Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman. Andrea Reichart
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Dann das Angebot von Heike, eine ihrer Reisegruppen zu übernehmen. Vierzehn Tage Thailand, über Weihnachten und Neujahr, mit Rundreisen und viel Strand und Sonne.
Claudia blieb stehen und ließ Nobbi in Ruhe schnüffeln. Sie hatten die Runde fast geschafft. Da Kai und Silke in der Nähe wohnten, würden sie mit ihm dieselben Runden drehen. Mit etwas Glück würde er ihre Abwesenheit gar nicht richtig zur Kenntnis nehmen. Dasselbe Futter, der alte Hundekorb, sein Spielzeug, Freunde, die er seit Welpentagen kannte und vor allem dasselbe Revier.
Sie musste schmunzeln. Blödsinn, natürlich würde er sie vermissen, dafür waren sie einfach zu eng verbunden, sie beide. Sie waren ein Team, ein Traumteam, und einer konnte ohne den anderen nicht glücklich werden, da war sie sich sicher. Sonst hätte sie sich die Mühe mit seiner ‚Gebrauchsanweisung‘ ja nicht gemacht.
Gestern Nacht war sie damit erst fertig geworden. Ihren Kursteilnehmern riet sie, sich kurz zu fassen, wenn es um den Hund ging. Wenn niemand die liebevoll zusammengetragenen Tipps und Infos lesen wollte, dann stünde ihr Tier im Ernstfall nicht nur alleine in der Welt, sondern auch vor dem reinsten Kommunikations-Scherbenhaufen.
Das Format des Hunde-Büchleins war vorgegeben, es musste in den Impfausweis passen und sollte den Hund durchs Leben begleiten wie die Dokumentation seiner Krankengeschichte. Nur so konnte gewährleistet werden, dass er nicht bei jeder Umstellung, bei jedem neuen Besitzer – so tragische Fälle gab es ja schließlich – bei null anfangen musste. Claudia kannte Fälle, in denen man im Tierheim nicht einmal sicher war, wie ein Hund hieß, geschweige denn was er liebte und fürchtete. Und dann war es mit ihr durchgegangen. Um am Ende im Format zu bleiben, hatte sie den Text mit einer 6-Punkt-Schrift ausdrucken müssen. Eine Schriftgröße, die nur die Fittesten ohne Lupe lesen konnten.
Sie musste lächeln. Kai und Silke hatten gemeckert, als sie ihnen von dem kleinen Nobbi-Ratgeber erzählt hatte.
„Halloooo?“, hatte Silke mit hochgezogenen Augenbrauen gefragt. „Das könnte genauso gut unser Hund sein, so oft war er inzwischen hier! Wenn Kai nicht die Allergie hätte, würden wir ihn auch öfter nehmen.“
Kai war für Claudia ein Held. Er nahm zwei Wochen triefende Augen in Kauf, nur um seiner Frau und der Witwe seines besten Freundes einen Gefallen zu tun. Wahrscheinlich hatte er Angst, sie könnte in die längst überfällige Depression fallen, wenn zusätzlich zu all dem Theater des letzten Jahres nun auch die Unterbringung des Hundes zum Problem geworden wäre.
Heike hatte ihnen allen versichert, dass dies ganz sicher die einzige Reise wäre, bei der sie Claudias Hilfe benötigen würde. Ganz sicher! Claudia wusste, dass bei ihrer Chaosfreundin gar nichts sicher war, und im Stillen hoffte sie, dass wenigstens die Bezahlung reibungslos funktionieren würde. Sie brauchte das Geld so dringend!
Als sie die Wohnungstür aufschloss, murmelte sie „Warte!“ und hob den Finger. Nobbi rührte sich nicht von der Stelle, bis sie ihm grinsend ein Handtuch über den Körper gelegt hatte. Dann rubbelte sie ihn trocken und flüsterte „Das magst du, das Kuschelmuschel, nicht wahr, du guter Hund?“ Wie zur Bestätigung schloss ihr Vierbeiner die Augen und schmiegte den feuchten Kopf in das Handtuch, damit ihre Hände darin auch ganz sicher keine Stelle vergessen würden.
Dann fragte sie ihn „Hast du Hunger?“, und er raste ihr voraus in die Küche. Sie füllte seinen Napf mit Trockenfutter, ließ kaltes Wasser darüber laufen und hielt einen Zeigefinger hoch, den Nobbi aufmerksam beobachtete. Erst als sie ihn senkte, stürzte er sich auf das Futter und Claudia begann, für sich selbst zu sorgen.
