Der Jahrhundertroman. Peter Henisch
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Doch dann war ihr Studium wahrscheinlich im Sand verlaufen oder es war etwas dazwischengekommen. (Ein Mann, ein Kind, eine Ehe, eine Scheidung, eine Depression.) Darüber wollte Frau Resch aber nicht gern reden. Die zwei oder drei Mal, als Lisa sie doch darauf ansprechen wollte, wandte sie sich rasch ab und ging in die Küche.
Wie flink Sie tippen! sagte Herr Roch. Das könnte ich nie.
Er habe immer nur mit zwei Fingern getippt. Wenn es nötig war. In seinem früheren Leben. Aber das liege schon ein paar Jahre zurück.
Den Roman jedoch habe er natürlich mit der Hand geschrieben. Es war ihm wichtig, die Gedanken direkt vom Kopf in die Hand fließen zu lassen. Leider hatte er dann seinen Schlaganfall gehabt. Mein Schlaganfall, sagte er. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der er von seinem Roman sprach.
Mit dem er nun, sagte er, wieder in Schwung kommen wolle. Wobei ihm Lisa entscheidend helfen könne. Indem sie vorerst abtippe, was schon vorliege. Zwei Euro pro Seite. Das sei doch ein faires Angebot.
Hallo, liebe Semira, tippte Lisa,
sorry, dass ich mich so lang nicht gerührt hab. Liegt daran, dass ich eine Weile gebraucht hab, um mich auf die Situation hier in Wien einzustellen. Hab an der Uni inskribiert und einen Platz in einer WG gefunden.
War und ist aber beides nicht ohne Probleme. Also die Uni: nichts als Hektik am Anfang. Z.B. hätte ich beinah den Anmeldetermin für so ein blödes Proseminar versäumt. Und dabei war es wichtig, ausgerechnet in dieses Proseminar hineinzukommen.
Sonst verlierst du gleich Zeit, bist, kaum dass du zu studieren angefangen hast, schon im Rückstand. Hat Ronnie gesagt, der mir gerade noch rechtzeitig über den Weg gelaufen ist. Oder bin ich ihm über den Weg gelaufen? Ist eine Frage der Perspektive, nicht wahr? Jedenfalls ist er bereits im dritten Semester und kennt sich aus. Nicht nur an der Uni kennt er sich aus, sondern auch in der Stadt. Ronnie kennt nicht nur nur billige Mensen und Shops. Er kennt auch jede Menge coole Lokale.
Außerdem hat er mir ja ganz gut gefallen. Mit seiner ständigen Besserwisserei ist er mir aber schon bald auf die Nerven gegangen. Und vielleicht war es doch keine so gute Idee, gleich mit ihm in diese WG zu ziehen. Wo wir zwar zwei durch einen Gemeinschaftsraum getrennte Zimmer haben, aber anfangs oft in einem Bett gelandet sind.
Der Job, den ich hier gefunden habe, ist aber okay. Kellnerin in einem Kaffeehaus im 17. Bezirk. Ein Job, bei dem ich mir die Arbeit einigermaßen einteilen kann. Halbwegs kompatibel mit den Vorlesungen, die ich besuchen muss.
Die Chefin (Fr. Resch heißt sie) hat Verständnis dafür. Aber was sie mir zahlen kann, ist nicht viel. Einen kleinen Zuschuss könnt ich schon brauchen. Hab um Studienbeihilfe angesucht, doch ob ich die bekommen werde, ist alles andere als sicher.
Mein Vater verdient zu gut, und dass ich kein Geld mehr von ihm nehmen will, ist eigentlich Privatsache. Die Kolleginnen in der Beratungsstelle der Hochschülerschaft haben gemeint, ich kann das ja als Anmerkung ins Einreichungsformular schreiben. Aber vorgesehen ist so etwas nicht. Jetzt kann ich bis auf Weiteres nur abwarten.
Da ist allerdings ein Gast im Café, der mir einen Nebenverdienst anbietet. Herr Roch. Ein alter Mann. Nach einem Schlaganfall ein bisschen beschädigt. Ich könnte, sagt er, etwas für ihn abtippen. Doch ich weiß nicht recht, ob ich darauf eingehen soll.
