Der Jahrhundertroman. Peter Henisch

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Frau Resch da war – dann trat sie an den Tisch des Herrn Roch, stellte ihm hin, was er bestellt hatte, lächelte, aber ließ sich auf kein längeres Gespräch ein. Bloß war die Frau Resch bald immer weniger da.

      In den ersten Wochen, die sie im Café Klee aushalf, hatte Lisa sich manchmal gefragt, warum diese Frau sie überhaupt eingestellt hatte. Für das wenige, das im Café Klee zu tun war, wäre keine Aushilfe nötig gewesen. Worum ging es ihr also, der Frau Resch? Ging es ihr darum, nicht ganz den Kontakt zur jüngeren Generation zu verlieren? Schon möglich. Aber nun stellte sich heraus, worum es ihr noch ging.

      Nach zwei, drei Tests, durch die sich erwies, dass sie dem Mädel das spärlich besuchte Lokal für eine gewisse Zeit allein überlassen konnte, blieb sie länger und länger weg. Unternahm nicht nur immer ausgedehntere Shoppingtouren, sondern hatte schon bald Termine bei der Friseurin, bei der Kosmetikerin, im Fitnesscenter, im Bräunungsstudio. Und der Herr Roch bekam das natürlich bald mit. Immer öfter tauchte er gerade dann auf, wenn Frau Resch soeben gegangen war.

      Na, so etwas! sagte er dann etwa, nachdem er an seinem Tisch in der Ecke Platz genommen hatte. Ist Ihre Chefin schon wieder ausgeflogen! Na ja, sie will sich halt auch noch ein bisschen des Lebens freuen. Solang noch das Lämpchen glüht. Was meinen Sie, Fräulein Lisa – hat sie einen Freund?

      Weiß ich doch nicht, sagte sie. Interessiert mich auch nicht.

      Wirklich nicht? sagte er. Aber das wäre doch hübsch! Na, jedenfalls kann sie sich jetzt etwas mehr entfalten. Seit Sie, Fräulein Lisa, da sind. Das ist ja ein Glück!

      Nicht nur ein Glück für die Frau Resch – auch und besonders für die Gäste. Speziell vom ästhetischen Standpunkt aus betrachtet. Bedauerlicherweise sehe ich ein bisschen schlecht. Aber dafür hab ich trotzdem einen Blick.

      Er nahm die Brille ab und putzte sie. Zwinkerte mit seinen Maulwurfsaugen. Fräulein Lisa. Sie sind ein Sonnenstrahl! Vor Ihnen haben nur alte Weiber hier ausgeholfen.

      Jetzt hören Sie aber auf! sagte sie. Ihre zweifelhaften Komplimente können Sie sich sparen. Überhaupt Komplimente! Die kommen in meiner Generation nicht mehr an.

      Tatsächlich? sagte er. Das ist aber auch ein bisschen schade, oder?

      Was weiß ich?! sagte sie. Sie fand diese Bemerkung ärgerlich.

      Ja, er nutzte diese Stunden, der Herr Roch. Nicht nur, um sie anzubraten, sondern auch für etwas anderes. Wenn sie an ihrem Tisch vor dem Laptop saß und tippte, hörte sie ihn in den Zeitungen blättern. Manchmal blätterte er sanft, manchmal blätterte er heftig, aber ab und zu hörte sie auch das leise Geräusch, das er verursachte, wenn er eine Seite herausriss.

      Manchmal tat er das auch, wenn Frau Resch da war. Aber dann ging er dabei behutsamer vor. Langsam, langsam, gewissermaßen in Zeitlupe. Wenn nur Lisa da war, glaubte er offenbar, er müsse sich nicht so sehr zurückhalten.

      Oder er hatte es darauf angelegt, dass sie davon Notiz nahm und irgendwann einmal darauf zu sprechen kam. Eine Weile versuchte sie es noch zu ignorieren. Aber dann, eines Donnerstagnachmittags, als Frau Resch wie üblich in der Bräunungsröhre lag und daher kaum vor fünf zu erwarten war, ging sie ihm doch auf den Leim.

      Sie brauchen nicht zu glauben, dass ich das nicht merke! sagte sie.

      Glaub ich auch nicht, sagte er. Aber Sie werden mich nicht verraten.

      Nein, sagte sie. Das ist nicht meine Art. Aber warum tun Sie das?

      Wenn Sie sich zu mir setzen, sagte er, werde ich es Ihnen erklären.

