Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman. Andrea Reichart

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Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman - Andrea Reichart

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zu spät, er muss sich wehren, wehrt sich. Schmerz! Wut! Schmerz! Wut! Wut! Wut! Sie schreien, er zittert, der Große schreit. Eine Frau will ihn packen. Wut! Wut! Sie schreit! Schmerz! Wut! Er macht sich klein, weicht zurück, zurück, in die Ecke, knurrt, fletscht die Zähne. Schmerz. Er leckt sich, leckt das Blut weg. Seins und das des Großen. Alle sind weg. Er ist alleine. Nichts ist gut.

      Kapitel 8

      „Bitte wenden Sie jetzt!“

      Offensichtlich konnte selbst die aktuellste Navigationssoftware nichts gegen das Sauerland ausrichten.

      Er hatte mit Bettina in Gedanken einen Deal geschlossen.

      „Wenn ich den nächsten Autor unter Vertrag nehme, suche ich noch einmal dieses verdammte Tierheim. Aber das ist dann das letzte Mal. Danach kaufe ich, meinetwegen in der nächsten Pommesbude, einen Wellensittich. Denen kann man wenigstens das Sprechen beibringen.“

      Norbert überlegte, während er eine geeignete Stelle zum Wenden suchte. Wäre vielleicht sogar ganz nett, wenn irgendetwas antworten würde. Nicht, dass er sich dann weniger pathologisch vorkäme, aber er würde auf andere Menschen nicht mehr einen ganz so durchgeknallten Eindruck machen, wenn er mit sich selbst redete. Dann könnte er wenigsten auf einen Vogelkäfig zeigen und das Ganze ‚Unterricht‘ nennen. Es musste ja nicht gleich jeder wissen, dass er Zwiegespräche mit seiner toten Frau führte.

      Norbert besaß nun seit genau drei Jahren dieses Haus im Sauerland. Sie waren damals hierher gezogen, weil Bettina sich so in das Dorf verliebt hatte. Dann hatte sich der Krebs zurückgemeldet und sie am Ende mitgenommen.

      Eigentlich gab es keinen Grund, das Haus zu behalten. Und hierher zu fahren, hatte für ihn seit ihrem Tod immer einen faden Beigeschmack. Er hatte überlegt, es zu vermieten, aber alleine der Gedanke, alles auszuräumen, an dem Bettinas Herz gehangen hatte, erschien ihm unerträglich. Er fand auch niemanden in seinem oberflächlichen Bekanntenkreis, der hier mal ein Wochenende verbringen wollte. Kein Wunder, bei der Infrastruktur. Eine einzige, dicht befahrene Bundesstraße durchschnitt das atemberaubend schöne Hönnetal, und hirnrissiges Kurvenschneiden schien hier ein ganz besonderer Volkssport zu sein. Wenn dann zwei Verrückte bei ihrem Hobby aufeinander trafen, staute sich der Verkehr für Stunden. Ein Wunder, dass hier nur so wenige Kreuze am Fahrbahnrand standen.

      Bettina hatte trotzdem endlos schwärmen können von den wunderbaren Wäldern, egal zu welcher Jahreszeit. Ihm waren die norddeutsche Tiefebene und das Meer immer lieber gewesen.

      Seitdem seine Frau tot war, konnte er den Bäumen und halbwüchsigen Bergen einfach überhaupt nichts mehr abgewinnen, im Gegenteil. Die hohen Tannen auf seinem Grundstück sorgten für Dauerschatten und nadelten wie verrückt, und bei Sturm sah er sie in Gedanken wie Streichhölzer knicken und sich wie ein Mikadospiel auf seinem Dach verteilen.

      Er hätte auf Anhieb hundert Gegenden nennen können, die ihm mehr zusagten als das Hönnetal. Schöne Gegenden, in denen die Worte ‚öffentlicher Nahverkehr‘ einen Sinn ergaben, ländliche Gegenden, die LKWs mieden wie die Pest, Gegenden mit echtem Profil, wie Ostfriesland, der Witzkammer Deutschlands, die Eifel, Heimat unzähliger Mörder, oder – wenn schon Berge, dann wenigstes richtige – die Alpen. Aber das Sauerland? Beziehungsweise dessen Vorhof? Was, in Gottes Namen, war herausragend an dieser Gegend? Er hatte Zeit seines Lebens die Welt bereist und dennoch immer mit gewissem Wohlbehagen in Nordrhein-Westfalen gewohnt. Es kam ihm vor, als habe Bettinas Fixierung auf das Sauerland ihm das ‚Nordrhein‘ brutal entrissen und ihn am Ende mit diesem einsamen Haus in ‚Westfalen‘ zurückgelassen. Und nun? Würde er je verstehen, was sie daran so gereizt hatte? Vermutlich nicht.

