Zeit des Zweifels. Hannelore Veit

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Zeit des Zweifels - Hannelore Veit

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einen Sprengsatz in seinen Schuhen zu zünden, müssen alle Flugreisenden in den USA die Schuhe ausziehen und durchleuchten lassen, bevor sie an Bord einer Maschine gehen. In Europa dagegen besteht man normalerweise nicht auf dieser Maßnahme. Generell akzeptieren wir heute – in den USA wie in Europa – eine Fülle unterschiedlichster Eingriffe in unser Leben. Wir akzeptieren auch, dass die Behörden mit dem Argument der Terrorgefahr ihre Befugnisse erweitern – und dabei nicht selten übers Ziel schießen.

      Das Szenario vom 11. September 2001 wird sich in dieser Form nicht wiederholen. Es ist nicht anzunehmen, dass es noch einmal gelingen kann, Passagierflugzeuge in fliegende Bomben zu verwandeln und einen Angriff mitten hinein ins Herz einer Millionenstadt zu fliegen. Aber Menschen, die bereit sind, zu einer Waffe zu greifen, um aus religiösem oder politischem Fanatismus auf andere Menschen loszugehen, wird es vermutlich immer geben. Vieles wurde versucht, es ihnen schwerer zu machen. Geheimdienste stellten ihre Lausch- und Schnüffelarbeit voll in den Dienst des Vorgehens gegen den Terror, schreckten auch vor Foltermethoden nicht zurück und hatten dabei immer vorwiegend eine Form des Fanatismus im Auge: islamistisch motivierte Gewalt, die Antriebskraft, die Osama bin Laden und seine Al-Kaida-Gruppe zum Exzess des 11. September getrieben hatte. Der Krieg gegen den Terror war ein Krieg gegen islamistischen Radikalismus, und wenn es zumindest einen Tag gegeben haben sollte, den man kurzfristig als Tag des Sieges in diesem Krieg empfinden konnte, dann war das der 2. Mai des Jahres 2011: der Tag, an dem ein US-amerikanisches Spezialkommando Osama bin Laden in der pakistanischen Stadt Abbottabad aufspürte und ihn mit tödlichen Schüssen niederstreckte.

      Aber der jahrelange Fokus auf den islamistischen Extremismus nach der Spielart bin Ladens verdeckte andere Bewegungen, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Die Terrormiliz IS begann ihren Aufstieg im Irak und in Syrien, indem sie immer weniger wie eine heimlich agierende Terrorgruppe auftrat, sondern wie die Armee eines Staatswesens, das sie kurzzeitig sogar aufbauen und behalten konnte.

      Anderswo entdeckten Rechtsextremisten ihre Chance, mit Gewalttaten auf sich und ihre gefährlichen Vorstellungen aufmerksam zu machen. Zu zwei ihrer schlimmsten Taten kam es ausgerechnet in Norwegen und in Neuseeland, wo niemand mit derart entschlossen auftretenden Tätern gerechnet hätte.

      Und zuletzt hat politisch motivierte Gewalt auch noch eine ganz andere Dimension bekommen. Es war ausgerechnet ein Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der nicht mehr zum Krieg gegen den Terror aufrief, sondern ziemlich unverblümt zum Terror selbst, gegen den eigenen Staat und dessen verfassungsmäßige Ordnung, mit dem Sturm auf das Kapitol im Jänner 2021 als dramatischem Höhepunkt.

      Wir schildern in der Folge mehrere Spielarten des Terrors, von einsamen Tätern, die sich mitten in der europäischen Zivilisation zu Kriegern für ein islamistisches Mittelalter hochstilisierten, bis hin zu hausgemachtem Terror, wie ihn Donald Trump vor dem Ende seiner Amtszeit von der Machtzentrale des eigenen Landes aus zu entfachen suchte.

       Stadt in Angst

       Peter Fritz

      Zwei kurze, dumpfe Schläge. Ich höre sie sehr deutlich. Mit dem linken Ohr. Am rechten Ohr habe ich das Handy. Ich telefoniere, durch die weihnachtlich beleuchtete Altstadt von Straßburg flanierend, mit Bea, meiner Frau, in Wien. Ich denke mir in diesem Moment nicht viel dabei. Es hat für mein Ohr nicht nach Schüssen geklungen, eher nach harmlosen Böllern. Dann sehe ich Menschen auf mich zulaufen. „Schnell weg“, rufen sie. Noch immer will ich nichts wahrhaben von der Panik, die sich rundherum aufbaut. „Jetzt rennen die alle so nervös herum. Dabei war das sicher eine ganz harmlose Sache“, sage ich zu Bea noch, dann setze ich meinen Weg fort. Ich bin zum Essen verabredet, mit einer bunten Runde aus Medien und Politik, wie sie sich in Straßburg dutzendweise zu versammeln pflegen, wenn das Europäische Parlament dort tagt. Es ist der Abend des 11. Dezember 2018, kurz vor 20 Uhr.

