Das Mündel des Apothekers. Stefan Thomma
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Читать онлайн книгу Das Mündel des Apothekers - Stefan Thomma страница 3
»So, und jetzt pressen!«, wies sie die Wöchnerin an.
Elena nickte mit geschlossenen Augen fast unmerklich. Mit fest aufeinandergepressten Lippen folgte sie den Anweisungen von Martha, die schon Hunderte von Frauen entbunden hatte. Immer wieder forderte sie die Gebärende auf, zu pressen.
»Ich kann nicht mehr!«, stöhnte Elena.
»Wenn du jetzt aufgibst, stirbst nicht nur du, sondern auch dein Kind. Reiß dich zusammen! Und noch einmal!« Ein letztes Mal sammelte die Hübschlerin all ihre Kräfte. Das Greinen eines Neugeborenen erklang. Erschöpft nahm Elena ihr Kind entgegen.
»Es ist ein gesunder Junge.« Wieder setzten die schon bekannten Schmerzen ein.
»Bekomme ich noch ein Kind?«
»Nein, das ist nur die Nachgeburt. Gleich hast du alles überstanden.« Doch erneut erklang das Greinen eines Kindes, das schnell in Leinen gepackt, Marthas Lehrmagd übergeben und aus der Kammer geschafft wurde.
»Wo ist mein zweites Kind?«
»Du hast nur eines auf die Welt gebracht, meine Liebe. Ich habe dir doch erklärt, dass die erneuten Wehen von der Nachgeburt ausgelöst wurden.«
»Aber ich habe es doch gehört! Was habt ihr mit meinem Kind gemacht?«, schrie Elena panisch und versuchte aufzustehen.
»Du bleibst schön sitzen!« Martha drückte sie wieder zurück in den Gebärstuhl.
»Die Strapazen der Geburt haben dich ja total verwirrt. Jetzt schlaf erst einmal und ruh dich aus. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«
*
Am darauffolgenden Abend peitschte der Schneeregen gegen die Butzenglasscheiben, die kaum noch Licht in das Haus ließen, als das Pochen an die Türe der Nördlinger Stadtapotheke immer heftiger wurde.
»Jaja«, murmelte die Haushälterin Elfriede Breitenbach, während sie in Richtung Hauseingang schlurfte. Ihre Gelenke machten sich seit langem durch ihr Übergewicht schmerzhaft bemerkbar, wodurch alles etwas langsamer ging. Viele Jahre war sie nun schon in Diensten des ehrwürdigen Apothekers Benedikt Riesinger. Seit dem Tod seiner Frau lebten die beiden allein in dem großen Patrizieranwesen nahe dem Rathaus. Knarzend öffnete sich die Türe zur Offizin4. Triefend nass stand eine schwarze Gestalt auf den Stufen.
»Hochwürden? Was verschafft uns die Ehre eines so ungewöhnlichen Besuchs?«
»Hier ist euer Mündel5 und ich muss dringend den Apotheker sprechen«, erwiderte Pastor Eberhard Widmann und übergab Elfriede das kleine Bündel.
»Ein Mündel?«, wiederholte die Haushälterin verblüfft.
»Das hat schon seine Richtigkeit. Riesinger weiß, dass ich heute komme.«
»Aha. Er ist oben in seinem Arbeitszimmer am Kamin. Ich werde Euch gleich bei ihm ankündigen. Kann ich Hochwürden etwas anbieten?«, fragte sie der Höflichkeit halber nach.
»Macht Euch keine Umstände, ich bin in Eile«, murrte der hagere Kirchenmann im Vorbeigehen und war schon auf der Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Seine knochigen Hände hielten sich bei jedem Schritt am Treppengeländer fest und hievten den dürren Körper Stufe um Stufe empor. Schmunzelnd blickte die Haushälterin in das zufriedene Gesichtchen des Neugeborenen.
