Wüsten. Wolf Dieter Blümel
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Tab. 4 Flächenangaben (km2) zu Dünenbildungen aus dem letzten Hochglazial (LGM), die heute stabilisiert sind (n. Angaben bei Cooke et al. 1993)
Sahel und Sudan | 730 000 | China | 694 000 |
Kalahari | 1 000 000 | Australien | 1 070 000 |
Tharr/Indien | 214 000 | Nordamerika | 34 000 |
Ehem. USSR | 400 000 | Südamerika | 100 000 |
3.4 Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern
Die Festlandsoberflächen als Ökosphäre und menschlicher Lebens- und Wirkungsraum (Ökumene) unterliegen einer kontinuierlichen Entwicklung. Veränderungen in der klimatischen Steuerung dieser Landschaftsevolution äußern sich in der Transformation der Geo-Biosphäre und in der Reaktion der betroffenen Menschen. Die jüngsten 20 000 Jahre sind für die globale kulturgeschichtliche Entwicklung besonders bedeutsam und zeigen mit dem Übergang vom letzten Hochglazial mit seinen trocken-kalten Bedingungen in die von Wärme und (regionaler) Feuchtezunahme gekennzeichnete Warmzeit (Holozän) einen durchgreifenden Landschaftswandel. Mit der Ausweitung von Gehölz- und Grasformationen zu Lasten von Wüsten und Wüstenrandgebieten erschlossen sich neue Lebensräume – zunächst für Jäger- und Sammlergesellschaften, Pastoralnomaden und letztlich auch Ackerbaukulturen.
Das Beispiel der Sahara dokumentiert eindringlich, wie innerhalb der aktuellen Warmzeit klimatische Fluktuationen einen Wandel von der Extremwüste zur Gras- und Trockensavanne und wieder zurück zur hyperariden Wüste vollzieht – der ganze Zyklus innerhalb nur weniger Jahrtausende (Kap. 3.4.2; 12.1.3). Ausweitung der Ökumene, kulturelle Blütezeit und schließlich Aufgabe des Lebensraumes (Wüstenflucht, Migration) korrelieren mit den natürlichen Veränderungen. Eine deterministische Beziehung ist unübersehbar.
Die ehemalige kulturhistorische Bedeutung heutiger Vollwüsten beruht auf drei wesentlichen Ursachen, die durch klimatische Feuchtperioden bedingt sind:
Schrumpfung des Wüstenareals durch das Vorrücken der Savannen- und Steppenformationen;
Vegetationsausbreitung innerhalb der Wüste durch autochthone Niederschläge;
Erhöhte Tragfähigkeit der Fremdlingsfluss-Oasen durch verstärkte und regelmäßige Wasserführung.
Zu Punkt 1 und 2: Das Wüstenökosystem mit seinen episodischen, geringen Niederschlägen wird durch tropische Gras-Gehölz-Gesellschaften (Savannen) oder außertropische Gras- und Krautfluren (Steppen) abgelöst. Ursache ist die vergrößerte Reichweite und Ergiebigkeit des Monsuns bzw. der größere Einflussbereich von Tiefdruckgebieten der Westwindzirkulation. Die Wüstengrenzen rücken gegen das Kerngebiet vor. Auch fallen jetzt Niederschläge unmittelbar vor Ort und erlauben die Kulturausbreitung in neue Gebiete hinein. Als besondere Leitlinien bieten sich die (wiederbelebten) Wasserläufe mit ihren Kolken und Sumpfstrecken an. Ebenso sind durch Überflutungen oder durch die Auffüllung des Grundwasserkörpers neu entstandene Seen besonders attraktive Gebiete (Kap. 12.1.3). Der verstärkte Vegetationsbesatz in den angrenzenden Flächen zieht Savannentiere als potenzielles Jagdwild an und ermöglicht Pastoralnomadismus, später Domestikation und sesshafte Viehwirtschaft in der Sahara.