      Ich gehe weiter, bin aber rasch der Einzige in meiner engen Gasse. Ein hohes, durchdringendes Geräusch dringt an mein Ohr. Na bitte, denke ich mir. Wahrscheinlich eine Alarmanlage mit Fehlauslösung, was soll’s. Aber dann, zwei Ecken weiter, ist es mit dem Flanieren und der fest eingebildeten Harmlosigkeit vorbei. Das laute Geräusch ist ein durchdringender Schmerzensschrei, ausgestoßen von einer Frau, die die schlimmsten Minuten ihres Lebens erlebt. Vor ihr, mitten auf dem groben Altstadtpflaster, liegt regungslos ein großer, auffallend gut gekleideter Mann. Ich sehe auf den ersten Blick das Blut, das ihm aus dem Hinterkopf gesickert ist, und ich weiß nur eines: Das wird jetzt sehr, sehr ernst. Zwei Passanten kümmern sich schon um ihn, versuchen, Erste Hilfe zu leisten. Ich mache mit, so gut es geht. Die Haut des Mannes vor mir ist rosig, er wirkt unversehrt bis auf seine tiefe Wunde. Aber er ist zu keiner Lebensäußerung mehr fähig, Atmung und Herz stehen still. Ein paar Männer erscheinen, rufen laut: „Bringt ihn weg von hier!“ Noch komme ich nicht zum Nachdenken, aber nehme später an, dass die Männer Polizisten in Zivil waren, die das Opfer und auch uns, die Helfer, aus der Schusslinie bringen wollten. Denn was wir noch nicht wissen, das weiß die Polizei in dieser Minute schon genauer. Es handelt sich um ein Szenario mit mehreren Schauplätzen, mit mindestens einem Täter, der in der Altstadt um sich schießt und noch nicht gefasst ist. Wir tragen den Schwerverletzten mit vereinten Kräften zehn Meter weiter, in den Eingangsbereich des Restaurants „Au Pont Saint Martin“. Dort, in einem engen Durchgang des alten Fachwerkhauses, machen wir weiter mit unseren Erste-Hilfe-Versuchen, so gut es geht. Unter den Gästen des Lokals sind zwei Frauen aus Deutschland, offenbar medizinisch geschult und erfahren. Sie sind aus dem ersten Stock des Lokals heruntergekommen und übernehmen die Regie. Auch ihnen fällt auf, wie lebendig der Mann noch wirkt. Aber schon einige Minuten später wird immer deutlicher, wie vergeblich unsere Bemühungen sind. Die letzten Spuren des Lebens weichen aus seinem Gesicht, das sich rasch ins Blaue verfärbt. Und seine Frau, unverletzt, aber extrem getroffen, sitzt eineinhalb Meter weiter auf einem Sessel und bekommt, halb gelähmt vor Schock, mit, wie jede Hoffnung für ihren Mann zu schwinden beginnt.

      Unterdessen sind schwer bewaffnete Polizisten anmarschiert, stehen Posten im engen Eingangsraum des Restaurants. „Wo bleibt denn die Rettung?“, schreie ich einen von ihnen an. Die zehn Minuten, die wir schon hier sind, fühlen sich an wie eine Ewigkeit. Aber er entgegnet kühl, es müsse zuerst einmal der „périmètre“ gesichert werden. Keine ärztliche Hilfe, keine Sanitäter. Außer der Hilfe, die wir zufällig Anwesenden leisten können, gibt es nichts. Später erfahre ich von einer sachkundigen Notärztin aus Tirol, dass das überall auf der Welt so gehandhabt wird. In eine „Rote Zone“ fährt kein Rettungsfahrzeug ein. Zu groß wäre die Gefahr, dass auch die professionell Helfenden zu Opfern werden. Es dauert fast zwei Stunden, bis ein Arzt erscheint. Für den 45-jährigen Anupong Suebsaman kann er nichts mehr tun. Er ist der Mann, dem wir nicht mehr helfen können. In Thailand besitzt er eine Nudelfabrik. Es ist der erste Tag der Europareise, die er mit seiner Frau Naiyana angetreten hatte. Und der Weihnachtsmarkt in Straßburg war nicht das ursprüngliche Ziel der Reise gewesen. Eigentlich wollten die beiden nach Paris. Aber die Lage war ihnen zu unsicher erschienen. Es tobten dort gerade die Proteste der „Gelbwesten“-Bewegung, begleitet von gewalttätigen Ausschreitungen. Daher also Straßburg. Wenige Stunden nach der Ankunft ist Anupong Suebsaman tot, und seine Frau wird gegen 22 Uhr von der mittlerweile erschienenen Rettung abgeholt. Der Arzt hat sie in eine Art psychiatrische Intensivstation eingewiesen.

      Vollbesetzte Tische im Restaurant, Menschen, die nur stumm vor sich hinstarren können. Wer auf die Toilette muss, der muss mit einem weiten Grätschschritt über den am Boden liegenden Toten hinweg. Anders geht es nicht in diesem engen Altstadthaus.

      Unterdessen habe ich versucht, mir per Handy ein Bild vom Geschehen zu machen. Auf Twitter kursieren Meldungen aller Art, nicht alle davon wirklich vertrauenswürdig. Aber es wird rasch deutlich, dass das hier ein Angriff war, der eine größere Zahl von Opfern gefordert hat. Und es gibt auch erste Hinweise auf die Motivation. „Allahu akbar!“ soll der Täter gerufen haben, Gott ist groß. Ich gebe per Handy erste Berichte für das Radio und für die ZiB2 durch,

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