Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman. Andrea Reichart

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Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman - Andrea Reichart

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ja in Zukunft überall mit hinnehmen müssen, konnte den armen Kerl ja nicht alleine zuhause liegen lassen. ‚‚Mein Hund‘, das klingt gut‘, dachte Norbert zufrieden und verdrängte ohne Mühe, dass er im Grunde nicht den blassesten Schimmer hatte, wie man mit Hunden umgehen musste.

      „Lern was darüber“, hatte Bettina ihn immer wieder angefleht, „bereite dich vor. Tu es mir zuliebe, ja?“

      Norbert gehörte nicht zu der Sorte Männer, die ihrer sterbenden Frau einen Wunsch abschlagen konnten, und als er ihr nicht nur endlich versprochen hatte, sich einen Hund zuzulegen, sondern auch noch, das Thema richtig ernst zu nehmen, hatte er gemerkt, wie sie sich entspannte, so als habe sie es endlich geschafft, für ihn die bestmögliche Vorsorge zu treffen.

      Es gab so viel, was sie verbunden hatte, aber nach ihrem Tod hatte er immer dann das Gefühl, sie sei ihm besonders nahe, wenn er sich mit dem Thema ‚Hund‘ beschäftigte. Vor allem dieser witzige Hundepsychologe im Fernsehen hatte es ihr angetan. Quasi ‚in Memoriam‘ versuchte Norbert nun seit ihrer Beerdigung keine seiner Sendungen zu verpassen. Vermutlich noch so etwas, worüber sich ein Psychologe erfreut die Hände gerieben hätte. Manchmal meinte er nämlich, Bettina zu hören, wenn sie nickend „Genau!“ rief, sobald er wieder irgendeinen Tipp gab, der aus einem Wolf ein Lamm machte. Und irgendwie schien sie ihm dann einfach weniger verloren gegangen zu sein.

      Norbert hatte sogar angefangen, Karten für die Veranstaltungen zu kaufen, mit denen dieser Typ tourte. Bei der ersten Show hatte er zwischen gut achthundert begeistert lachenden Hundefans in einem Theater gesessen und gehofft, niemand würde ihn ansehen und merken, wie ihm die Tränen in den Hemdskragen liefen. Bettina hatte sich immer gewünscht, ihn live zu erleben, aber dazu war es nicht mehr gekommen. Nun ließ Norbert keinen Auftritt aus und kam sich vor wie ein Groupie, wenn er um Karten anstand, sich in den Pausen an Büchertischen hin- und herschubsen ließ und nach langen Arbeitstagen zuhause sein ‚Der tut nichts‘-T-Shirt anzog.

      Als er merkte, dass die Tierheim-Formalitäten doch länger dauern würden, sorgte Norbert dafür, dass man ihn zu dem Tier ließ, es anleinte und ihm übergab. Sollte es ruhig dabei sein, wenn er die womöglich wichtigste Weiche seines Lebens stellte.

      Und so hatte der magere Hund, vor dem sie hier alle seit der Beißerei einen Heidenrespekt hatten, in aller Gemütsruhe dicht neben seinem Bein gelegen, während er dort saß und Gespräche mit der Tierheimleitung führte, Geld überreichte und Zubehör quittierte, das die Vorbesitzer, diese Lumpen, ihm hinterlassen hatten.

      „Wenn Sie mit den Vorbesitzern Kontakt aufnehmen möchten, sind wir befugt, Ihnen die Kontaktdaten zu übergeben“, sagte die Dame. Sie lächelte den Hund an, der sie aufmerksam beobachtete.

      „Nein, danke“, sagte Norbert und fühlte Groll in sich aufsteigen.

      „Was sind das bloß für Leute, die ihren Hund einfach abgeben!“

      „Urteilen Sie nicht voreilig. Es gibt immer Situationen im Leben, die eine solche Entscheidung erzwingen können“, formulierte sie vage und erinnerte sich an den Tag, als man ihr das Tier übergeben hatte. Wenn er allerdings keine Informationen haben wollte, auch gut. Dann würde sie auch keine Details ausplaudern.

      „Können die den Hund zurückfordern?“, fragte Norbert.

      „In diesem Fall kann ich Ihnen versichern, werden sie das nicht tun.“

      Norbert konnte sich gut vorstellen, wie Bettina spukend über ihn herfallen würde, sollte er auf die Idee kommen, diesen Hund je wieder hierher zurückzubringen, aber das erzählte er lieber nicht. Seit er seinen Namensvetter an der Leine hielt, hatte er das Gefühl, als habe er endlich das wichtigste Versprechen seines Lebens eingelöst. Er hoffte nur, dass ihm mit der Zeit einleuchten würde, warum sie so viel Wert darauf gelegt hatte.