Als sie sich einige Stunden später ins Bett legte und mit Kissen und Decke an die Wand rutschte, stieg der junge Rüde vorsichtig auf die Matratze, rollte sich neben ihrem Kopf zusammen und atmete tief aus.
Ihm war es vollkommen egal, warum die Koffer im Flur standen. Claudia lag neben ihm. Alles war gut.
Kapitel 3
Sie hatte die Koffer ins Auto geladen und seine Transportbox auch. Er würde mitfahren.
Er freute sich auf die Fahrt, wo immer sie hingehen würde. Fahrten mit ihr waren wunderbar. Er vertraute ihr. Es würde wieder schön werden. Er beeilte sich mit der Runde und ignorierte ihr ständiges „Langsam!“. Wieso wollte sie, so kurz vor einer Autofahrt, schlendern? Menschen! Er beeilte sich noch mehr. Es gab so viele Zeichen zu setzen, gerade jetzt, wo er nicht wusste, wann sie wieder zurück sein würden. Meine Güte, wie er sich freute!
So. Fertig. Das tat gut. Wie erwartet, drehte sie nach einem ‚Sehr gut‘ prompt um und ging zurück. Egal. Sollte sie jetzt ruhig ihren Willen haben. Aber Schlendern kam nicht in Frage. Er beeilte sich. Zurück, schnell zurück! Wenn sie es nur mal versuchen würde auf allen Vieren, sie würde sich nie wieder aufrichten. Fast hatte er sie vor ein paar Tagen soweit gehabt, aber sie hatte nur gekreischt und geschimpft und war sofort wieder aufgestanden. Meine Güte, sie konnte so stur sein.
Mach die Klappe auf, mach die Klappe auf! Ja, rein ins Auto, rein in die Box, hinlegen, freuen.
Sie zog den Reißverschluss zu, startete den Motor, fuhr los. Er seufzte und legte den Kopf auf die Pfoten.
Der Geruch seines Futters und seines Körbchens stiegen ihm in die Nase. Das war anders. Nicht beunruhigend. Sie war klug. Sie war bei ihm.
Ihr Geruch füllte seine Sinne. Durch ein Fenster strömte Luft. Laute Musik, sie sang. Sie sagte seinen Namen. Sie war bei ihm. Er freute sich. Sie war klug. Alles war gut.
Kapitel 4
„Nobbi!“ Silke streichelte den freudig an ihr hoch springenden Hund mit einer Hingabe, die Kai rührte.
„Lass die beiden doch erst mal reinkommen“, tadelte er seine Frau und hievte den schweren Futtersack aus dem Kofferraum.
‚Claudia hält sich an der Leine fest, als müsste sie Halt suchen‘, dachte Kai, als sie sich von ihrem Hund ins Haus ziehen ließ.
Er schloss hinter ihr die Haustür mit einer akrobatischen Fußbewegung und ließ den schweren Sack in der Küche gekonnt von der Schulter gleiten. Dann nahm er ihr den Mantel ab, nachdem sie den Hund von Leine und Geschirr befreit hatte, und folgte den Frauen ins Wohnzimmer.
Nun saß Claudia mit ihm am Tisch und beobachtete, wie ihr Hund mit Silke durch den winterlichen Garten tobte und die gelbe Frisbeescheibe mit den abenteuerlichsten Sprüngen fing. Er würde vollkommen erledigt sein. Das war gut. Er würde sich in sein Körbchen legen und schlafen.
Kai reichte Claudia ein Papiertaschentuch. Er hatte direkt zwei Pakete mitgebracht, als er merkte, dass sie die Fassung verlor. Wenn Silke weinte, dann schluchzte sie laut und herzerweichend, bebte in seinen Armen und ließ sich nur langsam beruhigen. Egal ob gerade Lassie in der dreißigsten Wiederholung immer noch nicht nach Hause fand, oder sein bester Freund bei einem Unfall getötet worden war. Unmöglich eigentlich, dass Frauen für Blödsinn und echte Tragik stets die gleichen Schleusen öffneten.
Claudia gab im Gegensatz zu Silke beim Weinen keinen Laut von sich. Das war mindestens ebenso beunruhigend. Auf Huberts Beerdigung war sie vollkommen geräuschlos in sich zusammengefallen, und als er sie aufgefangen hatte, war ihr Gesicht nass gewesen. Er hatte einen Sekundenbruchteil lang Blut gesucht aber nicht gefunden, stattdessen nur ein Tränenmeer, das nicht versiegen wollte, begleitet von einem Beben, das ihren Körper schüttelte. Was für ein Zirkus, damals. Ein Freund von Hubert war Gott sei Dank ohne Frau gekommen, der konnte sich um seine brüllende Silke kümmern, während