Das zerbrochene Mädchen. Fabienne Siegmund
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Niemand, hast du gesagt, darf es je berühren.
Niemand seine Blüten pflücken.
Niemand seine Früchte kosten.
Und nie, niemals dürfte es welken.
Wieder hast du den Schmetterling dabei festgehalten. Kurz habe ich überlegt, ihn wieder flattern zu lassen. Welch ein Glück, dass ich es nicht getan habe. Stattdessen habe ich dich nach dem Orangenbäumchen gefragt. Wollte wissen, was es ist, was es dir bedeutet.
Du sagtest, es sei dein Glück. Deine Freude. Dein Leben.
Oh Julie, hätte ich diesen Worten doch nur mehr Bedeutung beigemessen. Hätte ich sie bloß verstanden.
Doch ich war blind. Habe nicht gesehen, dass ich in diesen wenigen Minuten, in denen du gesprochen hast, mehr über dich erfuhr, als jeder sonst.
Du hast danach wieder zugehört. Wie immer. Mir meine Sorgen vom Herzen gewischt.
Wieder hörte ich am Abend, als wir uns voneinander getrennt hatten, deine Radiosendung. Ich meinte, einen Hauch von Traurigkeit in deiner Stimme zu hören – doch, Julie, verzeih – ich habe nicht weiter darauf geachtet, war ich doch selber taumelnd vor Glückseligkeit, denn, auch wenn ich nicht verstand, zum Abschied hattest du mir einen Kuss auf die Lippen gehaucht, eine Berührung, kaum länger als der Flügelschlag einer Libelle.
Du warst eigentlich schon wieder auf dem Sprung zum Sender, da hast du dich umgedreht, ganz nah bist du vor mich getreten. Ich weiß noch, wie ich aus den Augenwinkeln bemerkte, dass deine roten Haare, vom Wind getragen, meine schwarzen berührten.
»In deinen Augen liegt der Frühling.« Deine Worte, nur dahingehaucht, ich verstand sie wieder nicht.
Dann berührten deine Lippen meine. Kurz nur, ganz kurz, vielleicht für die Länge eines Wimpernschlags. Schon in der nächsten Sekunde warst du wieder einen Schritt von mir entfernt. Deine Augen, immer noch strahlend blau, wie das Licht eines Sommertages, lächelten, und auch wenn die Nacht weit entfernt war, dachte ich, dort einen Stern aufblinken gesehen zu haben. Ich wollte fragen, doch du gabst mir keine Gelegenheit. »Jetzt ist es der Sommer!«, hast du gelacht und auf meine Augen gedeutet.
Ich glaube, dass dein Lachen in diesem Moment ein wenig seiner Freude verloren hat, eingeknickt ist wie ein Ast, auf den man tritt. Nach dem Sommer kommt unweigerlich der Herbst. Und auf den Herbst der Winter. Du hast es in diesem Moment schon gesehen, nicht wahr?
Doch ehe ich den Schatten in deinen Augen genauer sehen konnte, jenen Schatten, den ich bemerkte, aber ignorierte, bist du weggelaufen.
Ich dachte, ich könnte ebenso dein Glück sein, wie du meins. Du hattest mir meine Träume zurück gebracht. Meine Magie.
Aber ich war nicht dein Glück. Nie. Ich war die Gefahr, die du von Beginn an in mir gesehen hast.
Der erste Schmetterlingsflügelschlag hatte mein Leben verändert, das Muster in meinem Kaleidoskop gedreht.
Der zweite hat dein Leben, dein Muster, von mir unbemerkt, mit meinem vermischt.
Der dritte, oh Julie, der dritte hat dich zerstört.
Drei Flügelschläge.
Drei Tage.
Zwei waren schon vergangen.
III
Wenn Gefühle erfrieren, sind es stets Glück und Freude, die zu Eis erstarren. Nie Leid und Traurigkeit. Und manchmal geht es so schnell, so schnell, dass Gefühle einfrieren. Auf den Sommer folgt der Herbst, auf ihn der Winter. Und manchmal, ja, manchmal wird man selbst der Winter und erkennt es erst, wenn schon alles geschehen ist, was nie hätte geschehen dürfen.