      Norbert war daher so selten es ging dort und unterhielt stattdessen in Düsseldorf ein kleines, komfortables Appartement mit Büro, in Flughafennähe. Das erschien ihm sinnvoll. Ohne seine Frau fühlte er sich nirgendwo mehr zuhause. Da konnte er genauso gut im Ausland aus dem Koffer leben. Dort fühlte sich Fremdsein wenigstens nicht so einsam an.

      Wenn er nach einem Tag wie heute, der das Konto für Monate füllen würde, trotzdem erschöpft den Namen des Dorfes, das Bettina immer ‚Wunderschönhausen‘ genannt hatte, in den Navi eingab, dann nur, weil er das Gefühl hatte, er müsse sie mal wieder besuchen. Denn leider hatte sie darauf bestanden, in diesem Nest am Ende aller Träume beerdigt zu werden.

      Bettina hatte Bücher über das Landleben verschlungen, in denen Stadtneurotiker wie er, der gerade eine Rose von einer Tanne unterscheiden konnte, zu kollegialen Nachbarn mutierten, denen das Bier beim Grillen mehr zusagte als der Gang über eine Buchmesse, ach, mehr als ein Buch. Anfangs hatte er es sogar versucht, hatte ihr zuliebe gute Miene zum bösen Spiel gemacht und verzweifelt Stunden mit dem schwergängigen Handrasenmäher auf dem endlosen, hügeligen Grundstück verbracht, sich böse Sonnenbrände im Nacken geholt und sich am nächsten Tag vor Muskelkater nicht mehr bewegen können, während Bettina, leise und verträumt vor sich hin summend, mickrige Sonnenblumen zog und liebevoll die Beete am Haus bemutterte.

      Dass sie dann kurz nach dem Umzug schon mehr Zeit in Kliniken als im neuen Zuhause verbrachte, hatte dazu geführt, dass der einzige Nachbarschaftskontakt, den er in drei Jahren aufgebaut hatte, der zu dem direkten Nachbarn nebenan war, der inzwischen mit seinem Aufsitzmäher sein Grundstück für ihn mähte und während seiner Abwesenheit zuverlässig nach dem Rechten sah. Jürgen. Jürgen Schulte.

      Irgendwie schien jeder zweite in diesem Dorf Schulte zu heißen, ein Grund vielleicht, warum Bettina es so witzig gefunden hatte, gerade hierher zu ziehen. Der Blick ins Telefonbuch konnte sie selbst dann noch zum Lachen bringen, als es ihm längst im Hals stecken geblieben war.

      Norbert zwang seine Gedanken zurück in den Straßenverkehr. Oder besser: in das Gewirr von Waldwegen. Vielleicht hielten sie in diesem Tierheim besonders berühmte Hunde und hatten es deshalb so versteckt? Er seufzte, als nach endlosem Schleichen über schmale Sträßchen zwischen den Fichten endlich ein Gebäude auftauchte. Und ein Hinweisschild! Direkt vor der Tür. Wie sinnlos und unpraktisch. Wie typisch für diese Gegend. Norbert parkte und stieg aus. Es regnete mal nicht, dafür war aber Schnee angesagt. Es war Ende Januar, natürlich lag noch keine Spur von Frühling in der Luft. Er seufzte. Es dämmerte bereits, aber offensichtlich war noch jemand im Tierheim. Licht schimmerte schwach durch die Fenster, und Norbert wunderte sich, dass es hier überhaupt Strom gab. Irgendwo hörte er Hunde jaulen und bellen.

      ‚Hoffentlich ist das nicht wieder nur so eine Auffangstation für Kampfhunde‘, dachte er, als er das Gebäude betrat. Seine Odyssee hatte ihn in den letzten Jahren an die seltsamsten Orte geführt.

      „Kann ich Ihnen helfen?“ Die streng blickende Frau hinter dem kleinen Empfangstresen schien ihn mit einem Blick einzuschätzen. Anzug-Typ, Anfang fünfzig, jung genug für einen Hund, unsicher, Anfänger.

      „Ich interessiere mich für einen Hund“, sagte Norbert, um gleich klarzumachen, dass er unter keinen Umständen mit einer Katze oder einem Kaninchen nach Hause gehen würde.

      „Möchten Sie sich mal umsehen? Oder bewerben Sie sich für eines der Tiere, die wir im Fernsehen vorgestellt haben?“ Norbert konnte es nicht fassen, dass man hier bereits den Anschluss an modernste Vermarktung gefunden hatte. Sie waren clever genug, um zur besten Sendezeit in jedes Wohnzimmer zu flimmern, aber nicht pfiffig genug, Hinweisschilder dort anzubringen, wo sie einem Interessenten helfen würden, sie zu finden?

      „Ich würde mich gerne umsehen.“

      „Na, dann kommen Sie mal mit.“ Sie führte ihn zu den Zwingern.

      „Stecken Sie bitte nicht die Finger durch die Gitter. Nicht alle Hunde sind so friedlich, wie sie aussehen“, riet sie, ehe sie ihn verließ. „Nehmen Sie sich ruhig

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