Demokratie? Frag doch einfach!. Martin Oppelt
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Erst überschritt Corona also die Grenzen von Kontinenten, dann von Nationalstaaten und schließlich von sozialen Schichten und Klassen, und es stellte sich heraus, dass die Gefahr der Ansteckung und damit auch der Sterblichkeit eine soziale und damit eine zentrale Frage der Demokratie war. Immerhin war die Demokratie einst erfolgreich mit dem Versprechen der → FreiheitFreiheit, → GleichheitGleichheit und → SolidaritätSolidarität für alle angetreten und bezieht bis heute daraus ihre große Attraktivität. Wie sonst wären die leidenschaftlichen Diskussionen der letzten Monate zu erklären, wenn nicht mit zumindest Restbeständen einer affektiven Bindung eines Großteils der Menschen an genau jene Prinzipien?
Insofern die Infizierung aber vor allem unter Menschengruppen stattfand, die aus sozialer und wirtschaftlicher Not heraus verletzlicher waren als andere, liegt etwas sehr im Argen mit der Demokratie. Leicht konnte man den Eindruck bekommen, dass jenseits der formalen Gleichheit aller Bürger*innen und Menschen per Gesetz und VerfassungVerfassung de facto vor allem die zahlungskräftigen und arbeitenden Teile der Bevölkerung als vollwertige Bürger*innen akzeptiert werden, was eher an feudale, denn an demokratische Verhältnisse erinnert. Dies wurde besonders deutlich, wo in Deutschland versucht wurde, Arbeiter*innen aus Bulgarien und Rumänien, die sich in den hiesigen Fleischfabriken mit dem Virus infiziert haben, explizit als Nicht-Teil dieser Gesellschaft, als nicht-zugehörig, weil „von außen kommend“ auszugrenzen, anstatt sich mit ihnen zu solidarisieren und staatlicherseits der Pflicht nachzukommen, sie zu beschützen. Sind also Menschen, Familien, die unter Einsatz ihrer körperlichen Gesundheit auf deutschem Boden leben und arbeiten, und das zu oft beschämend erbärmlichen Löhnen, kein Teil dieser Gesellschaft? Gelten für sie andere Regeln, haben sie weniger Rechte? Und was bedeutet es dann eigentlich überhaupt, Bürger*inBürger*innen einer Demokratie zu sein?
Die Corona-Krise ließ also wie unter einer Lupe verstärkt hervortreten, was die Entwicklung der modernen Demokratie immer schon begleitet und sie maßgeblich mit vorangetrieben hat: Den öffentlichen Streit um die Art und Weise, menschliches Zusammenleben gemäß der Ideale der Gleichheit, Freiheit und Solidarität zu organisieren. Haben wir es mit der Demokratie dann am Ende aber angesichts all der offenkundigen wie beklagten Missstände vielleicht doch nur mit einem, wenn auch mächtigen, Mythos zu tun, wie es der Soziologe Geoffroy de Lagasneriede Lagasnerie, Geoffroy zuletzt behauptete? Müssen wir ihm darin zustimmen, dass wir uns besser eingestehen sollten, dass wir uns selbst anlügen, wann immer wir uns über die Gültigkeit der demokratischen Prinzipien der VolkssouveränitätVolkssouveränität, der Freiheit und der Gleichheit verständigen? Sicher ist, dass die Demokratie nicht das Ende der Geschichte ist. Wie alles, was einen historischen Ursprung hat, kann sie aber zu Ende gehen. Und fest steht gleichzeitig auch, dass die Demokratie und ihre Prinzipien weder eindeutig auf den Begriff gebracht noch jemals vollumfänglich verwirklicht werden können. Ob man aber deswegen Lagasneries Aufforderung zum radikalen Bruch mit der Idee der Demokratie folgen muss, um endlich die Hindernisse für die Entwicklung wirklicher sozialer Alternativen und emanzipierter gesellschaftlicher Verhältnisse zu überwinden, muss fraglich bleiben. Denn wenn die Demokratie trotz aller Mängel nach wie vor etwas anzubieten hat, dann ist es die Möglichkeit, sie in Richtung der Ausweitung und Vertiefung ihrer eigenen Prinzipien, der FreiheitFreiheit, der GleichheitGleichheit und der SolidaritätSolidarität, in ihrem Namen und aus ihrem Inneren heraus zu überschreiten. Man muss die Möglichkeiten nur kennen. Und sie dann auch nutzen.
Die Erfindung des Wortes demokratia wird dem antiken griechischen Geschichtsschreiber HerodotHerodot (490/480–430/420 v. Chr.) zugeschrieben. Der Begriff ist eine Komposition aus dem Wort demos (→ Volk) und kratein, was mit „herrschen“ übersetzt wird. Demokratie meint dann Volksherrschaft als ein spezifisches Konzept einer politischen Ordnung.
An Herodot anknüpfend erarbeiteten PlatonPlaton (428/27–348/47 v. Chr.) und AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) die ersten heute bekannten Systematisierungen verschiedener Herrschaftstypen, von denen die Demokratie jeweils eine spezifische Organisationsform war. Beide unterschieden für ihre Systematisierungen die quantitative Anzahl der Herrschenden und die qualitative Form der Ausübung der Herrschaft, wobei die Demokratie die Herrschaft der Vielen und Armen zu ihrem eigenen Vorteil, also eine nicht an der TugendTugend des GemeinwohlsGemeinwohl orientierte Herrschaftsform war.
Zwischen dem antiken und dem heutigen Verständnis von Demokratie gibt es sowohl Kontinuitäten als auch erhebliche Unterschiede. Heute assoziiert man mit Demokratie gemeinhin ein politisches System, das auf den per VerfassungVerfassung garantierten Prinzipien der VolkssouveränitätVolkssouveränität, der GewaltenteilungGewaltenteilung und der RechtsstaatlichkeitRechtsstaatlichkeit ruht und politische Herrschaft nach dem MehrheitswahlrechtMehrheitswahlrecht zuteilt. Historisch betrachtet war die Demokratie trotz ihres heute guten Rufes jedoch immer auch ein System, das auf dem Ausschluss