte ihn. Und das Zeug dann noch anpacken und zulassen, dass die nasse Hundeschnauze es von seiner Hand leckte? Nein, danke! Jeder wusste, in welchen Unrat Hunde ihre Nasen steckten, und dass es in ihren Mundhöhlen und Gedärmen nur so von Würmern und anderen Parasiten wimmelte! Die warteten doch nur darauf, sich in vier Meter lange Bandwürmer zu verwandeln, Eier ins Gewebe zu legen und das Nervensystem anzuknabbern. Jeder, der ab und zu ‚Dr. House‘ gesehen hatte, wusste das.
Sein Appetit war ihm vergangen. Seine Fantasie hatte das fade Essen auf seinem Teller in eine Brutstätte für aggressive Mikroorganismen verwandelt.
Er stand auf, nahm die Reste seiner Mahlzeit und brachte sie in die Küche.
Nobbi lag in seinem Körbchen und schlief. Norbert bildete sich ein, der Hund habe bereits zugenommen, die Rippen stachen nicht mehr so deutlich hervor wie noch vor … meine Güte, hatte er ihn wirklich erst gestern aus dem Tierheim geholt?
Irgendwie schien etwas mit seinem Zeitempfinden nicht zu stimmen. Wahrscheinlich der Schlafmangel.
Was für ein Zeitempfinden hatten Hunde eigentlich? Wie lange erinnerten sie sich an etwas? Hatten sie ein Elefantengedächtnis? Oder lebten sie nur im Hier und Jetzt?
Was war diese Claudia nur für eine Person? Wo war sie hingefahren? Was war ihr bloß zugestoßen?
Norbert schloss das Büchlein und legte die Lupe zur Seite. Dann wechselte er hinüber aufs Sofa. Er war immer noch unglaublich müde, dabei war es erst früher Nachmittag. Gähnend schaltete er den Fernseher ein und zappte sich durch die Programme. Da, schon wieder eine Sondersendung über Asien, schon wieder diese Bilder von den Monsterwellen, die mehr als 200.000 Menschen an den Küsten des Indischen Ozeans zwei Tage nach Weihnachten in den Tod gerissen hatten.
Einer seiner Autoren war mit der Familie dort gewesen, hatte aber überlebt, mehr oder weniger unbeschadet. Ein Bekannter aus Köln hatte ein befreundetes Pärchen bei der Katastrophe verloren. Inzwischen waren die Leichen identifiziert