      Also, die Sache ist die, sagte er und dämpfte die Stimme, obwohl niemand sonst im Raum war. Mein Jahrhundertroman ist ja ein Roman, der in der Vergangenheit, nämlich vor hundert Jahren, beginnt, aber in der Gegenwart endet. Und nun ist es so: Was die Vergangenheit angeht, so hat man ja alle möglichen Quellen. Aber was die Gegenwart betrifft, die ich ja auch irgendwie einfangen will, ja, muss, denn ich will ja diese beiden Zeitebenen zueinander in Beziehung setzen, brauche ich dazu natürlich auch gewisse Materialien.

      Verstehe, sagte sie, zum Beispiel Zeitungsartikel.

      Das habe ich mir gedacht, sagte er, dass Sie mich verstehen – Sie schreiben ja auch.

      Wie kommen Sie darauf? sagte sie.

      Aber das merke ich doch! sagte er. Ich bin zwar etwas kurzsichtig, aber nicht blind.

      Wenn Sie da drüben sitzen, nur ein paar Meter von mir entfernt, und tippen … Wie Sie dabei dreinsehen, wie Sie atmen, wie Sie manchmal die Zungenspitze zwischen die Lippen schieben … Das macht auf mich nicht den Eindruck, als ob Sie wirklich was für die Uni schreiben würden, sondern …

      Das geht Sie nichts an, sagte sie, stand auf und zog sich hinter die Theke zurück.

      Sie schreiben doch manchmal Gedichte, habe ich recht?

      Rasch klickte sie den Text, an dem sie gerade geschrieben hatte, weg.

      Gedichte? Wie kommen Sie denn auf diese Idee?

      Gehör, sagte er. Ich höre die Länge und Kürze der Zeilen.

      Nun war Lisas Laptop zwar wirklich nicht mehr der jüngste. (In ihrer gegenwärtigen Situation konnte sie sich keinen neuen leisten.) Und die Tastatur war schon ein bisschen klapprig. Aber Herr Roch hatte erstaunlich feine Ohren.

      Sein Gehör hatte durch den Schlaganfall offenbar nicht gelitten.

      Gedichte also, sagte er, geben Sie’s zu.

      Wenn er lächelte, hing sein rechter Mundwinkel ein bisschen schief.

      Ach was! sagte sie. Ich mache halt viele Absätze.

      Ist mir doch ganz egal, ob das, was ich da ab und zu tippe, Prosa ist oder Lyrik. Prosaische Lyrik oder lyrische Prosa, was weiß ich. Stimmt, ich habe etwas davon bei diesem Poetry-Slam vorgelesen. Aber das war Ronnies Idee! Ich hätte mir das nicht einreden lassen sollen.

      Hi, Mira! Du fragst, wie das gelaufen ist. Was soll ich dir sagen / schreiben? Blöd ist es gelaufen! Kaum waren wir dort, im Hinterzimmer eines mir gleich unsympathischen Lokals, hab ich mich schon fehl am Platz gefühlt. Mein erster Impuls war, wieder umzudrehen, aber Ronnie hat mich zurückgehalten.

      Dabei kann ich gar nicht sagen, warum ich mich unter den anderen, die dort hinkamen, so wenig wohlfühlte. Bis auf wenige Ausnahmen, lauter Leute in unserem Alter. Ein paar davon hatte ich, glaube ich, schon an der Uni gesehen. Vielleicht lag es ja auch an mir, an meiner eigenen Unsicherheit, aber so war das eben.

      Dort aufzutreten war schlicht und einfach nicht meins. Einmoderiert von diesem Blödmann, der sich aufführte wie ein DJ. Den meisten Applaus hatten die, die rappten oder sonst irgendeine Show abzogen. Ich las meinen Text vom Blatt. Nur Ronnie applaudierte.

      Deine Performance, sagte er, war halt nicht gerade mitreißend. Wie er das Wort Performance sagte, dafür könnt ich ihn schon ohrfeigen. Übrigens ist er jetzt mit Tina zusammen. Die studiert nicht nur Germanistik, sondern auch Anglistik und Komparatistik, ist aber trotzdem eine blöde Kuh.

      Erzählen Sie etwas von sich, sagte der Herr Roch – aber was sollte sie ihm denn groß erzählen? Dass sie Ende Mai die Matura gemacht hatte, trotz allem, was sie von der Vorbereitung auf diese sogenannte Reifeprüfung

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