      „Können Sie mir etwas über den Hund sagen?“, fragte Norbert und vermied es, das Büchlein zu erwähnen, das er in seine Anzugtasche gesteckt hatte. Man hatte ihn bei der Übergabe des Impfausweises nicht danach gefragt, und er hätte seine rechte Hand verwettet, dass niemand von seiner Existenz wusste.

      „Nun“, begann die Tierheimangestellte langsam. „Er hat sehr sensibel reagiert, als er hier ankam. Eigentlich sollte er auch kastriert werden, aber dann gab es gestern diese böse Beißerei …“

      „Er sollte was?!“ Norbert fühlte einen messerscharfen Schmerz in den Lenden.

      „Wir kastrieren normalerweise alle Hunde sofort, das ist besser so. Sie sollen sich ja nicht unkontrolliert fortpflanzen. In seinem Fall“, sie wies auf Norberts Begleiter, „hatten wir auf Wunsch der Vorbesitzer aus bestimmten Gründen“, sie dehnte die Worte vorsichtig, um nicht mehr auszuplaudern als sie für richtig hielt, „noch ein wenig damit gewartet. Sie können ihn aber gerne noch ein paar Tage hierlassen, das erledigen wir dann noch.“

      „Kommt nicht in Frage!“ Norbert schüttelte energisch den Kopf. Dann lenkte er vorsichtshalber ein. „Jedenfalls nicht jetzt sofort.“ Besser, er stellte sich kooperativ und verständnisvoll.

      ‚Meine Güte, wie bestialisch‘, behielt er seine Gedanken lieber für sich und streichelte dem neben ihm liegenden Tier mitfühlend den Kopf.

      „Nun, wie ich sagte, ehe wir ihn kastrieren lassen konnten, gab es gestern im Freilauf eine ziemlich üble Beißerei. Er hat seinen Gegner böse zugerichtet und eine Mitarbeiterin angegriffen, die die Hunde trennen wollte. Das hat uns gewundert. Er wirkte so friedlich und zurückgezogen. Offensichtlich scheint er sich also mit anderen Rüden nicht zu verstehen. Viel mehr kann ich Ihnen leider nicht erzählen, mehr haben wir nicht getestet. Personalmangel, Sie verstehen.“

      Er verstand sehr wohl. Nichts wie weg hier.

      Jemand half ihm, die bewegliche Transportbox auf die Rückbank des Autos zu quetschen, dann wurde alles andere in den Kofferraum gelegt.

      „Ich komme mit raus und helfe Ihnen, den Hund in die Box zu schaffen“, bot der Tierarzt an, der mit ihm das Tierheim verließ. Die Seitentür des Wagens stand noch offen, aber bevor einer von beiden auch nur eine Bewegung machen konnte, war der Hund in den Wagen gesprungen und hatte sich geschickt mit einigen Drehungen in die Box und in eine gemütliche Position gebracht.

      „Also“, schmunzelte der Tierarzt, „eins wissen wir jetzt. Der hat keine Probleme mit dem Autofahren!“ Dann drückte er Norbert eine Visitenkarte in die Hand. „Ich habe natürlich eine Praxis. Wenn Sie also die Wunde nachsehen lassen wollen oder mal Hilfe brauchen ...“

      Norbert warf einen Blick auf die Karte. Dr. Schulte. Na klar. Das hätte Bettina nicht nur gefallen, sondern begeistert. Sie hatte immer an ‚Zeichen‘ geglaubt und sie auch überall gesehen. Namensgleichheiten hatten es ihr besonders angetan. Dass er nun nach zweijähriger, vergeblicher Hunde-Suche das bestversteckte Tierheim Deutschlands mit einem Hund namens ‚Norbert‘ verließ und Kontakt zu einem Tierarzt namens ‚Schulte‘ hatte, hätte ihr sehr gefallen.

      „Tja, dann, herzlichen Dank für Ihre Hilfe!“

      „Keine Ursache. Bin froh, dass der arme Kerl ein neues Zuhause gefunden hat, ehrlich. Wenn ich nicht schon drei hätte, wäre der inzwischen bei mir.“

      „Auch wenn er nicht gut auf Rüden reagiert?“

      „Man sollte immer fragen, wer der Gegner war, ehe man solche Rückschlüsse zieht. Der andere ist nicht ohne. Ist einfach schon zu lange hier.“ Er schaute nochmal in die Box, sagte „Machs gut, Norbert!“, dann ging er zu seinem eigenen Wagen. „Gute Fahrt!“

      Norbert

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