»Mein Gott, bist du ein süßes Kind. Jetzt werden wir uns erst einmal um dich kümmern.«
»Mein lieber Benedikt«, begann der Pastor im Vieraugengespräch mit dem Apotheker, »es hat besser geklappt, als ich befürchtet hatte. Nur der Rückweg war sehr beschwerlich. Ich hoffe, der Herrgott wird uns verzeihen.«
»Mit Sicherheit, Hochwürden. Danke für Eure Hilfe. Ich werde mein Wort halten. Die St. Georgskirche soll ihre Seitenorgel bekommen, wie Ihr es euch gewünscht habt. Und ich hab einen Erben und jemanden, der sich um mich kümmert, wenn ich alt und krank bin. Ach, noch etwas, Hochwürden. Ich brauche ja nicht zu betonen, dass unsere Unterhaltung hier nie stattgefunden hat. Und das Kindlein hat ein grausamer Mensch einfach in der Kälte vor der Kirche abgelegt.«
»Ich unterliege der kirchlichen Schweigepflicht. Das versteht sich doch von selbst, werter Riesinger. Gehabt Euch wohl!«
4 Werkstatt, Arbeitsraum mit angeschlossenem Verkaufsraum.
5 Unmündige Person, die eines Vormundes bedarf.
Kapitel 1
Nördlingen, 9. Juli Anno Domini 1634 14 Jahre später.
Ein heißer Luftschwall blies Katharina ihre strohblonden Locken ins Gesicht, als sie die Türe des Schulhauses öffnete und ins Freie hinaustrat. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand bereits erreicht und verwandelte die Freie Reichsstadt in einen Backofen. Schon um 5 Uhr begann der Unterricht, als es noch kühl und der Gestank in den Gassen erträglich war. Der Stadtrat hatte zwar einige Verbote erlassen, doch es wurden nach wie vor die Inhalte der Nachtpfannen in den Gassen entleert und verendete Tiere mussten oft tagelang auf ihre Abholung warten.
»Psst«, vernahm sie von der Seite.
»Simon? Hast du etwa auf mich gewartet?«
»Ja, ähm, ich wollte dich fragen, ob wir nicht später zur Eger … ich meine, ob wir uns nicht abkühlen sollten bei der Hitze«, stotterte Simon Mühlbichler mit hochrotem Kopf. Der sonst recht redegewandte Junge brachte gegenüber Katharina kaum einen ganzen Satz über die Lippen. Seit Wochen hatte er sich vorgenommen, das hübsche Apothekermündel anzusprechen, hatte es aber im letzten Moment immer wieder verschoben, weil er sich fürchtete, eine Abfuhr von ihr zu bekommen.
»Mein Stiefvater ist am frühen Nachmittag meistens beim Bader, um Heilmittel auszuliefern. Da könnte ich mich eine Weile davonschleichen.«
Sichtlich erleichtert stapfte der Zimmermannssohn neben seiner Angebeteten über das bucklige Kopfsteinpflaster, als sich ihnen hinter der nächsten Hausecke vier Halbwüchsige in den Weg stellten.
»Na, was haben wir denn hier für ein hübsches Paar«, spottete ihr Rädelsführer. Katharina kannte ihn. Es war der Kaufmannssohn Wilhelm Hofmeister. Seine Eltern gehörten zu den reichsten Patriziern in der Stadt. Mit seinem feuerroten Haarschopf und der blassen Haut wirkte er kränklich, war aber von kräftiger Statur. Im Gesicht wuchs ihm nur ein leichter roter Haarflaum, obwohl er einige Jahre älter war als Katharina und Simon. In seiner Handfläche zappelte eine einbeinige Spinne und kämpfte gegen ihren bevorstehenden Tod an.
»Die schöne Apothekerstochter und das hässliche Holzwürmchen. Weiß dein Vater, dass du dich mit bettelarmen Handwerkern herumtreibst, die sich nicht mal eine ordentliche Kleidung leisten können?«
»Das geht dich nichts an. Lasst uns in Frieden!«
Wilhelm trat einige Schritte auf Simon zu, packte ihn an seinem Hemdkragen und kam ihm dabei so nahe, dass sich ihre Nasen fast berührten.