Alles beginnt und endet im Kentucky Club. Benjamin Alire Saenz

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Alles beginnt und endet im Kentucky Club - Benjamin Alire Saenz

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lachte. »Sie beobachten mich.«

      »Beobachten?«

      »Wenn Sie ins Café kommen, beobachten Sie mich.«

      »Sie wirken immer so selbstvergessen.«

      »Interessantes Wort. Höre ich zum ersten Mal.«

      »Ich meine, Sie scheinen nichts wahrzunehmen, abgesehen von dem Buch, das Sie gerade lesen.«

      »Carlos, ich nehme durchaus einiges wahr.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht.

      »Das heißt, Sie beobachten mich auch.«

      »Ja.«

      »Und warum?«

      »Warum nicht?«

      »Javier, Sie sind ein schöner Mann. Und ich? Nicht besonders schön. Ihr Englisch ist perfekt.«

      »Perfekt, aber mit einem Akzent.«

      »Was es sogar noch perfekter macht.«

      »Sie sind etwas Besseres als schön«, sagte er.

      »Was kann schon besser sein als schön?«

      »Interessant. Interessant ist viel besser als schön.« Er streckte die Hand aus und strich mit dem Finger über meine Wange. Seine Hände waren rau. Seine Finger schwielig.

      Vielleicht spielte er ja Gitarre.

      Ich hätte gern seine Finger geküsst.

      »Sie sind still«, sagte er.

      »Wenn ich nichts sage, bleibe ich interessant.«

      Er fuhr mit den Fingern durch mein grau meliertes Haar.

      »Ich bin älter als du«, sagte ich. Er küsste mich.

      Ich erwiderte den Kuss.

      4

      Wir saßen auf dem Balkon, tranken unseren Kaffee – und lauschten dem Regen.

      »Ich weiß nichts von dir«, sagte ich.

      »Was willst du wissen?«

      Also erzählte er. Wie er sich um seinen Onkel kümmerte, der Lungenkrebs hatte und bald sterben würde, wie er geholfen hatte, seine gelähmte Tante zu betreuen. Dass er jedes Wochenende aus Juárez herkam – von Freitagabend bis Sonntagabend – und zwischendurch, wann immer es ging. Dass er als Chauffeur für das amerikanische Konsulat in Juárez arbeitete, dass er bei Onkel und Tante gelebt hatte, die in der Florence Street wohnten, damit er zur Schule gehen konnte, und dass man sie für seine Eltern gehalten hatte, dass er ganze zwölf Jahre lang an den Wochenenden nach Hause gefahren war, um bei seiner Mutter zu sein, einer Sozialarbeiterin, die sich leidenschaftlich für Transvestiten eingesetzt hatte, wie sein Vater umgebracht worden war und vielleicht eine weitere Familie in Chicago oder Los Angeles oder Chihuahua zurückgelassen hatte (ich war nicht der einzige, der sich Geschichten über andere Leute ausdachte). Dass seine Tante an Krebs gestorben war und er seinem Onkel geholfen hatte, sich um alles zu kümmern, und dass er sich jetzt um ihn kümmerte. Aber nur an den Wochenenden.

      »Hast du ihn gern?«

      »Er war gut zu mir. Meine Tante war streng, aber er nicht. Er war weich. Kann man das so sagen? Weich?«

      »Sanft, ja.« Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn. Mein Gott, wie schön er war. Dies war nicht bloß eine Geschichte, die ich mir ausdachte.

      »Meine Tante, die mochte ich nicht.« Er zog eine Zigarette aus der Tasche. »Stört dich das?«

      »Nein, überhaupt nicht.«

      »Willst du auch eine?«

      »Ich hab vor Jahren aufgehört.«

      »Warum?«

      »Weiß nicht mehr.«

      »Bist du einer, der bei gewissen Dingen unter Gedächtnisschwund leidet?«

      »Cuando me conviene.« Er lachte.

      Ich sah zu, wie er sich die Zigarette anzündete. Und erinnerte mich daran, wie einmal eine Frau in einer Bar auf mich zugekommen war, als ich gerade eine Zigarette rauchte, und mir gesagt hatte, ich sei schön. Sie küsste mich. Ich ließ ihre Zunge eine ganze Weile in meinem Mund. Sie schmeckte nach Cognac und Kirschen.

      Er blies den Rauch aus der Nase. »Bist du sicher, dass du nicht wieder mit dem Rauchen anfangen willst?«

      »Ja. Ich will etwas Neues anfangen, etwas, das ich noch nie gemacht habe.« Ich sah ihm beim Rauchen zu. »Du hast deine Tante also nicht gemocht.«

      »Ich hab sie nicht gemocht – aber ich hab sie geliebt. Sie war so streng gegenüber anderen.«

      »Manche Leute sind so«, sagte ich.

      »Du nicht«, sagte er.

      »Woher willst du das wissen?«

      »Ich hab deine Bücher gelesen.«

      »Das sind bloß Bücher. Du weißt nichts über mich.«

      Er drückte seine Zigarette aus. Fuhr mit den Fingern durch mein grau meliertes Haar. Dann küsste er mich. »Ich denke mir Geschichten über dich aus«, sagte er.

      Heute wünschte ich, ich hätte ihm erzählt, dass auch ich mir Geschichten über ihn ausdachte.

      5

      »¿Tienes hambre? Ich könnte etwas kochen.«

      »Irgendwie wusste ich, dass du gern kochst.«

      »Gehört das zu den Dingen, die du dir ausgedacht hast?«

      »Nein, aber in deinen Büchern wird immer viel gekocht.«

      »Tja, alle müssen essen. Sogar die Leute in Romanen.« Er lachte. »Ich mag die Leute in deinen Romanen.«

      »Die meisten von denen sind am Arsch.«

      »Gerade das mag ich an ihnen.« Er schaute auf seine Uhr.

      »Eine schöne Uhr.«

      »Sie hat meinem Vater gehört.«

      »Musst du los?«

      Er nickte. »Zurück zu meinem Onkel. Wir essen jeden Sonntag zusammen.«

      »Gehst du mit ihm essen?«

      »Die Zeiten sind vorbei. Dabei ist er immer gern ausgegangen. Hat viel gelacht und mir erzählt, wie das Leben früher für ihn war. Jetzt bleibt er zu Hause. Weil er Angst hat. Früher hatte er vor nichts Angst, nur vor

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