Zu Punkt 3: Flüsse, die Vollwüsten durchqueren oder in deren Kernräumen gänzlich versickern und verdunsten (endorhëische Flüsse), erhalten ihr Wasser hauptsächlich aus stärker beregneten Einzugsgebieten angrenzender Räume. In den asiatischen und südamerikanischen Wüsten wurzeln solche Fremdlingsflüsse häufig an Gletschern. Allochthone Flüsse sind somit keine integralen Teile des klimatischen Wüstensystems, sondern bewirken als externe Faktoren höherwertige Lebensraumqualitäten in wüstenhaft-lebensfeindlicher Umgebung, sodass hier bedeutsame kulturelle Entfaltungen möglich sind. Als Prototyp eines bis heute kulturträchtigen Fremdlingsflusses gilt der Nil. Hochstehende Zivilisationen waren zu unterschiedlichen Zeiten ebenfalls beispielhaft an Euphrat und Tigris, an den andinen Flüssen der peruanischen und chilenischen Atacama oder an innerasiatischen Wüstenflüssen entwickelt.
3.4.1 Wüstenränder/Wüstenrandgebiete
Die Ränder von Ökozonen sind relativ labil – vergleicht man sie mit den Kernzonen. Dies gilt insbesondere für die Wüstenränder, da hier die ohnehin niedrigen Niederschlagsmittel sehr stark variieren. Das trifft sowohl für die zeitliche und räumliche Verteilung zu, wie auch für die Menge und die lokale/regionale Intensität. Der Grad der Variabilität wächst mit der Abnahme des durchschnittlichen jährlichen Niederschlags.
Wüstenränder als Übergangssäume (Ökotone) zwischen Savannen- oder Steppenökosystemen sind ökologisch wie ökonomisch und sozial äußerst sensitiv (Bubenzer 2010). Sie sind weitaus schlechter gepuffert als Übergangsbereiche zwischen deutlich feuchteren Vegetationsformationen (z. B. Borealer Nadelwald/Steppe; Regenwald/Feuchtsavanne).
Entsprechend vulnerabel sind menschliche Gesellschaften, die in/an Wüstenrändern leben. Sie sind einem hohen Dürrerisiko ausgesetzt, bei insgesamt schwacher Wirtschaftsleistung. Hoher Bevölkerungszuwachs (trotz höchster Kindersterblichkeit) und damit verbundene Überstrapazierung der physiologischen Tragfähigkeit führen häufig zu irreversibler Desertifikation oder gravierender Degradierung der Landschaft – ihr Ertragspotenzial in der Weidewirtschaft oder im Feldbau geht ständig zurück (Kap. 4.8). In Anbetracht dieser bedrohlichen Entwicklung speziell in den Wüstenrandbereichen haben die UN im Jahr 2010 die „Dekade der Wüsten und zur Bekämpfung der Wüstenausbreitung“ ausgerufen.
Manche der heutigen Wüsten spielen eine unerwartete Rolle in der Kulturentwicklung – Sahara und Atacama werden in diesem Kontext näher beschrieben (Kap. 3.4.2; 12.1.3; 3.4.4). Eitel (2008, 2007) hat in grundlegenden Abrissen die kulturgeschichtliche Bedeutung von Wüstenrandgebieten beleuchtet. Der nachfolgende Text greift einige seiner Gesichtspunkte auf: Zwar werden 60 % der Katastrophentoten in Trockengebieten gezählt, umso erstaunlicher ist, dass die ältesten festen Siedlungen in semi-ariden Gebieten zu finden sind. So fand der Prozess der Sesshaftwerdung (Ackerbau, Bewässerungsfeldbau, Domestikation) – die sog. Neolithische Revolution – in einem semi-ariden Klimamilieu des Vorderen Orients statt. Aufgrund der hohen Klimavariabilität müsste dieser Raum als (Dürre-)Risikogebiet eingestuft werden. Eitel vertritt die These, dass „… gerade die hygrischen Fluktuationen in den Wüstenrandgebieten und die resultierenden Umweltveränderungen ganz wesentlich die Kulturentwicklung im frühen und mittleren Holozän stimulierten“ und charakterisiert Wüstenränder als „… raumzeitlich hoch dynamische Gebiete mit Umweltsystemen,