Aber jetzt schreib ich schon wieder viel zu lang von mir. Und von meinen vergleichsweise kleinen Problemen. Wie geht es dir? Dass du jetzt noch ein Jahr in unserer alten Schule absitzen musst, ist echt blöd. Aber im Mai machst du die Matura und vielleicht kannst du ja dann auch nach Wien kommen.
Immerhin ist ja alles noch halbwegs gut ausgegangen, oder? Hauptsache ist doch, dass die leidige Geschichte mit eurem Bleiberecht nun geklärt ist. Hoffentlich gehts deiner Mutter jetzt etwas besser! Du wirst sehen, es wird alles gut.
Was schreiben Sie, Fräulein Lisa? fragte der Herr Roch.
Nichts Interessantes, sagte sie. Etwas für die Uni, log sie.
Tatsächlich sollte sie etwas für die Uni schreiben. Aber immer, wenn sie dazu ansetzte, verlor sie schon nach wenigen Sätzen den Faden.
Dann tippte sie unversehens ganz etwas anderes. Manchmal einfach nur, was sie an so einem langen Vormittag im Café Klee hörte und sah. Wie draußen der Regen rauschte. Wie die Pendeluhr tickte. Wie der Luster mit den Krakenarmen zitterte, wenn ein schweres Auto vorbeifuhr.
Etwas für die Uni also, sagte der Herr Roch.
Mit seinen trockenen Lippen lächelte er.
Er lächelte, als ob er ihr nicht glaubte – oder lächelte er, als ob er wüsste?
Dieser Herr Roch ging ihr manchmal ganz schön auf die Nerven.
Schon weil er sie permanent mit Fräulein anredete. Das ist doch, sagte sie, eine Anrede von vorgestern. Schon möglich, sagte er, vielleicht bin ich auch von vorgestern. Aber sehen Sie, es gibt mich noch immer.
Fräulein Lisa, sagte er. Liebes Fräulein Lisa! Haben Sie sich mein Angebot durch den Kopf gehen lassen? Was zögern Sie noch? Was ist das Problem? Zwei Euro pro Seite. Können Sie die nicht brauchen?
Ja, warum zögerte sie noch? – Also zuerst, sagte sie später, war da so ein Bauchgefühl. Einmal abgesehen davon, dass der Typ sie nervte. Eine Ahnung, dass sie sich damit etwas einbrocken würde. Eine Suppe, die sie vielleicht nicht so gern auslöffeln wollte.
Und dann war da sein Gerede von diesem Roman. Manchmal nannte er diesen Roman sogar seinen Jahrhundertroman. War das sein Ernst? Erwartete er, dass sie das ernst nahm? War das nicht geradezu ein Indiz dafür, dass sowohl mit dem Mann als auch mit dem Manuskript, von dem er sprach, etwas nicht stimmte?
Okay, wenn er sie dafür bezahlte, hätte sie, ohne lang zu fragen, auch das Telefonbuch abtippen können. Seine schriftstellerische Kompetenz konnte ihr doch egal sein. Aber schließlich hatte sie Germanistik inskribiert, weil sie ein gewisses Interesse an Literatur hatte. Und das war ihr nach den ersten sechs, sieben Wochen Uni noch nicht ganz vergangen.
Ist der Herr Roch ein Autor? fragte sie die Chefin.
Der? Ein Autor? – Hören Sie zu, Lisa: Dieser Herr ist vor allem ein Dampfplauderer!
Nun schloss ja das eine das andere vielleicht gar nicht aus. Und Dampfplauderer – das klang ja beinahe harmlos.
Doch die Frau Resch fügte diesem Urteil noch etwas hinzu:
Passen Sie auf, Lisa, lassen Sie sich von dem nicht einwickeln!
Und dann erhob sie ganz ungewohnt laut ihre Stimme:
Das wollte ich Ihnen ohnehin schon längst sagen, Lisa, der Herr Roch ist ein Stammgast und es ist gut, wenn Sie angemessen freundlich zu ihm sind, aber es ist besser, wenn Sie dabei eine gewisse Distanz wahren!
Eben. Obwohl Lisa der Ton, in dem die Chefin das gesagt hatte, etwas übertrieben vorkam, fand sie ihr Bauchgefühl