Ich habe auch am darauffolgenden Tag auf dich gewartet. Wie hätte ich auch nicht können? Du hattest mir meine Träume zurückgegeben, Träume, von denen ich nicht einmal mehr wusste, wann und wo ich sie verloren hatte, die aber so wichtig waren, dass sie meine Magie mitgenommen hatten. Was ist Magie ohne Träume? Nichts. Du hast es immer gewusst. Du hast die Magie in mir gesehen, als wir uns das erste Mal trafen – die Magie und das, was ich einst war. Das, was ich wieder geworden bin, für einen Moment nur, und doch lang genug, um der Winter zu werden, vor dem du dich gefürchtet hast.
An diesem Tag, dem dritten, kamst du früh, und dieses Mal machtest du keinen Umweg, du kamst direkt zu mir. Gelächelt hast du, wie immer, doch deine Augen waren dunkler als zuvor. Ich dachte, es läge an den Wolken, die den Himmel bedeckten, doch in deinen Augen lagen nicht die Wolken des Himmels. Deine Augen waren voller Schatten, die ihre Dunkelheit jeden Tag stärker auf dich warfen, an dem ich mit dir zusammen war.
Ach Julie, warum hast du es zugelassen? Warum bist du wieder zu mir gekommen, obwohl du es doch gewusst hast, es mir sogar am ersten Tag sagtest?
War es bereits zu spät, weil der Schmetterling mit seinen Flügeln geschlagen hatte? Oder wolltest du es, irgendwie?
Aber noch war es nicht soweit, in dem Moment, als wir uns an diesem Tag trafen, lag noch der Sommer in meinen Augen. Sie haben sich in deinen gespiegelt, braun, so wie immer, und doch erfüllt von einem Leuchten, dass ich vielleicht nie kannte, vielleicht auch einfach lange nicht mehr in ihnen gesehen hatte.
Wie ich schon sagte, du hast gelächelt. Und mich umarmt. Der Geruch von Orangen umgab dich, und wäre nicht der Eiffelturm über uns in den Himmel gewachsen, hätte ich gedacht, an einem anderen Ort zu sein, einem, der nur uns zugänglich ist.
Vielleicht waren wir auch in diesem Himmel, für diese eine Sekunde. Dann aber hast du dich von mir gelöst und der Eiffelturm, die Menschen um uns, die vielleicht, wie ich, täglich deiner Stimme lauschten, waren wieder da.
»Willst du es sehen?«
Das hast du gefragt. Ich wusste, was mit »es« gemeint war, sofort. Dein Orangenbäumchen.
Oh Julie, warum diese Frage? Du hast genau gewusst, dass ich nicht ablehnen würde. Du wusstest alles von mir, selbst die Geschichte mit dem Orangenbäumchen, die ich dir, ich bin sicher, nie erzählt hatte.
Du wusstest, was geschehen würde. Mit mir, der der Winter werden würde, wie ich es schon einmal gewesen war. Heute weiß ich es wieder – doch an diesem dritten Tag – da wusste ich nichts. War nur betört von deinem Duft, von deinem Lächeln und dir – ja, Julie, du bist mein Glück gewesen – und ich wollte dein Glück, deine Freude, dein Leben kennenlernen. Dein Orangenbäumchen.
Ich hatte nicht vergessen, was du mir darüber erzählt hattest – es war ja nur einen Tag her. Niemand dürfte es je berühren. Niemand seine Blüten pflücken. Niemand seine Früchte kosten. Und niemals, nein, niemals dürfte es welken.
Ich weiß jetzt, welche Bedeutung all dies hat. Aber ich weiß es erst heute. An diesem Tag, dem dritten, den wir hatten, wusste ich es noch nicht, und so folgte ich dir in deine Wohnung in den Straßen Montmartres, wo die Bilder in den Gassen liegen und nur warten, von den Malern eingefangen zu werden.
Doch heute ist es zu spät. Heute bis du fort. Seit drei Tagen schon.
Deine